[Michael Bolten, der F95-Historiker, präsentiert in unserer neuen Serie die wichtigsten Fortuna-Spiele aller Zeiten.] Vor gut 85 Jahren trat die damals noch nicht besonders glorreiche Fortuna im Müngersdorfer Stadion von Köln im Endspiel um die deutsche Fußballmeisterschaft gegen Schalke 04 an und besiegte die favorisierten Gelsenkirchener mit 3:0. F95 war Meister. Und bis dato blieb es auch die einzige Meisterschaft. Aber das Drum und Dran der Partie war hochinteressant.
Die Vorgeschichte (politisch)
Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Knapp zwei Monate später trat das sogenannte Ermächtigungsgesetz in Kraft. Damit konnten die Verfassung und die Wahrung der Grundrechte von Hitler und seinen Nazigenossen bei allen künftigen Entscheidungen außer Acht gelassen und mit Füßen getreten werden. Bis zum Tag des Endspiels gelang es den Nazis noch weitere Gesetze zu verabschieden, so z. B. das Gesetz zur Wiederherstellung des Beamtentums, mit dem politisch unangepasste und jüdische (ob angepasst oder nicht, spielte in diesem Fall keine Rolle) Beamte aus dem Dienst entfernt werden konnten. Parteien und Gewerkschaften waren verboten, die ersten Konzentrationslager eingerichtet.
Parallel zur Drangsalierung politischer Oppositioneller fand eine Ausgrenzung des politisch organisierten Sports statt. Funktionäre der beiden großen Sportverbände der KPD (KG Rotsport) und der SPD (ATSB) wurden verhaftet, das Vermögen der Verbände beschlagnahmt und bis sie selbst kurz darauf offiziell verboten wurden. Auch im bürgerlichen Sport standen die Zeichen auf Gleichschaltung verbunden mit der Installierung des Führerprinzips bin hinein in die Vereine.
Die Vorgeschichte (sportlich)
Einen Tag vor der Machtergreifung Hitlers absolvierte die Fortuna ein Freundschaftsspiel gegen VFB Eintracht Düsseldorf. Sie siegte mit 7:2 gegen den unterklassigen Klub. An sich ein ganz normales Spiel, wenn da nicht die Verletzung Ernst Albrechts gewesen wäre. Noch in der ersten Halbzeit verletzte sich Fortunas erster Internationaler und etatmäßiger Rechtsaußen am Meniskus und fiel für den Rest der Saison aus. Paul Mehl wurde für ihn eingewechselt (in einem Pflichtspiel wäre noch keine Auswechslung möglich gewesen), schoss eines der 7 Tore und nahm fortan Albrechts Rolle ein.
Leider wurde die letzte noch ausstehende Partie der Bezirksliga Berg-Mark, Gruppe 2, zwischen Fortuna und SSV Elberfeld nicht mehr ausgetragen. Sonst hätte die Fortuna am Ende der Saison wohl eine dreistellige Trefferzahl erzielt. So blieb es bei einem Torverhältnis von 97:13 und einem Punktestand von 33:1. Lediglich die SSV Barmen konnte gegen die Fortuna punkten. Anschließend setzten sich die Flingeraner gegen den VfL Benrath in zwei Spielen im Kampf um die Bezirksmeisterschaft durch und qualifizierte sich damit für die Teilnahme an der Endrunde zur Westdeutschen Meisterschaft.
Nach Siegen über SpVgg Sülz und Borussia Fulda erreichte die Fortuna das Finale und traf auf Schalke 04. Die Blau-Weißen zeigten, so die Düsseldorfer Nachrichten, die besseren Nerven und siegten gegen die Rot-Weißen mit 1:0. Fortuna konnte also den Erfolg von 1931 nicht wiederholen und wurde westdeutscher Vizemeister.
Ähnlich einseitig wie die absolvierte Bezirksligasaison verliefen die Partien um die Deutsche Meisterschaft. Fortuna siegte im Rheinstadion 9:0 gegen Rasensport Gleiwitz, den Vertreter Oberschlesiens, 3:0 bei Arminia Hannover und 4:0 gegen Eintracht Frankfurt in Berlin. 16:0 Tore in drei Spielen – die Fortunen hatten einen großartigen Lauf. Parallel setzten sich die Schalker durch und erreichten nach Siegen über Viktoria Berlin (4:1), FSV Frankfurt (1:0) und München 1860 (4:0) das Finale um die Deutsche Meisterschaft der Saison 1932/33. Erstmals in der deutschen Fußballgeschichte standen sich zwei Vertreter aus dem Westen im Finale gegenüber. Wer würde die Viktoria mit nach Hause nehmen dürfen?
