Manchmal hat man das Glück oder Pech, in einem historischen Moment anwesend zu sein. Wie historisch der Moment war, in dem die beiden Künstlergiganten Joseph Beuys und Andy Warhol gemeinsam in den Zirkus gingen, sei dahingestellt, aber es fühlte sich sehr historisch an.
Es war im Herbst des Jahres 1980, vermutlich im November. Meine Frau ging mit meinem Sohn schwanger, und das war nicht zu übersehen. Weil sie außerhalb der Schwangerschaft ziemlich dünn war und der Bauch vorne an ihr klebte wie eine kolossale Halbkugel. Die betonte sie gern durch das Tragen einer – ja, es war die Zeit der Alternativbewegung – lila Latzhose. So auch an jenem Abend, an dem wir uns Richtung Unterbilk bewegten, wo dieser merkwürdige neue Zirkus mit dem komischen Namen „Roncalli“ gastieren sollte.
Ja, ja, der Circus Roncalli beging im vergangenen Jahr sein 45. Jubiläum, denn er wurde 1976 gegründet. Aber im grün-alternativen Jahr 1980 feierte er seine Wiedergeburt. Der ehemalige Werbefuzzi Bernhard Paul hatte sich bei der Gründung auf den streitbaren Poesie-Fanatiker Andre Heller eingelassen, der ihm nicht nur die Show stahl, sondern sich überhaupt nach allen Regeln der Kunst aufspielte. Man zerstritt sich heillos, und am Ende der 76er-Saison stand das künstlerische und finanzielle Aus. Erst mit Geld, dass der Schweizer Komiker Emil dem damals völlig bankrotten Bernhard Paul lieh, kam dann 1980 wieder Schwung in die Sache. Und die Tournee des Jahres war ein sensationeller Erfolg. Allein in Köln sahen über 200.000 Zuschauer das Programm, das nun in jeder Hinsicht den Vorstellungen des Zirkusdirektors entsprach. Der Circus Roncalli war in bürgerlichen und in Kulturkreisen in aller Munde.
Vom Direktor persönlich begrüßt
Als der Zirkus dann nach Düsseldorf kam, war es ein gesellschaftliches Muss, sich von der ganzen Poesie des altmodischen Ambientes einfangen zu lassen. Zu jener Zeit war der Bereich zwischen der B1, die ja noch oberirdisch am Rheinufer entlang verlief, und der Neusser Straße Brachland mit Resten verschiedener Gewerbebetriebe und ehemaliger Siemens-Produktionsstätten. Damals gab es weder das Stadttor noch den Landtag, und der Rheinturm war gerade im Bau. Vom Medienhafen gab’s noch keine Spur, und Unterbilk war durchweg ziemlich proletarisch angehaucht. Da passte das prächtige Roncalli-Zelt auf das staubige Gelände wie die Faust neben das Auge. Und es war der Premierenabend, für den ich eher zufällig an Karten gekommen war.
Wir durchschritten das Tor, das heute noch dasselbe ist, wenn Roncalli irgendwo in einer Stadt sein Zelt aufbaut. Auf dem Holzsteg bis zu den Kassenhäuschen tanzten glitzernde Frauen, und Clowns jonglierten. Und dann standen wir vor dem Zirkusdirektor Bernhard Paul persönlich, der es sich nicht hatte nehmen lassen, die Besucher selbst zu begrüßen. Der Mann mit der altmodischen Brille ist kleiner als man denkt, und seine Gestalt wird von einem mächtigen Kopf mit einer Löwenmähne beherrscht. Sein Blick fiel sofort auf die Schwangerschaftskugel, und er sagte mit seinem typisch weanerischen Schmäh: „Da sans aber eigentlich zu dritt. Da müssten’s eigentlich noch a Koatn kaufen.“ Grinste und drückte meiner Frau einen Handkuss auf.
Der Andy und der Joseph
Wir hatten schöne Plätze rechts vom Haupteingang direkt hinter den Logen. Das Zelt füllte sich langsam, und wir waren schon ganz und gar von der ziemlich melancholischen Musik der Kapelle eingehüllt. Plötzlich kam Bewegung in die livrierten Diener am Eingang. Und dann kamen sie. Zirkusdirektor Paul führte sie persönlich zu ihrer Loge: den Andy und den Joseph, begleitet von verschiedenen Herren, deren Bedeutung und Funktion nicht deutlich wurde. Um es kurz zu machen: Ich konnte nicht anders, als während des Programms immer mal wieder zu den Großkünstlern rüber zuschauen. Während Herr Warhol sein feines Lächeln ziemlich unbewegt zeigte, amüsierte sich Beuys königlich – besonders bei den Clown-Nummern.
Dass es überhaupt zu Begegnungen zwischen diesen vielleicht größten Künstlern ihrer Zeit gab, die in jeder Hinsicht kaum etwas gemeinsam hatten, war Ergebnis des Plans des italienischen Galeristen Lucio Amelio. Der war zehn Jahre jünger als Beuys und auch drei Jahre jünger als Warhol und in den frühen Siebzigern so etwas wie ein Groupie der internationalen Kunstszene. Der war immer dabei, wenn die Stars öffentlich auftraten. Und der hatte ein erstes Treffen zwischen Beuys und Warhol in der Galerie Hans Mayer in Düsseldorf arrangiert, wo Warhol eine Reihe von Polaroids von Beuys aufnahm.Aus diesen Polaroids entstanden dann die berühmten Siebdrucke, die ein Beuys-Porträt verschieden eingefärbt zeigen. Diese Werke wurden am 1. April 1980 in der Galerie von Amelio in Neapel erstmals gezeigt. Dort begegneten sich die beiden Künstler also erneut, und Leute, die dabei waren, berichten, dass sie sich zwar nicht viel zu sagen hatten, aber beinahe so etwas wie Freunde wurden. So kam es wohl, dass Andy Warhol im Herbst des Jahres dann noch einmal nach Düsseldorf kam – und er mit Joseph Beuys den Circus Roncalli besuchte. Wie gesagt: Ob das ein historischer Moment war… man weiß es nicht.