Bericht · Eine etwas wehmütige, vor allem aber enorm hoffnungsvolle Hommage vom Plattenmacher und neophon-Chef Michael Heiber auf die Ton-Träger-Szene in Düsseldorf. Ihre Vitalität bezieht die Musik-Kultur von Menschen, die sie machen. Künstler-Förderung hin oder Kulturstätten-Abrisse her, Kultur entsteht in den Köpfen von Leuten wie Heiber und seinen Art-Genossen. Wie das gehen kann, steht hier, wo sonst? [Lesezeit ca. 7 min]
Michael Heiber ist freiwillig Düsseldorfer. In Hagen aufgewachsen und seit 1999 hier, hat der Inhaber der Full-Service Agentur für Tonträgerherstellung neophon erst Mediengestalter gelernt und dann als Programmierer und Systemadministrator gearbeitet. Eines seiner Projekte war der Betrieb der Programme, die man heute noch in einigen Zügen der Rheinbahn auf kleinen Monitoren sehen konnte. Für die Firma war er als Projektleiter und Systementwickler unterwegs, in Saudi-Arabien, Russland oder den Niederlanden. In Amsterdam, Leipzig, Bonn, Potsdam und mit der Deutschen Bahn in Brandenburg kamen Systeme bis zur Wagenreife.
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Diese Stadt war immer sehr easy auf ihre Art
Und gefragt, ob es Interpreten gibt, die man nur auf Vinyl hören kann, antwortet er entspannt: „Also, wenn du mich so fragst, kann man JEDE Interpretin, jeden Interpreten nur auf Vinyl hören!“ Er mag diese digitale Musik nicht so. Ihn stört diese Reinheit, dieses Glatte, dieses zum Teil schon zu cleane. Seine Wurzeln liegen im Punk. Eine seiner ersten Schallplatten war die LP „Punks Not Dead“ von The Exploited. Der Punk habe immer so etwas Dreckiges, was Unperfektes, Rohes. Und genau das habe die Schallplatten-Technik selber zwar nicht, aber ihr Ambiente, ihr Ton, ihre Haptik.
Kraftwerkig und krautig
Im Vergleich zur mystischen Luft ist der Düsseldorfer Ton laut Heiber elektronisch, kraftwerkig und krautig. Er ist, so sagt er, für ihn so eine Mischung aus Elektronik und Krautrock, also Grobschnitt, die aus seiner alten Heimat Hagen kommen. Aber die Orte, an denen das stattfinde, verschwänden immer mehr.
Easy? „Ich habe nie diesen verpönten Düsseldorfer Snob kennengelernt, ich kenne nur nette, sympathische, sensible Menschen, die einfach ihr Ding durchziehen und Lust haben, Teil dieser Szene zu sein.“ Das große Ding in der Brause war zum Beispiel 2017/18 ein live vertonter Experimentalfilm eines spanischen Künstlers. Da mussten auch viele Leute gehen, weil sie die Vorführung nicht mehr ertragen konnten, aber es hatte Spaß gemacht, da auch zu provozieren. Oder der Auftritt von Betunizer, das war das lauteste Konzert, was je in der Brause gespielt wurde.
Agentur für Tonträgerherstellung
neophon ist eine 2018 gegründete Agentur für Tonträgerherstellung, zum Angebotsspektrum gehören neben Vinylschallplatten auch CDs, Kassetten, Vinyleinzelanfertigungen (Dubplates) und Verpackungslösungen. Heiber kooperiert mit Schallplatten- und CD-Presswerken, Herstellern von Kassetten und mit Druckereien. Kunden kommen zu ihm und möchten eine Schallplattenauflage produzieren, also eine Band oder ein Label. Er organisiert dann die gesamte Produktion. Die Kunden geben ihm die Druck- und die Audiodaten und er kümmert sich darum, dass am Ende ein tolles Produkt dabei rauskommt. Eins, das gut aussieht und auch gut klingt.
Traditionelle Schallplatten bestehen aus PVC, Polyvinylchlorid. Der wird in Form von Granulat in eine-Tonnen-schweren Säcken geliefert. Die Kügelchen kommen dann in einen Extruder, das wird erhitzt und durch eine Spindel kommt unten der so genannte Vinylkuchen raus, und zwar in Form eines Eishockey-Pucks. Der Puck kommt in die Presse, da sind oben und unten jeweils die A- und B-Seite der Schallplatte als Press-Matrizen. Die besteht aus Nickel, das wird dann mit 150-Tonnen-Druck bei 180 Grad dreißig Sekunden gepresst. Dann ist die Schallplatte fertig, man schneidet den ausgequetschten Rand ab, und dann wird die Platte zum Abkühlen abgelegt. Bei diesem Vorgang schafft es die Matrize, diese Millionen von kleinen Riffeln in der Rille herzustellen, etwa 1000 Pressungen schafft eine Matrize.
Platten für den Selbstverkauf
neophon macht derzeit rund zehn bis zwölf Aufträge pro Monat mit Auflagen von durchschnittlich 300 bis 500 Stück. Seit Mai 2020 nehmen Anfragen und Aufträge stetig zu. Viele Musiker*innen bekommen derzeit Förderungen. Damit, so Heiber, konnten die dann ins Studio gehen, mastern, aufnehmen und pressen lassen. Und es gebe auch einige, die jetzt einfach Zeit hätten, um eine Platte zu machen. Seine Kunden sind Labels oder sich selbst vermarktende Bands ohne Label.
Die KünstlerInnen brauchen Platten oder CDs, um sie über ihre Websites oder (hoffentlich bald wieder) auf Konzerten zu verkaufen, also um ihre Musik zu verbreiten. Platte oder CD sind für Heiber Merchandise-Artikel, während die eigentliche Musik heute meist im Internet gespielt wird, bei Spotify o.ä. Daher seien Platten, CDs oder Kassetten wichtige Artikel, um in der Aufmerksamkeit zu bleiben. Außerdem seien die realen schönen Tonträger für Bands, die sich einer Massenkommerzialisierung nicht unterwerfen wollen, von Vorteil. Live-Auftritte seien derzeit zwar nicht möglich, aber das werde irgendwie wiederkommen. Heiber hat im Übrigen auch ein Label, Krachladen Records, und im September 2020 zwei Platten veröffentlicht. Die Verkäufe seien gut gestartet, aber dann stoppte es, und dann hätte man tatsächlich rausgehen müssen auf die Bühne, dann hätte man den Rest auch noch gut verkauft. Aber ging halt nicht…