Nein, so richtig international war die Gastronomieszene Anfang der Sechzigerjahre nicht einmal in der Altstadt. Da beherrschten die Brauhäuser und die Traditionsgasthäuser das Essgeschäft: Goldenes Fass, Goldener Ring, Tante Anna, Muschelhaus Reusch, Benders Marie, die Uel etc. Gut, den legendären Csikos mit seiner ungarischen Küche gab’s schon, den Laden, den Günter Grass in der Blechtrommel als Zwiebelkeller verwurstet hat. Das änderte sich irgendwann so um 1963, 1964 herum, denn da eröffnete an der Ecke Kurze Straße / Mertensgasse die erste Pizzabude. Nun war ich eigentlich viel zu jung für die Altstadt, aber familiäre Umstände brachten es mit sich, dass ich die längste Theke der Welt sehr früh kennenlernte.

Mein Vater – das habe ich schon öfters berichtet – war von 1955 bis zum seinem Tod im Juni 1967 fest angestellter Architekt bei der Hirschbrauerei Düsseldorf. An der Tussmannstraße wurde das legendäre Düssel Alt gebraut, und diese heute fast vergessene Marke war in diesen Jahre Marktführer in der Stadt. Unter anderem, weil die Brauerei sehr, sehr viele Gastwirtschaften besaß und verpachtete. Die Aufgabe meines Vaters war es vor allem, die Kneipen, die noch Kriegsschäden aufwiesen oder die in jeder Hinsicht veraltet waren, baulich in Stand zu setzen und zu modernisieren. Dazu gehörten natürlich auch jede Menge Läden in der Altstadt.

Und weil er uns Kinder in den Ferien gern mitnahm, wenn er Baustellentermine hatte oder einfach nur die Wirte besuchte, kam auch ich schon mit zehn, elf Jahren in Kontakt mit der gastronomischen Szene in der Altstadt. Zudem wurde mein vier Jahre älterer Bruder schon recht früh zum Altstadtgänger. Man darf sich die Altstadt nicht vorstellen wie das Amüsierviertel, das sie heute ist. Die Zahl der Lokale für junge Menschen war sehr begrenzt und erst mit dem Aufkommen der Beat-Musik entstand die Sorte Kneipe, die bis heute die Szene prägt.

Er bewegte sich in einem recht großen, bunten Freundeskreis, der viele Partys feierte oder eben auch gemeinsam ausging. Warum auch immer nahm er mich oft mit – unter seinen Freunden wurde ich beinahe so etwas wie ein Maskottchen. Und weil seinerzeit noch keine sehr strenge Alterskontrollen stattfanden, war ich eben auch schon mit zwölf, dreizehn Jahren gelegentlich mit dabei, wenn die Bande in die Altstadt ging. Genau zu dieser Zeit kam es bei jungen Leute in Mode, zwischendurch einen Imbiss zu nehmen. Es entstanden Garküchen wie der legendäre Brave Heinz und der Hühner-Hugo.

Wie gesagt: Dann auch der erste Minipizzaladen. Der war bei den jungen Bummlern gleich recht beliebt. Was bei dem einen oder anderen nicht ohne Folgen blieb, denn weder Olivenöl, noch Knoblauch gehörten damals zu den Produkten, die Mutti beim Kochen der Familienmahlzeiten verwendeten. So vertrug mancher den Fladen mit dem Käse und der Tomatensoße nicht. Apropos: Bekannt war die italienische Küche nur denjenigen, die schon einmal mit den Eltern Urlaub in Italien gemacht hatten; die konnten auch fast fehlerfrei Spaghetti essen. Ich muss sagen: Von meiner ersten Pizza war ich nicht sonderlich begeistert, ich mochte den schlappen Lappen mit der fettigen Wurst nicht sehr.

Und das änderte sich erst, als Jahre später die „guten Italiener“ ihre Pizzerien, Trattorien und Ristorantes eröffneten. Ich hatte das große Glück, dass einer davon, der später umzog und zum Luxusitaliener mutierte, bei uns um die Ecke auf der Schlossstraße eröffnete. Das muss 1972, 1973 gewesen sein. Und wir wurden vom ersten Tag an Stammgäste im Sansone. Mit der ersten Besetzung freundeten wir uns rasch an, und wenn wie abends hingingen, konnten wir uns auf die Empfehlungen des Chefe verlassen und lernten so einen ziemlich breiten Ausschnitt der italienischen Küche kennen.

Der kleine Pizzaladen in der Altstadt boomte, und bald machte gleich gegenüber ein Kontrahent auf. Immerhin war so eine Minipizza ausgesprochen billig und machte ordentlich satt. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Ob die beiden Pizzerien an der Ecke mit den damaligen Etablissements identisch sind, weiß ich nicht. Auf jeden Fall gilt vielen die Kreuzung der Kurze Straße mit der Mertensgasse immer noch als das „Pizzaeck“.