Sagen wir es offen: Eine Mannschaft, die sich so leicht zwei Dinger reinmachen lässt, hat den Klassenerhalt nicht verdient. Das Doofe ist bloß, dass nicht diese Trümmertruppe namens „Schultes Erbe“ absteigen würde, sondern der Verein, die glorreiche Fortuna. Und das mit unabsehbaren Folgen. Man muss keine Kassandra sein, um F95 das Schicksal der rot-weißen Essener vorherzusagen, die sich gerade am Abstieg in die FÜNFTE Liga vorbeispielen. Außerdem lässt sich das gestrige Versagen noch nicht einmal an einzelnen Kickern festmachen. Da wirken die Beschimpfungen gewisser Fans gegenüber diesen Spielern eigentlich nur noch hilflos. Und blöd: Was sollen denn Kemal Rüzgar, Emma Iyoha und Ihlas Bebou denken, wenn ihnen „Wir sind Fortunen und ihr nicht“ entgegenschallt? Wer zudem den Herren, die gestern in Rot auf dem Platz waren, mangelnden Kampfgeist vorwirft, hat das Spiel nicht gesehen. Denn da wurde dauerhaft nachgesetzt und gerannt, da gab es serienweise Ballereroberungen und gewonnen Zweikämpfe. Nur was danach kam, war flächendeckend jämmerlich, planlos und/oder konfus.

Wieder einmal stieg die Fehlerquote auf astronomische Höhen, wieder einmal wurde konsequent der freie Mann übersehen, wieder einmal wurden Fernschüsse schlümm versemmelt und wieder einmal brachten die Standards genau nichts. Spätestens mit diesem Trauerspiel im niedlichen Guckindieröhre-Stadion an der Wedau ist bewiesen: Nein, an den vielen, vielen Trainern die das Loser-Tandem Jäger-Azzouzi mit Rückendeckung des Aufsichtsrats verschlissen hat, lag und liegt es nicht. Wobei es einem ja vorkommt, als handle es sich bei dem besagten Duo um Zocker, die nach einer Negativserie am Roulette-Tisch immer mehr Kohle in Chips umtauschen und dem Verlust immer mehr Verlust hinterherwerfen. Vielleicht wäre es gerade für den Herrn Azzouzi ein Nachweis seiner Fähigkeit gewesen, schon zu Beginn der Saison den Einsatz des eigenen Nachwuchses konsequent einzufordern anstatt hüftlahme und verbrauchte Profis nachzuschieben.
Nun werden ihm ja immer seine Wintereinkäufe zugutegehalten. Aber das ist eine klassische Soccer-Computerspiel-Argumentation – ja, an der Playstation, da macht man das, aber im echten Fußballleben… Wenn ein Kader struktur- und führungslos ist und der Geist fehlt, der aus einem Kader eine Mannschaft macht, dann helfen die dollsten Zusatzkäufe nichts.

Die Umstände
Ihr sehr ergebener Berichterstatter war beim Fanmarsch vom Bahnhof Im Schlenk zum Stadion nicht mittendrin, aber kommunikativ dabei. Auf der Rückfahrt nahm der SCD-Bus einen jungen Kerl, vielleicht 15 oder 16 Jahre alt, mit, der von den Cops heftigst mit Pfefferspray bestrahlt worden war – ein eher zarter Bursche, offensichtlich schockiert. Und der berichtete aus seiner Sicht, was zwischen 17:00 und ca. 18:50 geschehen ist. Dutzende Nachrichten, die während des Spiels und danach eintrafen, bestätigen seine Darstellung. Und die weicht ganz erheblich von dem ab, was die Polizei offiziell verlauten ließ:

Etwa 2000 Fortuna-Anhänger sammelten sich ab 17:00 Uhr am S-Bahnhof Im Schlenk und starteten erst gegen 17:50 Uhr geschlossen zum Stadion. Sie bauten dadurch gezielt massiven Druck auf die Kontrollstelle am Gästeeingang auf, obwohl die Polizei mit zahlreichen Lautsprecherdurchsagen davor gewarnt hatte, dass es bei einer so großen Gruppe zu erheblichen Verzögerungen kommen wird. Immer wieder versuchten Fangruppen, durchzubrechen. Die Polizei setzte Pfefferspray und den Einsatzmehrzweckstock ein. Gegen 18:50 Uhr öffnete die Polizei schließlich die Sperrstelle und ließ die letzten 400 – 500 Fans unkontrolliert ins Stadion, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Es gab einen verletzten Polizisten, 1 verletzte Ordnerin und acht verletzte Fortuna-Anhänger. Auf dem Weg zum Stadion zündeten einzelne Fans Pyrotechnik. Zahlreiche Bengalos, Rauchtöpfe und Knallkörper stellten die Beamten sicher. Im Stadion brannten die Fortuna-Anhänger mehrfach Bengalos und Pyrotechnik ab. Hier werden Strafverfahren eingeleitet und die Täter mit Hilfe der Videoaufzeichnungen identifiziert. Die Abreise verlief zunächst ohne Störungen. Am Bahnhof Schlenk musste dann noch der Wasserwerfer eingesetzt werden, da die Fortuna-Anhänger eine Polizeiabsperrung durchbrechen wollten. Außerdem bewarfen sie die Polizisten mit Flaschen. Insgesamt wurden 24 Strafverfahren durch die Polizei eingeleitet.

