Nicht selten reden Leute, die sich nicht so gut auskennen, von „Nazi-Architektur“, wenn sie die Bauwerke rund um den Ehrenhof sehen. Und das ist so falsch wie etwas nur falsch sein kann. Tatsächlich entstanden Tonhalle, Rheinterrasse und Ehrenhof für die legendäre Ausstellung GeSoLei im Jahre 1926, durch Düsseldorf in Deutschland, aber auch in Europa und Übersee berühmt machte. Diese Veranstaltung zog in etwas mehr als fünf Monate rund acht Millionen Besucher an und war aus heutiger Sicht dem Optimismus und Fortschrittsglauben der Weimarer Zeit gewidmet. Im Blick hatten die Macher den modernen Menschen, den gesunden, sich und seine Talente verwirklichenden Bürger eines demokratischen Staates. Und weil die Ausstellungsverantwortlichen alle verfügbaren medialen Kanäle auf höchst moderne Weise bedienten, kam Düsseldorf über diesen Sommer auf die Landkarten dieser Welt.
Das hätte aber schon 24 Jahre früher geschehen können. Die riesige „Industrie- und Gewerbeausstellung Düsseldorf“ von 1902 war nämlich noch größer und brachte noch mehr städtebauliche Veränderungen mit sich als die GeSoLei. Ähnlich wie die Weltausstellung von 1900 in Paris ging es bei dieser Veranstaltung ausschließlich um den technischen Fortschritt – die Montanindustrien standen im Vordergrund. In Düsseldorf entstanden für die ebenfalls fünf Monate dauernde Messe mehrere Hallen in Stahlbauweise, darunter die ersten demontierbaren – die Jahrhunderthalle in Bochum stand zum Beispiel auf der Düsseldorfer Industrie- und Gewerbeausstellung und wurde nach Ende der Veranstaltung abgebaut und in Bochum wieder errichtet. Beide Ausstellungen fanden direkt am Rhein größtenteils auf der Golzheimer Insel statt – und hatten eine Vorgängerin: 1880 fand in Düsseltal, ungefähr da, wo heute Zoopark und Eisstadion liegen, die Rheinisch-Westfälische Gewerbe- und Kunstausstellung statt, die bereits Aufmerksamkeit erregte. Weil Düsseldorf erst gegen Ende der Gründerzeit zu einer ernstzunehmenden Industriestadt geworden war. Während 1880 knapp 100.000 Menschen in der schönsten Stadt am Rhein lebten, waren es 1902 schon rund 200.000 Bewohner, und 1926 – immerhin erst sieben Jahre nach dem Ende des ersten Weltkriegs – hatte Düsseldorf dann schon um die 430.000 Einwohnern. Das Bevölkerungswachstum hatte seine Ursache einzig und allein in der rasanten Industrialisierung der Stadt mit über 60 Fabriken der stahlverarbeitenden Industrie und Hunderten anderer Industriebetriebe, die Arbeiter brauchten, Arbeiter und nochmal Arbeiter. Mehr als ein Dutzend neuer Stadtviertel waren zwischen 1880 und 1908 auf ehemals landwirtschaftlich genutzten Flächen entstanden, und 1908 und 1909 wurden dann Wersten, Stockum, Lohausen, Rath, Gerresheim, Ludenberg, Eller, Himmelgeist sowie Heerdt einschließlich Oberkassel, Niederkassel und Lörick eingemeindet. Ab 1910 erst galt Düsseldorf als Großstadt – und zwar als eine, die sich einen Teil des Charmes aus der Zeit als Residenzstadt voller Kunst, Musik und Mode bewahrt hatte. Wie in den meisten anderen Metropolen in den Goldenen Zwanzigern, herrschte nach dem Ende des ersten Weltkriegs und mit der neuen Friedenswirtschaft Aufbruchstimmung. Die Arbeiter hatten sich neue Rechte erkämpft, die Regierung wurde demokratisch gewählt, die Gesellschaft war – besonders in den Städten – weltoffen und tolerant auch gegenüber Außenseitern, Wohlstand und Lebensqualität waren gestiegen, und die sich rasant entwickelnde Technik galt als Garant für eine wunderbare Zukunft. Genau diesen urbanen Optimismus sollte die GeSoLei widerspiegeln. Und deswegen ging es nicht mehr um Industrie, sondern um Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen. Dass das NS-Regime 1937 das Konzept mit der „Reichsausstellung Schaffendes Volk“ nachahmte und zu einer Propagandaschau des nationalsozialistischen Deutschlands umfunktionierte, bewies nur nachträglich die enorme Bedeutung der GeSoLei. Man erinnere sich: Die Arbeiterfamilien wohnten in Mietskasernen unter schlimmen hygienischen Umständen, oft mit acht, neun Personen in zwei Zimmern, Klo auf halber Treppe. Denn das war einer der Gründe, dass die Bevölkerung – nicht nur in Düsseldorf – so schnell wuchs: Die Frauen bekamen zwar nicht mehr Kinder, aber immer mehr Kinder überlebten – trotz