Es wird so 1968 gewesen sein. Natürlich hatte ich ihn schon auf der Bühne erlebt. Als Gitarrist der Düsseldorfer „Supergruppe“ The Smash. Die stand im Zentrum des Übergangs von den Schülerbands der Beat-Ära zu den Psychedelic-Truppen und dem ganzen Urschlamm, aus dem per Kraftwerk die Düsseldorfer Elektro-Musik entstand. Und nun schwebt diese mystische Gestalt ganz in Weiß gekleidet und barfuß an mir vorbei. Auf dem Gehsteig der Stresemannstraße. Unweit des Teppichgeschäfts seines Vaters, des Herrn Nejadepour. Ja, er schwebte, und es spricht viel dafür, dass gewisse Substanzen für diese Fortbewegungsform zuständig waren. Dieses Bild hat sich mir eingebrannt, und immer, wenn ich diesen merkwürdigen Namen „Houschäng“ irgendwo lese, steigt es wieder auf. So habe ich mich nach der Lektüre von Rudi Eschs formidablen Buch „Elektri_City“ ständig gefragt: Wo ist eigentlich Houschäng abgeblieben?

Alles beginnt bei The Smash

Houschäng mit Kraftwerk-Teilen anno 1971

Wie gesagt: Alles beginnt bei The Smash. Vorher waren es Kapellen wie die Beathovens und die Spirits of Sound, die Schulfest auf Schulfest mit Cover-Versionen der angesagtesten Beat-Hit-Stücken beschallten. Und nun das: Eine Band, die eigene Songs schrieb und präsentierte. Die andere Seite der neuen Kreativität waren die Iceni – mindestens so von Mythen umwabert wie Houschäng. Kurz und heftig auch die glorreiche Zeit von Harakiri Whoom, dem Allstar-Orchester rund um Marius Müller-Westernhagen. Nachhaltig war aber nur das Wirken von The Smash. Während The Smash noch lokalen Ruhm aberntete, entstand an der Mintropstraße das, was wir alle später als Kraftwerk kennenlernen sollten. Und wie Rudi Esch so schön schildert: Kraftwerk sind mindestens zwei Öltanks. Einer davon war die Inkarnation von 69/70, die vom Rockpalast bei einem denkwürdigen Auftritt in Soest auf Magnetband gebannt wurde. Da traten die Gründerväter Ralf und Florian an mit dem neu angeschafften Drummer Klaus Dinger.

Das war dann aber auch schon die dritte Variante der Begleitung. Denn übers Jahr waren noch zwei Kollegen dabei, deren Wirken auf den drei ersten Kraftwerk-Alben nicht so ganz exakt dokumentiert waren: Eberhard Kranemann und eben Houschäng Nejadepour. Zu fünft, an den Drums damals Charly Weiss. Studiert man die einschlägigen Quellen, heißt es immer, Houschäng habe bei Kraftwerk gespielt, aber wann und wo genau, weiß wohl keiner mehr.

Von Kraftwerk über Eiliff zu Guru Guru

Alle, die Houschäng persönlich kennengelernt haben, beschreiben ihn als eher stillen, introvertierten Menschen. Schwierig sei er außerhalb der Musik gewesen, heißt es. Und die Drogen hätten eigentlich immer eine Hauptrolle gespielt. Das war in den frühen Siebzigern so ungewöhnlich nicht. Eberhard Kranemann, den wir für diese Suche befragt haben, sagt dazu:

er kam aus persien. sein vater hatte ein perserteppichgeschäft in düsseldorf. mit ihm habe ich fette joints geraucht und gerne musik gemacht, unter anderem beim berühmten KRAFTWERK – konzert in leverkusen (1970 / 71?). besetzung: florian schneider esleben – flöte + geige, eberhard kranemann – cello, hawaii – gitarre, bass, houschäng nejadepour – gitarre, michael rother – gitarre, klaus dinger – schlagzeug. da ging echt die post ab. das publikum tobte. wahnsinn.

Und Rich Schwab, mit dem er bei Eiliff muszierte erinnert sich:

Ich habe ihn dann später gelegentlich in Köln wiedergetroffen – und fand, dass seine jahrelange heftige Kifferei ihm offenbar nicht gutgetan hatte. Das letzte Mal sah ich ihn, als er mich etwa 1976 in Köln besuchte – kein sonderlich erbauliches Treffen, weil er mir die ganze Nacht die Ohren volldröhnte, wie großartig er doch sei bzw. wäre, wenn man ihn nur ließe.

Houschäng auf dem Cover eines Eiliff-Albums

Apropos: Seine musikalische wichtigste Zeit hatte Houschäng wohl bei Eiliff, einer hoch intellektuellen, in Köln ansässigen Band, die vom (Free) Jazz kam und sich in einer Fusion-Progrock-Dimension bewegte. Leider ist diese irrwitzige Truppe im Krautrocksumpf verlorengegangen, obwohl sie musikalisch in einer Liga sowohl mit Softmachine, als auch Mahavishnu spielten. Hier konnte Houschäng sein meditiative Gitarrenspiel ebenso einbringen wie seine Fähigkeiten an der Sitar; vermutlich hat es vor und nach ihm keinen zweiten Könner wie ihn auf diesem Instrument in der deutschen Rock-Jazz-Szene gegeben.