Interessant an dieser Meldung: Sie wurde ab etwa 19:20 bis nach 22:00 mehrfach geändert und ergänzt. Allein der erste Satz erstaunt, weil er impliziert, die angereisten Fortunen hätten aus freien Stücken mehr als eine Dreiviertelstunde am Bahnhof Im Schlenk gewartet. Tatsächlich wurde – wie üblich bei Spielen von F95 in Duisburg – der Fan-Mob mit verschiedenartigen Begründungen dort festgehalten. Geradezu lächerlich die Argumentation, durch das späte Eintreffen sei „massiver Druck“ aufgebaut worden. Augenzeugen berichten, dass die Polizeieskorte während des Marsches mit Absicht den Weg verengt habe, damit sich der Zug mehr in die Länge zieht, was zu mehreren Staus führte, die wiederum nach sich zogen, dass die Fan-Masse erst so spät am Gästeeingang eintraf. So kam es, dass sich die gemeinsam eingetroffenen Fans erst ab 18:20 am Gästeeinlass sammelten.

Und als hätten die Cops in Duisburg noch nie etwas von Hillsborough gehört, ließen sie die Truppe auch am eigentlichen Einlass noch einmal auflaufen. Zwischen der Straße, die an der Wedau vorbei verläuft, und dem Gästeeingang windet sich ein Weg von etwa acht Metern Breite über rund 100 Meter – in diese Falle wurden die Fortunen geschickt. Und weil inzwischen das Spiel längst angepfiffen war, drängten die Fans zunehmend – eine Situation, die der ähnelt, die vor 27 Jahren 96 Liverpool-Fans das Leben kostete. Inzwischen ist klar, dass am Desaster in Sheffield einzig und allein die Polizei die Schuld trug. Als gestern in Duisburg die Fans gegen den Eingang drängten, begannen Polizisten die erste Reihe massiv mit Pfefferspray und Schlagstock zu bearbeiten. Was die Situation natürlich nicht entspannte. Weil der Druck im Schlauch zwischen Kontrolle und Eingang zunahm, öffnete man gegen 18:50 – also nach einer halben Stunde potenzieller Paniksituation – die Tore und ließ die Masse ins Stadion strömen.

Dass es am Gästeeingang immer wieder – nicht nur, wenn Fortunen anreisen – zu haarsträubenden Situationen kommt, ist bekannt und den baulichen Bedingungen geschuldet. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass die Dinge dort nicht immer gut gehen werden. Aber die Betreiber ignorieren die Gefahr und überlassen der Polizei die „Lösung“.

Die Stümmung
Ja, es war ein erhebendes Gefühl, Teil dieser 6.000 Fortunen zu sein, die nicht nur die Südtribüne füllten. Wunderbar auch, wie vor dem Eintreffen der Ultras laute und wilde Anfeuerungen an verschiedenen Ecken entstanden und von allen aufgenommen wurden. Ja, wir waren laut, und in der ersten Halbzeit war die Stümmung grandios und beinahe das, was man „Oldschool“ nennt. Ganz ehrlich: Besser wurde es mit den Ultras in ihrem Block auch nicht. Vielleicht ist gestern auch klar geworden, dass mancher Singsang zur Trommel die starken Emotionen der Nicht-Ultras eher dämpft als befeuert.

Dass es im Stadion brennen würde, war klar. Das muss im Wedau-Stadion so sein, das hat Tradition. Man fragt sich nur, ob die Jungs mit den Fackeln eigentlich irgendein Gespürt für die Spielsituation haben. Gerade beim ersten Einzelkämpfer dachte sich mancher: Oh, ein Egotrip in Skimaske. Als es dann aber so richtig loderte im Block, da nahm das die überwiegende Mehrheit der Fortuna-Anhänger mit Beifall auf. Auch wenn es zu einer Spielunterbrechung führte – da stand es noch 1:0 für die Meidericher. Nach der Feuerpause fiel dann das 2:0; und gewisse Medienvertreter basteln sich daraus einen kausalen Zusammenhang – was für Schwachköpfe!
Leider sind ja manche Zündelhelden zu doof für diese Welt und meinen, nicht ganz abgebrannte Bengalos aufs Spielfeld werfen zu müssen. Oder diese Arschgeigen, die versuchen, ihr Winzhirn durch das Abfeuern von Böllern in Schwung zu bringen – man kann nur hoffen, dass sie von ihren Kumpels dafür gelegentlich mal was aufs Maul kriegen.

Am Ende war die Befindlichkeit unter den Düsseldorfer Fans dann gemischt. Mancher versuchte sich mit einem Blick auf die Blitztabelle zu beruhigen, andere schüttelten minutenlang den Kopf, wieder anderen stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben, und die mehr so testosteron-gesteuerten Anhänger verfielen in routinemäßige Spielerbeschimpfung. Aber letztlich fragten sich alle: Was machen wir denn jetzt?

Das wird sich auch der neue Vorstandsvorsitzende Robert Schäfer denken, der sich unter die Fans gemischt hatte und vor dem Spiel jeden, der ihn erkannte, freundlich grüßte. So harmlos der Mann aussieht, so hart und sicher trifft er offensichtlich Entscheidungen, die sein kommissarischer Vorgänger und davor auch Dirk Kall immer gern auf die lange Bank geschoben haben. Vermutlich hat er gestern Abend schon ein paar weitere harte und sichere Entscheidungen vorbereitet…