Die Flur-Schänke
Selbst alteingesessene Flingerer (Sag niemals „Flingeraner“!) schauen selten in die Zeit vor das Jahr 1900, wenn sie an ihren Stadtteil denken. Und wissen meist nicht, dass das Gebiet, das heute von den unabhängigen Stadtteilen Flingern-Süd und Flingern-Nord gebildet wird, bis zum Beginn der industriellen Revolution eine Mischung aus dünn besiedeltem, von großen Waldstücken durchsetztem Ackerland war. Bis etwa 1815 gab es hier fünf bzw. sechs Höfe, deren Existenz teils bis ins 14. Jahrhundert zurückreichte. Dies ursprünglich dicht bewaldete Land gehörte schon vor der Stadterhebung Düsseldorfs dem Rittergeschlecht Hayc von Flingern – das übrigens der Stadterhebung zustimmen musste und dies auch tat, weil zu ihrem Besitz auch Grund und Boden in der Altstadt gehörte.

Ausschnitt aus einem Stadtplan von 1909

Einige Straßennamen, besonders in Flingern-Nord weisen auf diese Vergangenheit hin, die Engerstraße auf den dortigen Hof, und sowohl die Acker-, als auch die Flurstraße auf die landwirtschaftliche Nutzung. Die Umwandlung in ein Industrie- und Wohngebiet vollzog sich rasant und radikal. Die Geschwindigkeit der Veränderung war so groß, dass es kaum Zeit für eine übergeordnete Planung gab. Was dazu führte, dass man aus alten Landstraßen, Wegen und Pfaden die neuen Stadtstraßen machte, die ungefähr so lagen wie wir sie heute kennen. Die Flurstraße in ihrer Linienführung zwischen Dorotheenplatz und Bruchstraße ist also in vieler Hinsicht das Paradebeispiel für die Entwicklung Flingern vom Ackerland zum belebten Wohn- und Arbeitsviertel.

Google-Map: Flurstraße in Flingern-Nord

Ob und wie weit nach Südwesten und Nordosten der Weg verlief, von dem jetzt noch das Stück Flurstraße übrig ist, wissen wir nicht. Sicher ist dagegen, dass sie eine der ersten Straßen außerhalb der Innenstadt war, in der Gleise der Elektrischen verlegt wurden. Und weil man hier eine Endhaltestelle brauchte, wurde aus dem Dreieck Flur-, Bruch- und Lichtstraße eine Wendeschleife. Die wurde bis vor wenigen Jahren genutzt, um der Linie 9 eine Entlastungslinie bis ins Herz von Flingern zu ermöglichen. Weil aber die Gleise Richtung Grafenberg durch die Lichtstraße verlaufen, zerfällt die Flurstraße bis heute in zwei sehr unterschiedliche Teile. Vom Dorotheenplatz bis zur Hoffeldstraße gibt es viel Verkehr, es ist laut und quirlig; ab dem Flurplätzchen (das seit einiger Zeit offiziell „Karl-Wagner-Platz“ heißt) wird es ruhig, es gibt kaum Durchgangsverkehr, und die Bäume spenden Schatten.

Eines der wichtigsten Gebäude an dieser Straße war über viele Jahrzehnte die Flurklinik an der Ecke zur Degerstraße. In dieser Frauenklinik wurden Tausende von Düsseldorferinnen und Düsseldorfern geboren, und wer dort zur Welt kam, der wird sich vermutlich sein Leben lang stolz als Flingerer Kind sehen. Ähnlich wie das von Nonnen geführte Liebfrauenkrankenhaus auf der Degerstraße um die Ecke, wurde auch die Flurklinik in den Achtzigerjahren als Krankenhaus aufgegeben. Investoren rissen sich das Objekt unter den Nagel, und es sah ein paar Jahre lang so aus, als würde dieses auffällige Haus zum Ausgangspunkt einer gnadenlosen Gentrifizierung des Viertels. Aber: Flingern-Nord hat noch immer jeden Angriff der Schönen und Wohlhabenden überstanden, ohne seinen Charakter wirklich zu verändern.

Das kann man an der Historie der Gastronomie sehr gut ablesen. Eine Institution war die Fischbratküche Walldorf, die leider nicht mehr existiert. Mit ihr begann die Karriere der Grillstuben und Imbisslokale an der Flurstraße, von denen es in den Siebzigerjahren mehr als ein Dutzend gab. Zeitweise gab es aber auch sage-und-schreibe sieben asiatische Restaurants auf dieser Straße, deren Nummern nur bis 79 reichen. Selbst Gourmetläden hielten sich hier, und die Flurschänke an der Ecke zur Hoffeldstraße ist sowieso ewig. Aber die Flurstraße war im Verbund mit der Lichtstraße ein Lebensmittelparadies mit einem der besten Obst- und Gemüseläden der Stadt, zwei tollen Bäckern und nicht zuletzt mit der legendären Metzgerei Sürth an der Bruchstraße, von der es heißt, dort bekomme man die besten Mettbrötchen der ganzen Stadt. Das Angebot ist inzwischen stark geschrumpft, besonders den Bäcker gegenüber der Schule, der bis zum letzten Tag auf seine traditionellen Produkte und Herstellungsweise beharrte, vermissen viele Flingerer.

Momentan stehen keine größeren Veränderungen an, und es sieht so aus, als habe sich die Flurstraße einmal wieder für einige Jahre eingerüttelt. Das tut den Flingerern immer gut, wenn die Seele ihres Viertels zur Ruhe kommt.