In diese Ratinger-Hof-Punk-Sache bin ich aus Versehen geraten, und Teil irgendeiner Szene dort war ich auch nie. Der Hof war halt eine Stammkneipe für uns Kunststudenten, da ging man eben hin. Und so ab 1976 gab’s da eine Musik auf die Ohren, die mir irgendwie gefiel, denn ich war schon vertraut mit den Tönen der New York Dolls und der Stooges. Bis dahin hatte ich – wie meine Altersgenossen – Platten gekauft wie andere Leute Wurst und Käse. In der Mittagspause mal eben was einkaufen zum Musicshop auf die Flinger Straße oder ganz gepflegt zu Evertz oder Kürten. Abends die Beute hören und Fehlkäufe gleich aussortieren. Und dann war ich irgendwie raus, hatte einen richtigen Job und war Vater geworden. Die Zeit der LP-Massenkäufe war um, außerdem war das Angebot so um 1980 ~ 1982 auch ziemlich unübersichtlich. Und dann gab es da einen äußerst merkwürdigen Plattenladen auf Derendorfer Straße. Der hieß Pure Freude und dort amtierte ein gewisser Jürgen Krause.
Den kannte ich aus den Hof-Tagen vom Sehen. Und irgendwann traute ich mich nach dem Familieneinkauf auf dem Rochusmarkt in die eigenartige Höhle. Mir war klar: Ich wollte was Neues, Ungewöhnliches. Denn irgendetwas lag in der musikalischen Luft jener Tage, was weder Rock, noch Punkt war. Und Düsseldorf schien so etwas wie ein Epizentrum zu sein mit seiner Kraftwerk-Neu!-La-Düsseldorf-Tradition. Und von Der Plan hatte ich auch schon mal gehört. Es wurde ein intensives Beratungsgespräch, und am Ende verließ ich die Pure Freude mit drei LPs in der Einkaufstasche: Belfegore, Der Moderne Mann und Der Plan. Danke für diese Entdeckungen, Jürgen Krause.
Komischerweise endet die Zeit der Vinyl-Käufe damals bei mir ziemlich abrupt. Früher als andere stieg ich auf CDs um, und der Sony Discman der ersten Generation war mein bester Freund. CDs aber kaufte man damals fast nur in Kaufhäuser oder bei Saturn in Köln, denn nur die hatten schon die große Auswahl. Da konnte man auf Beratungsgespräche mit Platten-Dealern wie Krause nicht mehr hoffen. Der aber hatte mit Hitsville in Düsseldorf eine Institution geschaffen, die bis heute überdauert hat. Tausende junger Menschen aus der Stadt und dem Umland sind in diesem Laden, der mehrfach umziehen musste, musikalisch sozialisiert worden. Für Hunderte war es klar: Wenn ein neues Album von XYZ rauskommt, dann hol ich das bei Hitsville.
Weil der Jürgen Krause (übrigens auch als DJ Jay Kay eine Legende) es aber nicht so mit den Büchern hatte, ging Hitsville wirtschaftlich furchtbar schief. Aber das änderte wenig bis nichts am Einfluss, den der Krause bis heute hat. Immer noch ist er für Menschen, die mit ihm befreundet sind, ein stetiger Quell musikalischer Inspiration, da macht es auch nichts, dass der Mann aus Kamen bis auf den heutigen Tag Schalke-Fan ist. Wer wissen will, welche Bands, welche Gigs, welche Platten angesagt sind oder Potenzial haben, wendet sich auf dem einen oder anderen Weg am besten an Jürgen Krause – da wird einem geholfen.
[Danke an DJ Opa für die freundliche Hilfe beim Formulieren der Fragen! Danke an Markus Luigs für die Genehmigung, sein Foto als Titelbild zu verwenden.]
Frage: Die Älteren kennen dich alle noch von Pure Freude und Hitsville. Woran liegt es, dass sich die Leute immer noch so gut erinnern? Kaum einer spricht von den anderen Plattenläden.
Antwort: Ich meine, das liegt zum einen daran, dass die Punk- / Ratinger-Hof-Ära einfach von allen musikalischen Richtungen in Düsseldorf am meisten hinterlassen hat. Und ich war nun einmal ein Teil der „Ursuppe“ der Szene. Dadurch ist man automatisch „legendärer“ als spätere Aktive, das kann dann auch der Ralf (mein Nachfolger bei Hitsville) nie erreichen. Er wird irgendwie immer mit mir verglichen, das ist nicht immer gerecht (für ihn). Aber, ich denke, das ist überall so. Die ersten Autobauer sind auch bekannter als die heutigen.
F: Wie lange hattest du deine Läden? Welche Platten glaubst du, hast du am häufigsten verkauft?
A: Mitte ’83 fing ich an, bei Pure Freude zu arbeiten. 1985 übernahm ich den Laden, musste aber ein Jahr später wieder schließen. Im Februar ’86 eröffnete ich in der Altstadt über dem „Mirage“ den Hitsville-Laden, mit dem ich dann noch zweimal umzog. In der Pure-Freude-Zeit war mein Bestseller die erste Cult -LP „Dreamtime“, bei Hitsville mit großem Abstand: Nirvana „Nevermind“.
F: Du warst ja Platten-Dealer mit Herz und Seele. Was war dir dabei am wichtigsten?
A: Mir war immer wichtig, mit dem Laden der Mittelpunkt der Szene zu sein. Akzeptanz war mir immer wichtig – tja, irgendwie auch wichtiger als der kaufmännische Teil des Business … mit den bekannten desolaten Ergebnissen 😉
F: Viele bringen dich vor allem mit dem Punk in Verbindung, aber in Wahrheit ist dein Musikgeschmack extrem weit gefächert. Gibt es irgendeine Musikrichtung, mit der du gar nichts anfangen kannst?
A: Ich höre seit meinem neunten Lebensjahr intensiv Musik. Angefangen hat es mit Beatmusik 1966. Erste Lieblingsbands waren die Small Faces, die Kinks und die Who. aber auch Soul und Early Reggae / Ska hörte ich gerne. Abends war das englische Radio Luxemburg Pflicht, später BFBS. Danach kam der Kraut- und Progrock. Bei meinem zweiten Englandbesuch 1977, ist es dann geschehen. Jeden Abend ein Punk-Konzert – ich war der einzige Langhaarige im Saal ;-). Nach der ersten heißen Phase habe ich dann auch wieder andere Musik wahrgenommen. Und da ich fast alles höre / liebe, hat bei mir auch nie ein Punk-„Overblow“ stattgefunden. Ich liebe diese Musik selbst nach 40 Jahren immer noch. Was ich nicht mag (neben Selbstverständlichkeiten wie Blas- und Volksmusik): House, Techno, neudeutscher Hiphop, moderner Schlager, alle Arten von extremen Metal aber auch die härteren Punk-Varianten sind nicht mein Fall. von Klassik habe ich schlicht keine Ahnung. Ich besitze ca. zehn Klassik-CDs.
F: Opa (Cashbar Club/DJ Fortuna Düsseldorf) erzählte mal, dass ab und an Kundinnen und Kunden bei dir vorsingen mussten, wenn sie den Namen einer Platte nicht kannten. Stimmt das?
A: Ach ja, ein paar Mal haben wir uns diesen Scherz schon erlaubt. Auch eine spätere Freundin von mir musste dran glauben: „Ich war so sauer. Nie im Leben hätte ich es mir vorstellen können, dass wir einmal zusammen sind,“ sagte sie später.