Porträt · Es ist eindeutig mein Düsseldorfer Lieblingsblog, es heißt theycallitkleinparis und gehört der geschätzten Kollegin Alexandra Wehrmann. Die hat dieses Jahr schon mit einem feinen Buch über den Stadtteil ihres Herzens für Aufmerksamkeit gesorgt: „Oberbilk – Hinterm Bahnhof“ heißt es und porträtiert die Menschen dort. Es ist nicht das erste Projekt, mit dem Frau Wehrmann auffällig geworden ist – man erinnere sich an den von ihr erdachten und organisierten lebenden Adventskalender, der sich 2019 an einer Oberbilker Toreinfahrt abspielte. [Lesezeit ca. 4 min]

Mir persönlich imponiert Alexandra Wehrmann allerdings am meisten wegen ihrer wundervollen Interviews, die mir und anderen immer wieder Menschen nahebringen, die es verdient haben. Das neueste Projekt aber heißt „In die Leere“ und soll interessierten Düsseldorfer:innen die Brachen der Stadt vorführen und sie animieren sie im Sinne einer lebendigen Stadt anzueignen. Grund genug, endlich ein 5-Fragen-Interview mit Frau Wehrmann zu führen.

Frage: Du hast sicher eine Vorstellung von einem lebenswerten Düsseldorf – wie sieht die aus?
Antwort: Ein Thema, das mir sehr wichtig ist und zu dem ich gerade auch journalistisch arbeite, ist das Thema preiswerter Wohnraum. Ich habe vor Kurzem ein Interview mit Helmut Schneider geführt, der sich im „Bündnis für bezahlbaren Wohnraum“ engagiert. Dabei habe ich vieles erfahren, was mir neu war, und ebenso vieles, was mich sehr beunruhigt. Zum Beispiel hätten 50 Prozent aller Menschen, die in Düsseldorf zur Miete wohnen, Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein. Der Anteil von Sozialwohnungen am gesamten Mietwohnungsbestand beträgt aber nur 4,4 Prozent – und sinkt weiter. Viele Menschen müssen mehr als 30 Prozent ihres Einkommens fürs Wohnen ausgeben. Um die Stadt für viele lebenswerter zu machen, sollte man da auf jeden Fall versuchen gegenzusteuern. Ansonsten gibt es durchaus vieles, was Düsseldorf für mich lebenswert macht. Ich mag zum Beispiel die rheinische Mentalität sehr gerne, die Tatsache, dass man sehr schnell mit Menschen ins Gespräch kommt.
Den großen Fluss finde ich auch toll, gerade für Fahrradtouren! Und das umfangreiche kulturelle Angebot. Auf ein Opernhaus für 700 Millionen Euro kann ich allerdings getrost verzichten. Und viele andere, glaube ich, auch.

F: Als nächstes gehst du in die Brachen – wie bist du denn auf diese Idee gekommen?
A: Ich finde grundsätzlich Flächen spannend, die keine Funktion haben, sondern einfach so in der Gegend rumliegen. Düsseldorf ist ja – gerade wenn man es mit manchen Städten in Ostdeutschland vergleicht – eine Stadt, die sehr dicht bebaut ist und über entsprechend wenig Freiflächen verfügt. Auf Brachen scheint erst mal alles möglich. Es gibt keinen Konsumzwang, keine Regeln, man kann Lärm machen, ohne dass sich Menschen gestört fühlen. Solche Flächen möchte ich für einen kurzen Moment beleben – sei es durch eine Veranstaltung wie das Brachen-Picknick am 26. August, ein spontanes Konzert oder gemeinsames In-den-Sonnenuntergang-Tanzen.
Das Format, in dem all dies stattfinden soll, nennt sich „In die Leere“. Ich habe schon einige Flächen im Auge: unter Brücken, am Rande der Autobahn oder unweit von Bahngleisen. Solche Orte aufzuspüren, bereitet mir diebisches Vergnügen.

„In die Leere #1“ findet am 26. August ab 19 Uhr statt. Geladen wird an dem Abend zu einem Brachen-Picknick. Anmelden kann man sich ab sofort unter salut@theycallitkleinparis.de. Der Treffpunkt wird nach Anmeldung bekannt gegeben. Jede:r Teilnehmer:in wird gebeten, etwas zu essen mitzubringen.

F: Was meinst du: Warum lässt sich Oberbilk nicht gentrifizieren?
A: Die Gentrifizierung in Oberbilk ist meines Erachtens in vollem Gange. Das sehe ich komplett anders als der Pastor Lars Schütt, der in unserem Buch „Oberbilk. Hinterm Bahnhof“ ja gesagt hat, die Gentrifizierung Oberbilks sei ein Mythos. Die Immobilienpreise, sei es für Wohnen oder Kaufen, sind in den vergangenen Jahren rasant gestiegen. Es kommt eine neue Klientel ins Viertel. An dem Haus, in dem ich selbst wohne, lässt sich das gut beobachten. Hier ziehen überwiegend junge, gut ausgebildete und entsprechen zahlungskräftige Paare ein. In dem Wohnquartier „Schöffenhöfe“ gibt es Häuser, auf deren Klingelschildern ausschließlich deutsch klingende Namen stehen. Das entspricht der Mischung im Viertel, in dem über 50 Prozent der Bewohner:innen eine Migrationsbiografie haben, natürlich überhaupt nicht.
Wenn irgendwann das Wohnquartier „Grand Central“ fertig werden sollte, in dem über 1.000 Wohnungen entstehen sollen, wird das natürlich auch Auswirkungen auf die Bestandsmieten im Viertel haben. Bestimmte Gruppen werden zwangsläufig verdrängt werden. Vielen Bewohner:innen, auch Menschen aus der Mittelschicht, bereitet das Sorge.

F: Wenn nicht Oberbilk – welches andere Viertel könnte dir noch passen?
A: Och, da gibt es einige. Während der Corona-Pandemie habe ich zum Beispiel mein Herz für Wersten entdeckt, weil ich dort oft spazieren gegangen bin. Die Werstener Riviera, die von der Autobahn nur durch eine Betonwand getrennt wird, aber auch die Gegend rund um Nixenstraße und Ohligser Straße.
Ansonsten mag ich das „untere“ Gerresheim mit seiner starken Prägung durch die italienische Community sehr, auch wenn das durch das drohende Glasmacher-Viertel bestimmt eine sehr starke Veränderung erfahren wird. Der umgebaute Bunker an der Heyestraße Ecke Torfbruchstraße ist für mich ein architektonisches Highlight.
Insgesamt fühle ich mich überall dort wohl, wo die Bewohnerschaft möglichst gemischt ist, wo es lebendig zugeht – und wo einen das Konsumangebot nicht komplett erschlägt.

F: Welche Rolle spielt das kleine rote Fahrrad in deinem Leben?
A: Das kleine rote Rad ist für mich das, was der Porsche für Männer in der Midlife Crisis ist. Ein Statussymbol. Den überwiegenden Teil der Woche steht es in unserem Arbeitszimmer, wird bestaunt und ab und zu poliert. Sonntags fahre ich es dann gerne aus, würde es aber niemals irgendwo stehen lassen, weil ich Sorge habe, es könnte abhandenkommen. Die Touren, die ich unternehme, dürfen dabei nicht allzu lang sein. Das kleine rote Rad, übrigens ein finnisches Fabrikat, hat nämlich nicht nur kein Licht und keine Handbremse, sondern auch keine Gangschaltung. Dazu kommen die kleinen Räder, die das Fahren vergleichsweise anstrengend machen.