Um ehrlich zu sein: Was die ganze Düsseldorfer Kunst-, Musik- und Kulturgeschichte angeht, war ich eine Randfigur – nie mittendrin, aber meist dabei. So auch rund um dieses überwältigende Projekt namens Kraftwerk. Und Florian Schneider bin ich überhaupt nur einmal persönlich begegnet. Im späten Sommer 1996 war ich heftig verliebt in die schöne Valerie (Namen v.d.Red geändert). Wir waren uns nach Jahren zufällig auf der Birkenstraße begegnet, und ich war sofort entzündet. Da war ich aber nicht der einzige. Eines Tages besuchte ich sie in ihrer Wohnung in dem Haus, in dem die Wirtschaft „Schmalbauch“ residiert. Und in der Küche saß ein dünner, stiller Mensch in einem altmodischen Mantel. Das war Florian Schneider.

Erkannt habe ich ihn erst auf den zweiten oder dritten Blick, denn natürlich hatte ich nur Augen für die schöne Valerie, mit der ich in diesem Spätsommer und Herbst rumzog, ohne dass aus uns ein Paare wurde. Sie hatte viele männliche Freunde, von denen die meisten wohl auch Verehrer waren. Dazu zählte auch der Florian. Kann sein, dass es ihm peinlich war, dass ich ihn bei ihr antraf, jedenfalls war er nicht sehr gesprächig und antwortete auf meine Fragen knapp, aber höflich.

Da waren sie noch keine Roboter…

Nun neige ich grundsätzlich nie dazu, selbst meinen Idolen gegenüber in Ehrfurcht zu erstarren. Aber nach dieser flüchtigen Begegnung war ich sofort wieder der Musik von Kraftwerk verfallen und hörte die Alben rauf und runter. Dabei fiel mir ein, dass ich vermutlich zu den ersten Düsseldorfern überhaupt gehörte, die Ralf Hütter und Florian Schneider (damals noch „-Esleben“) musizierend live erlebt haben. Es wird im Frühjahr 1970 gewesen sein, also die beiden Musikstudenten sich noch Organisation nannten. Da traten sie in der Halle am Haus der Jugend auf – vor geschätzten 40 Leuten.

Houschäng mit Kraftwerk-Teilen anno 1971

Houschäng mit Kraftwerk-Teilen anno 1971

Schon damals war das HdJ nicht nur Treffpunkt für junge Leute, sondern auch ein Zentrum der zeitgenössischen, avantgardistischen Kunst und Musik. Wir nannten es „Underground“, wenn dort die wirklich abgedrehten Filme von Lutz Mommartz gezeigt wurden oder ein Verrückter, der eine verzerrte Geige spielte (Name vergessen) solo Freejazz vorführte. Und nachdem wir Aufmüpfigen der Jugendmesse „Teenage Fair“, die im August 1969 in der Messe stattgefunden hatte, etwas Unkommerzielles entgegensetzen wollten, veranstalteten wir im folgenden Frühjahr im HdJ eine Ausstellung quer durchs Haus namens „Teenage Art“. Kann sein, dass das Konzert der Organisation sogar im Rahmen dieser Aktion stattfand.

Autobahn – das alternative Cover (die Musiker klein am unteren Bildrand)

Übrigens traten Ralf und Florian damals zu zweit, also ohne Schlagzeuger, auf, und Roadies hatten sie auch nicht. Ich war ziemlich begeistert von den Soundgewittern, vor allem von einem Stück, das Kraftwerk später als „Ruck Zuck“ spielten und das auch auf dem Originalalbum „Autobahn“ zu finden ist. Mich begeisterte aber nicht nur die Musik, sondern auch die Attitüde der beiden, die so gar nichts mit dem Verhalten der damals üblichen Beat- und Rockgruppen gemein hatte. Was die machten, war Kunst. Und die Kunst stand damals im Mittelpunkt meines Lebens.

Als kaum Siebzehnjährige zogen mein Freund Jörg und ich in jenen Jahren ständig durch die Stadt, immer auf der Suche nach den wirklich spannenden Plätzen und Menschen der Kunst. Wir schlichen uns in Vernissagen ein, suchten Künstler uneingeladen in ihren Ateliers auf, streunten durch die Akademie und waren natürlich auch in der Altstadt unterwegs. Eines Tages, es wird am späten Nachmittag gewesen sein, fiel uns auf der Ratinger Straße ein seltsamer Typ auf: Er trug solche Klamotten wie ein Radrennfahrer, mit passender Mütze, und über die eine Schulter hatte er eine Fahrradfelge ohne Reifen gehängt. Später erfuhren wir, dass es wohl ein gewisser Florian Schneider-Esleben war, Sohn des berühmten Architekten Paul Schneider-Esleben, dem wir das Mannesmann-Hochhaus, die Haniel-Garage und die Rolandschule zu verdanken haben.

Ganz nah und doch so weit

Wie gesagt: Das Konzert der Organisation und die ersten Alben von Kraftwerk änderten mein Verständnis von Musik nachhaltig. Noch heute bin ich ergriffen, wenn ich eines ihrer Alben auflege; aber auch, das was in Düsseldorf danach kam, vor allem die Projekte Neu! und La Düsseldorf von Klaus Dinger sowie die Sachen von Michael Rother, ergreifen mich immer noch und immer wieder. Mir kommt es so vor, dass Kraftwerk nach dem Ausschneiden von Florian Schneider im Jahr 2009 zum Ende gekommen ist, dass die letzte kreative Zuckung schon 1998 mit dem Auftritt beim Tribal Gathering stattfand. Der monumentale Auftritt im Juli 2017 anlässlich des Starts der Tour de France im Ehrenhof hat mich jedenfalls musikalisch nicht mehr berührt.

Das Verrückte an dem, was Ralf und Florian in Düsseldorf geleistet haben, ist ja, dass sie aus der Jazz- und Avantgarde-E-Musik kommend die besten Musiker der Beat-Szene der Sechzigerjahre – Houschäng Nejadepur, Klaus Dinger, Wolfgang Flür – unter dem Kraftwerk-Symbol vereint haben und so eine Musik geschaffen haben, die auf ewig mit unserer schönsten Stadt am Rhein verbunden sein wird. Danke dafür, Florian.

4 Kommentare

  1. Guido v. Oertzen am

    Fun fact: E. Kranemann, auf dem zweiten s/w-Bandfoto ganz rechts, war jahrelang im selben Lehrerkollegium wie die Mutter von Campino.

    PS: Der Text neben der Captcha-Checkbox – „Ich bin kein Roboter“ – ist vor dem Hintergrund des Artikelthemas auch ganz witzig.

  2. Andreas Klein am

    “Ruck Zuck” ist auf dem Originalalbum “Autobahn” nicht zu finden. Sie meinen den Philips-Sampler, ein Doppelalbum mit dem blau-weissen Autobahn-Strassenschild als Cover und Stücken der Alben „Kraftwerk“, „Kraftwerk 2“ und „Autobahn“ (von „Ralf & Florian“ ist nichts drauf). Die Meinung, dieses Doppelalbum wäre das „Autobahn“-Originalalbum, ist weit verbreitet.
    PS:
    „Das alternative Cover“ ist das Cover des „Autobahn“-Originalalbums.

  3. Frank Buchholz am

    „Ruck Zuck“ ist der erste Titel auf dem ersten Kraftwerk Album (Das mit dem orangenem Pylonen).
    Zum Glück ist jetzt die Organisation mit „Tone Float“ wieder erschienen.
    PS: Eberhard Kranemann hat 75 auch ne Superplatte gemacht „Fritz Müller Rock“.
    Lg