Die Mannen aus Gelsenkirchen bereiteten sich professionell auf das Finale vor. Sie bezogen ein Trainingslager in Haltern und reisten bereits einen Tag vor dem Spiel in Köln an (in anderen Berichten heißt es am Vormittag des Spiels). Bei den Rheinländern war business as usual angesagt. Mitunter wurde am Vormittag noch gearbeitet (Paul Mehl half seinen Eltern in der Wirtschaft, Felix Zwolanowski führte einen wichtigen Malerauftrag aus), bevor es gemeinsam mit dem Bus in die Domstadt ging. Die Anspannung war enorm, so dass Fortunas Obmann Toni Rudolph sich nach der Ankunft etwas ganz besonderes einfallen ließ: Er schickte die Mannschaft nämlich nicht auf direktem Weg in die Umkleidekabine, sondern ließ sie einen umjubelten Umweg über die Aschenbahn entlang der vielen zum Teil in Sonderzügen angereisten Fortunafans nehmen.
Die Mannschaft
Willi Pesch (Jahrgang 1907, Torwart, Dekorateur bei Henkel), spielte schon in Fortunas Jugend und war so etwas wie eine Stilikone – nicht nur auf dem Platz. Galt als „Elfmetertöter“ und hielt seinen Kasten während der gesamten Endrunde zur Deutschen Meisterschaft sauber.
Kurt Trautwein (1906, rechter Verteidiger, Autoschlosser und Chauffeur, 1933 wahrscheinlich arbeitslos) kam Ende der 1920er Jahre aus der Pfalz an den Rhein, galt als Mann mit klugem Stellungspiel, aber mitunter nervenschwach, spielte ein solides Finale.
Paul Bornefeld (1907, linker Verteidiger, kaufmännischer Angestellter) lernte in Solingen das Fußballspielen, unterließ im Endspiel aus Sicherheitsgründen seine beim Gegner gefürchteten Ausflüge in die gegnerische Hälfte.
Paul Janes (1912, rechter Läufer, gelernter Maurer, wahrscheinlich arbeitslos) trug seit 1930 die Farben der Fortuna und stand erst am Anfang seiner großen (internationalen) Karriere. Im Endspiel agierte er als „Rastelli des Fußballs“.
Jakob „Knöd“ Bender (1910, Mittelläufer, „im Baufach tätig“, wahrscheinlich arbeitslos), Flingeraner Jung, wie Janes mit internationaler Erfahrung, Spielantreiber mit unermüdlichem Einsatz. Die Läuferreihe mit Bender, Janes und Breuer gehörte zum Besten, was in Deutschland damals auf dem Platz stand.
Theo Breuer (1909, linker Läufer, gelernter Schlosser, wahrscheinlich arbeitslos), kam wie sein Nebenmann Bender aus Flingern, Kapitän der Meistermannschaft, neutralisierte Schalkes Star Szepan und schaltete sich dennoch mit ins Aufbauspiel ein.
Paul Mehl (1912, Rechtsaußen, arbeitet in der elterlichen Wirtschaft mit), wechselte erst zu Saisonbeginn von der TURU zur Fortuna und profitierte von der Verletzung des etatmäßigen Rechtsaußen und Internationalen Ernst Albrecht. Torschütze zum vorentscheidenden 2:0.
Willi Wigold (1909, Halbrechter, vermutlich arbeitslos) lernte das Kicken in Gerresheim, war ein immer solider Spieler, der ähnlich wie Janes als großer Schweiger galt.
Felix Zwolanowski (1912, Halblinker, Maler) spielte zunächst bei Rheinfranken, bevor er innerhalb Flingerns zur Fortuna wechselte. Er galt als schneller Spieler. Erzielte die Führung im Finale.
Stanislaus „Tau“ Kobierski (1910, Linksaußen, Angestellter bei Rhenania Ossag) war ein schneller Stürmer und guter Flankengeber. Stammt auch aus Düsseldorf und kam letztendlich von der TURU zur Fortuna.
Georg „Schorsch“ Hochgesang (1897, Mittelstürmer, lebte wahrscheinlich in erster Linie als Scheinamateur) war der älteste Spieler im Finale. Bereits dreimal war er mit Nürnberg Deutscher Meister geworden. Hochgesang galt als verlängerter Arm des Trainers auf dem Spielfeld. Er war nicht mehr so schnell, aber sehr routiniert. Erzielte das 3:0 im Finale.
Trainer Heinz Körner (1893) kam aus Wien und war als Spieler mehrfacher Meister mit Rapid und Internationaler. Körner war im Jahr 1924 Fortunas erster Trainer. Er galt als moderner Coach und legte großen Wert auf Kameradschaft. Im 1933er Finale hatte er alles richtig gemacht.
Der Gegner
Der Westdeutsche Meister des Jahres 1933 war bekannt für sein als „Schalker Kreisel“ bezeichnete Spielweise. Heute würde man dazu Tiki-Taka-Fußball sagen. Die beiden damals bekanntesten Kicker der Blau-Weißen waren die Internationalen Ernst Kuzorra und Fritz Szepan. Insgesamt 6 Schalker Spieler der Finalelf wurden im Sommer 1930 vom Westdeutschen Spiel-Verband (WSV) gesperrt, weil sie nach Verbandsansicht gegen die Amateurbestimmungen verstießen. Im Frühling 1931 hob der WSV die Sperren nach vielen Protesten wieder auf. Diese Strafe hätte die Fortuna durchaus auch treffen können, da die Rot-Weißen Kicker ebenfalls großzügig mit Handgeldern bedacht wurden.
Das Spiel
Bereits um 10:00 Uhr öffneten sich die Stadiontore. Bis zum Anstoß der beiden Finalisten wurden die Zuschauer unter anderem von einem Vorspiel zweier Kölner Jugendmannschaften und „schmetternden Märschen und Weisen der SA-Kapelle“ unterhalten. Bis zum Spielbeginn um 16:00 hatte sich das Müngersdorfer Stadion mit knapp 60.000 Menschen gefüllt. Erstmals zeigten die Spieler vor dem Anpfiff eines Endspiels um die Deutsche Meisterschaft den gemeinschaftlichen Hitlergruß in Richtung Ehrenloge. Dort hatte inzwischen auch Reichssportkommissar Hans von Tschammer und Osten neben lokalen (Nazi-)Größen Platz genommen. Die Anweisung, vor Anpfiff den Hitlergruß zu zeigen, war erst 5 Tage alt und galt zunächst nur für den WSV, bevor sie ab August 1933 deutschlandweit eingeführt wurde. Nicht nur in diesem Punkt zeichnete sich der WSV durch eine besondere Nähe zur NS-Ideologie aus.Der Rasen war nass, denn es hatte bis kurz vor Spielbeginn stundenlang geregnet. Die Schalker laufen in blauen Jerseys, die Düsseldorfer roten Hosen und weißen Trikots ins Stadion. Kapitän Ernst Kuzorra gewinnt die Seitenwahl gegen Theo Breuer und entscheidet sich dafür, zunächst mit dem Wind im Rücken zu spielen. Anstoß für Fortuna. Nervöser Beginn beider Teams. Doch bereits in der 11. Minute kombinieren sich die Fortunen ausgehend von Breuer über Bender, Janes und Mehl durch die Schalker Reihen. Der Ersatzstürmer sieht Zwolanowski im Strafraum und passt. Felix Zwolanowski nutzt die Gelegenheit mit kühlem Kopf und schiebt den Ball am Schalker Keeper Mellage hinein ins Tor. 1:0 für Fortuna. Bei wieder einsetzendem Regen wehren sich die Schalker, doch Fortuna wird gegen Ende der 1. Hälfte immer stärker, ohne dass allerdings etwas Zählbares dabei herauskommt.
Schalke ist nach der Pause zunächst am Drücker. Doch ein Tor will ihnen nicht gelingen. Entweder ist irgendein Bein eines Fortunen dazwischen, oder bei Willi Pesch in seinem stilvoll gemusterten Torwartdress ist Schluss. Schließlich fällt die Vorentscheidung in der 70. Minute zugunsten der Fortunen. Hochgesang leitet einen weiten Pass direkt an Kobierski weiter. Der lässt Wohlgemuth aussteigen und kommt zum Flanken. Mellage zögert einen Moment, so dass er gegen Mehl zu spät kommt. Unter dem tosenden Jubel erzielt er das 2:0 für seine Fortunen. Schalke hat mittlerweile aufgegeben. 9:2 Ecken steht das Eckenverhältnis zugunsten der Fortuna, „sie sind besser als je“ heißt es in einem Spielbericht. Fünf Minuten vor Schluss überlistet Schorsch Hochgesang den Schalker Torhüter mit einem Schuss von der Strafraumgrenze und erzielt sogar noch das 3:0. Das Spiel ist endgültig entschieden und die Begeisterungsstürme der Düsseldorfer Anhänger nehmen kein Ende. Schließlich pfeift Birlem ab und Fortuna 1895 Düsseldorf ist Fußballmeister. Verdientermaßen.
Eine „Kettenabsperrung“ durch SA- und SS-Einheiten verhinderte den sofortigen Platzsturm der Düsseldorfer Fans. Schließlich sollte die geplante Siegerehrung durch von Tschammer und Osten nicht gestört werden. Er überreichte den beiden Kapitänen jeweils einen Blumenstrauß und gratulierte der Fortuna als Vertreter der Reichsregierung: „53.000 deutsche Männer und Frauen waren Zeuge eines ritterlichen Kampfes, eines fairen Spiels und einer Taktik, die Ihnen, liebe Fortunen, zum Siege verholfen hat.“ Mit einem dreifachen hipp, hipp, hurra auf den Sieger aus Düsseldorf und die unterlegenen Schalker und dem Abspielen des Horst-Wessel-Liedes, der NSDAP-Hymne, war der offizielle Teil des Tages beendet. Nun konnte der Platz gestürmt, die Lieblinge geschultert und ausgelassen gefeiert werden.
Die Feier
Die Rückfahrt vom Stadion ins Hotel gestaltete sich schwierig. Der Bus war nicht mehr da, kein Taxi zu bekommen. Also alle rein in die Straßenbahn und so ging es von Müngersdorf zurück in die Stadt. Im Hotel angekommen stand schon bald das offizielle Meisterbankett, auch für die unterlegenen Schalker, auf dem Programm. Viel Prominenz war anwesend, die NS-Politiker und Funktionäre suchten die Nähe zu den erfolgreichen Sportlern. Im Rahmen der Feier erhielt die Fortuna auch endlich den „Wanderpreis des Deutschen Fußball Bundes“, nämlich die Viktoria, überreicht. Wer die Trophäe schließlich mit ins Bett genommen hat, ist nicht bekannt. Der Terminplan ließ den feiernden Kickern viel Zeit zum Ausschlafen. Ihre Ankunft am Montag in Düsseldorf wurde erst ab 17:00 Uhr erwartet.Die Rückkehr der siegreichen Fortuna war triumphal. Am Hauptbahnhof erwarteten Tausende Düsseldorfer den neuen Deutschen Meister. Die Spieler hatten Schwierigkeiten zu ihren bereitgestellten Wagen zu kommen, mit denen sie entlang begeisterter Fans zum Rathaus gefahren wurden. Die Anwohner der Straßen, durch die sich der Triumphzug bewegen sollte, waren aufgefordert, zur Begrüßung des Deutschen Meisters ihre Häuser zu beflaggen. In der Altstadt empfing Oberbürgermeister Wagenführ die Meister mit einer Rede vom Rathausbalkon, von dem eine überdimensionale Hakenkreuzfahne runter hing. Auch Matthias Bakkers, Fortunas Präsident, Trainer Heinz Körner, „Schorsch“ Hochgesang und Theo Breuer wandten sich vom Balkon aus an die jubelnde Menge. Schließlich machte sich der Meistertrupp auf den Weg in die Brauerei Schlösser. Hier konnte relativ ungestört weitergefeiert werden, bevor es in einem Fackelzug nach Flingern zum Engerhof ging. Über das Ende der Feier und den Zustand der Feierenden ist nichts bekannt.
Die offizielle Meisterschaftsfeier fand schließlich am 5. August in den Räumen der Zoogesellschaft statt. In der Zwischenzeit, nämlich am 26. Juni 1933, gab sich die Fortuna eine neue Satzung. Damit setzte die Fortuna die von den Nazis auf (sport-)politischer Ebene geforderte Gleichschaltung auf Vereinsebene durch. Nun hieß es: „Der Vorstand ist der Vereinsführer.“
Der Mann des Tages
Wen will man aus so einer überaus erfolgreichen Mannschaft besonders hervorheben? Alle 11 Kicker erledigten ihre Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit. Dennoch, Paul Mehl ist der Mann des Tages. Erst spät in der Saison für den Internationalen Ernst Albrecht ins Team gerückt, morgens noch in der elterlichen Wirtschaft gearbeitet und im Spiel? Das 1:0 bereitete er mit einem klugen Pass vor, das vorentscheidende 2. Tor der Rot-Weißen erzielte er selbst. Keine Frage, Paul Mehl gehört diese Auszeichnung.Die Statistik
Fortuna Düsseldorf – Schalke 04 3:0 (1:0)
11.6.1933, Sonntag, Köln (Müngersdorfer Stadion)
Schiedsrichter: Alfred Birlem (Berlin)
Zuschauer: 60.000
Aufstellung der Fortuna: Willi Pesch; Kurt Trautwein, Paul Bornefeld; Paul Janes, Jakob Bender, Theo Breuer; Paul Mehl, Willi Wigold, Georg Hochgesang, Ernst Zwolanowski, Stanislaus Kobierski
Tore: 1:0 Zwolanowski (10.), 2:0 Mehl (70.), 3:0 Hochgesang (85.)
Und hier ein Video mit Ausschnitten aus dem Spiel:
[Fotos: Titelbild – www.ALTsTARS.de; Spielszene und Meisterfoto – F95-Vereinsarchiv; Paul Mehl – Wikimedia]