Wenn ich mit dem Hund im Volksgarten / Südpark die Runde drehe, begegnen wir oft einer Frau am Ende der mittleren Jahre mit einem Langhaardackel. Bisher verlief der Kontakt immer freundlich. Heute sah sie meinen Windhund an und sagte mit einem verschmitzten Grinsen: „Der ist aber dünn. Kriegt der nichts zu fressen?“ Ich verstand den Witz und grinste pflichtschuldigst zurück. Dann sagte sie: „Ich hab im Rucksack einen ganzen Stapel Zettel mit Antworten. Lebe seit 40 Jahren vegan, da hört man immer denselben Unfug.“ Wir wurden unterbrochen, setzten das Gespräch aber fort, indem wir ein Stück zusammen gingen. Ich beschrieb ihr mein Verhältnis zu veganer Ernährung: dass ich jeden respektiere, der sich dafür entscheidet, dass mir aber der Hype tierisch auf den Geist ginge, und dass dieser Attila Hildtmann ein Volla**** sei. Sie stimmte zu und erwähnte, dass sie aus rein ethischen Überlegungen auf Fleisch und tierische Produkte verzichte. Wieder sagte ich, dass ich das für respektabel halte. Und beschrieb meinen Umgang mit dem Essen von Fleisch, Eiern und Milchprodukten. Spürte ihren aufsteigenden Ärger. Und dann fing sie mit einem Sermon an.

Der Mensch brauche keine Tiermilch, er werde ja als Kind abgestillt. Die Aminosäuren seien eigentlich unverträglich, und Milch sei praktisch pures Gift. Ich kommentierte das nicht. Dann: Der Mensch müsse kein Fleisch essen, er sei ja Allesfresser. Ich betonte, dass ich gern FFleisch äße, aber darauf achte, woher es stamme, dass ich auch schon einer Schlachtung beigewohnt habe und industrielle Massentierhaltung ganz fürchterlich fände. Das reichte ihr nicht. Sie begann weiter, meine offenen Türen einzutreten. Und beendete einen Satz, in dem die „China Study“ vorkam und – ich glaube – Konrad Lorenz, mit der Aussage: „Wir müssen kein Fleisch essen, wir müssen nicht töten. Und das ist die Wahrheit.“

Nun werde ich unruhig, wenn Menschen ethisch-moralische Aussagen mit „Das ist die Wahrheit“ beenden oder irgendeine Meinungsäußerung mit „Fakt ist…“ beginnen. Weil es mir außerdem zu blöd wurde, während der Hunderunde, die bei mir eher meditativen Zwecken dient, eine stehendfreihändige Moraldiskussion zu führen, sagte ich wörtlich folgendes: „Das wird mir jetzt zu rigide. An dieser Stelle möchte ich die Diskussion beenden.“ Da tischte sie aus: „Ja, so seid ihr. Wenn’s hart auf hart kommt, kneift ihr.“ Und dergleichen. Ich beschleunigte meine Schritte, um von der Dame und ihrem Dackel wegzukommen, rief ihr aber noch ein herzhaftes „Esoterische Missionarstusse!“ entgegen. Sie redete von da ab die nächsten 50 Meter, der Abstand wurde größer, auf mich ein, ich habe Vorurteile, das habe nichts mit Esoterik zu tun, das seien Fakten. Und und und…

Während des Heimwegs wurde mir klar, wo genau das Problem mit vielen Veganern sitzt, die ja hierzulande weit überwiegend aus dem bürgerlichen, oft aus dem großbürgerlichen Millieu kommen. Also aus den Kreisen, die immer vom Kapitalismus profitieren, aber ein ewig schlechtes Gewissen haben. Die – ich nenne sie mal so – „Alt-Veganer“ gehören meiner Erfahrung und Beobachtung beinahe immer irgendeiner esoterischen Denkrichtung an, sehr häufig dem radikalen bzw. hysterischen Tierschutz, nicht selten aber auch irgendwelchen verquere nicht-christlichen Religionen. Einige dieser Menschen, die den Verzicht auf tierische Produkte schon vor dem verrückten Hype der letzten sieben, acht Jahre betrieben haben, gehören in die Tradition der Reformbewegung und hängt gern unwissenschaftlichen Gesundheitstheorien an. So weit sind die aber alle harmlos – es sei denn, sie geraten in die Kreise der Verschwörungstheoretiker, die sich gerade am rechten Rand der Gesellschaft sammeln.

Die zweite Gruppe Veganer, die ich „aufgeklärte Veganer“ nennen würden, kommen von der vegetarischen Ernährung und führen vorwiegend gesundheitliche und/oder politische Argumente ins Feld. So diese Argumente fundiert und nicht bloß nachgeplappert sind, kann ich diese Leute absolut und uneingeschränkt respektieren. Und stelle immer wieder fest, dass es die Veganer sind, die am ehesten darauf verzichten, Fleischessern ein schlechtes Gewissen zu machen oder sie zu missionieren. Und die dritte Gruppe besteht fast ausschlielich aus Kids zwischen 16 und 32, die „vegan“ für irgendwie widerständig, rebellisch, cool und moralisch überlegen halten. Die nerven mich, ja, TIERISCH. Besonders aber diejenigen, die vegane Ernährung für eine Art politische Aktion halten. Denen werfe ich gern den Marcuse-Satz davon an den Kopf, dass es kein richtiges Leben im Falschen gebe. Konkret: Dass nicht der Verzicht auf tierische Produkte zum Ende des Kapitalismus führt, sondern dass das Ende des Kapitalismus zwingend das Ende der industriellen, tierfeindlich und menschenvergiftenden Fleischproduktion mit sich brächte.

Die Frage der Ernährung in der ersten Welt so in den Mittelpunkt zu stellen, ist völlig unpolitisch und meist nicht mehr als der Versuch, der moralischen Verkommenheit der Bourgeoisie zu entkommen. Denn das hat es, das Bürgerkind: Ein verdammt schlechtes Gewissen, dass es in Saus und Braus leben kann, während in den armen Ländern die Menschen verrecken. Und dieses Gewissen zu entlasten, dafür tut das Bürgerkind fast alles.

Eines noch: Veganer, die in diesen Beitrag jetzt wieder herauslesen, ich hätte Ressentiments gegen Menschen, die auf tierische Produkte verzichten, dürfen sich getrost zur Kategorie 3 gehörig zählen.