Aber, wie Rich Schwab andeutet, die Welt war ihm nicht genug. So wundert sein Wechsel zu einer der großen Krautrock-Ikonen im Jahr 1973 nicht. Rund um das gigantische Album „Dance of the Flames“ wurde er Mitglied von Manni Neumeiers Guru Guru. Und das erwähnte Album dürfte überwiegend auf Houschängs Mist gewachsen sein. Aber, so Rich Schwab, weiter:

Mit Guru Guru hat er dann ein Album (oder sogar zwei?) aufgenommen – aber dass zwei Egos wie er und Mani auf Dauer Probleme bekommen würden, war mir damals schon klar.

Letzte Spur: Welcome

Houschäng mit Martin Wieschermann bei Welcome

Halten wir fest: Kurz und heftig war Hounschängs Karriere: Sie begann etwa 1967 bei The Smash und endete vorerst mit seinem Ausstieg aus Guru Guru im Jahr 1974. Sieben Jahre Musik, sieben Jahre Hach ohne Ende, sieben Jahre mittendrin in dem, was sich in Deutschland musikalisch tat. Dann fehlt ein Stück seiner Biografie. Verschiedene Leute geben an, ihn ab 1975 in Düsseldorf meistens in der „Werkstatt“ (einer Kuktureinrichtung, aus der das tanzhaus nrw entstanden ist) oder in Hendrik Hendriks‘ „Café Grüner Mond“ an der Grafenberger Allee gesehen zu haben. Er soll dort auch gelegentlich solo mit Gitarre und/oder Sitar aufgetreten sein. Hendrik haben wir befragt, aber er konnte oder wollte sich dazu nicht äußern.

So führt die letzte Spur zum Projekt des Jazzdrummer Martin Wieschermann namens „Welcome“. Das fand so um 1980 herum statt. Man orientierte sich am Mahavishnu Orchestra und an „Dance of the Fames“ und nahm Stücke für ein Album auf, die alle von Houschäng stammten. Hier eine Kostprobe auf Soundcloud. Aber zu Auftritten oder einer Plattenproduktion kam es nicht. Martin Wieschermann schrieb uns dazu:

Ja, ich war wohl sein letzter Schlagzeuger. Wie haben zusammen Die Band WELCOME gehabt und ich habe ein Demo Band produziert auf das ich noch heute sehr stolz bin und es immer wieder mal höre. Es steht musikalisch in direkter Linie mit dem Album „Dance Of The Flames“ von GURU GURU und wir hatten uns als Band viel vorgenommen — doch dann verschwand Housheng — er war noch ein zwei Jahre in der Werkstatt zugange — hatte auch noch ein paar Solo Auftritte — ich hab ihn noch ein , zwei mal gesehen — aber dann verliert sich seine Spur auch für mich, das war so um 1983 – 1984.

Aber ein romantisches Gerücht hatte Martin für uns noch in petto:

vor zwei Jahren habe ich gehört man hätte ihn in einer Kneipe in Solingen gesehen — da bin ich dann mal hingefahren — dort ist ein alter Mann Namens Huschi bekannt — könnte er gewesen sein ??? vor zwei drei Jahren war ich im Mums und habe mich dort erkundigt. Da sagte die Kellnerin hinter der Theke – es gäbe einen alten Mann namens Huschi — Houscheng müsste vielleicht so an die 70 sein — ???

Und dann antwortete auch noch Rainer Brüninghaus, der Keyboarder und Gründer von Eiliff:

leider kann ich nur eine der Fragen beantworten, und zwar die, wann ich zuletzt Kontakt mit ihm hatte: nachdem ich 1973 bei Eiliff ausgestiegen bin, hatte ich zunächst für viele Jahre gar keinen Kontakt mehr zu Houschäng. Durch einen absoluten Zufall der Marke „Die Welt ist klein“ sprach er mich aber völlig unerwarteterweise ca. Mitte der Achtziger-Jahre auf Mallorca an, wo ich mit meiner Frau Urlaub machte. Ich hatte ihn zunächst nicht erkannt, da er sich äußerlich stark verändert hatte. Nach kurzem Plaudern verabredeten wir uns für einen der nächsten Tage zu einem Treffen. Das hat dann aber nicht geklappt. Seitdem weiß ich leider nichts weiter über Houschäng.

Verschollen seit 30 Jahren

Insgesamt existieren drei Theorien über Houschängs Verbleib. Die erste besagt, er sei schon in den Achtzigern gestorben – möglicherweise an Drogenmissbrauch. Die zweite, die von den meisten Befragten angenommen wird, ohne das es irgendeinen Beweis gibt, geht davon aus, dass Houschäng unerkannt und schon seit Langem auf Ibiza, Formentera oder Mallorca lebt. Schließlich ist da noch das Märchn vom alten „Husch“ in der Solinger Kneipe „Mums“. Dass er angeblich das Teppichgeschäft des Vaters übernommen hat, ist so gut wie unmöglich, denn der Laden von Herrn Nejadepour auf der Stresemannstraße wurde schon in den frühen Achtzigerjahren geschlossen.

Und weil das alles so spannend und so mysteriös ist, bitten wir alle Leserinnen und Lesern, die irgendeine Information zu Houschäng Nejadepour haben, um sachdienliche Hinweise.

[Bildquelle „Houschäng und Kraftwerk“: Endless Kraftwerk]