der fürchterlichen Bedingungen – das Säuglingsalter. Und weil es zwei Begriffe im Namen der Ausstellung gab, die das thematisierten, ging es auch um menschenwürdiges Wohnen. Denn auf der Messe wurden fortschrittliche Bautechniken und ihre praktische Anwendung für die Behausung von Arbeiterfamilien vorgestellt – und in der Folge überall in Deutschland in die Praxis umgesetzt. So entstand in Hochdahl – der Teil heißt heute Trills – ein Wohnkomplex, der im Herbst 1931 bezugsfertig wurde. Das vollständig unterkellerte Haus hatte eine gemeinsame Waschküche mit Ausgang in den Garten. Jede der zehn Wohnungen hatte drei Zimmer und eine eigene Toilette. Alles Vorgaben, die auf der Ausstellung gezeigt und propagiert worden waren. Kein Wunder, dass die Anlage bei den Leuten bald nur noch „die Gesolei“ hieß.Auch in Elsdorf, einer wegen der Zuckerindustrie rasch wachsenden Gemeinde westlich von Bergheim entstand eine Gesolei-Siedlung. Überhaupt: Im weiteren Umkreis von Düsseldorf wurden ab etwa 1928 etliche Siedlungen für Arbeiter gebaut, die den Gesolei-Standards entsprachen. Einige sind erhalten, werden aber heute kaum noch mit der 1926er-Ausstellung in Verbindung gebracht, andere gibt es schlicht nicht mehr. Aber auf der GeSoLei fanden interessierte Besucher jede Menge ganz praktischer Informationen zu der damals noch kaum diskutierten Frage der Hygiene und der allgemeinen Gesundheit. Zum allerersten Mal auf einer solchen Ausstellung wurde zudem der Sport als eigenes Thema behandelt. Überhaupt war die GeSoLei eine große Wundertüte mit Anregungen, Ideen, Vorschlägen und anfassbaren Dingen wie es sie zuvor noch nie irgendwo gegeben hatte.
Nun war die Ausstellung aber keine didaktische Show – rund 60 Prozent der GeSoLei-Fläche waren als Vergnügungspark angelegt. Es gab alles, was es auf einer Kirmes gibt einschließlich des allerersten Autoscooters auf deutschem Boden. Fast jeden Abend gab es Musik und Tanzvergnügen, im Kuppelsaal der Rheinterrasse wurde zu Live-Musik bekannter Orchester geschwoft, was das Zeig hielt. Ja, es gab sogar einen eigenen GeSoLei-Schlager mit dem schönen Refrain „Geh so leih mir dein Mündchen“, der natürlich auf Schallplatte zu haben war, für die mit eigenen Postkartenmotiven geworben wurde. Überhaupt: Rund um die Ausstellung kamen buchstäblich Hunderte verschiedener Postkarten auf den Markt, und es gehörte unbedingt zum Programm eines Besuchs, den Lieben daheim eine Karte zu schreiben und im Postamt der Ausstellung versehen mit einem GeSoLei-Stempel zu verschicken. Rund um die Ausstellung und schon in deren Vorfeld entstanden aber auch eine Reihe Fachdiskussionen, die zum Teil in Form von Aufsätzen und Artikel in der GeSoLei-Zeitung bzw. Zeitschrift erschienen. Die gab es von 1925 bis zum Beginn der GeSoLei. Aber auch die zeitgenössische Kunst war vollkommen integriert, und viele Menschen hatten hier zum ersten Mal die Gelegenheit, diese für sie neue Kunst zu sehen. Und natürlich profitierte Düsseldorf in vielerlei Hinsicht vom gesamten Projekt. Die Rheinbahn hatte eigens die Linie G eingerichtet, die vom Hauptbahnhof bis zum Ehrenhof fuhr. Die heutige Tonhalle war ein Planetarium, eines der ersten in einer Großstadt, das gegen Eintritt für jedermann zugänglich war. Auch die Rheinterrasse wurde nach dem Ende der GeSoLei in den Festivitätenkalender der Stadt integriert. Und natürlich wurde der Ehrenhof und ein Teil der Hallen zur Keimzelle der neuen Messe, die heute längt sie alte Messe ist und deren Grundstücke inzwischen von Ergo-Versicherung für ihre Zwecke genutzt wird.Man trifft kaum noch auf Düsseldorfer, die im Jahr der GeSoLei lebten und die Ausstellung selbst besucht haben. Der Sommer 1926 muss verrückt gewesen sein – an 21 Wochenenden drängelten sich immer mindestens 200.000 Besucher zwischen der Altstadt und der Golzheimer Heide, im Vergnügungspark drängten sich die Leute wie heute an den heißen Tagen der Großen Kirmes am Rhein. Wegen der vielen Gäste von außerhalb entstanden mehrere Hotels, und man kann mit Recht sagen, dass die GeSoLei der Ausgangspunkt des ganzen Düsseldorf-Tourismus und des regelmäßig wiederkehrenden Messerummels in der Stadt war.
Hier der zur GeSoLei entstandene Animationsfilm, der genau den beschriebenen Optimismus zum Inhalt hat: