Im Juni 2002 bin ich zurück in mein geliebtes, altes Viertel am Fürstenplatz gezogen…

Lesestück · Vor ziemlich genau zwanzig Jahren bin ich wieder ins Viertel gezogen. Es war der 1. Juni, ein heißer Samstag, und bei der WM 2002 in Japan und Korea spielte die deutsche Nationalmannschaft gegen Saudi-Arabien. Die erste Halbzeit lief noch im alten Heim, während wir gemeinsam mit den vielen Freunden und familiären Helfern den Umzugswagen packten. In der neuen Wohnung wurde dann zuerst der Fernseher in Gang gesetzt, so dass die Interessierten dort die zweite Spielhälfte sehen konnten. Dieser Wohnungswechsel hatte alle Merkmale einer Flucht. Wir hatten zwei Jahre zuvor das Häuschen eines Freundes in Unterrath gemietet, nicht ahnend, wie es wirklich ist, in Unterrath zu wohnen. Immerhin handelt es sich um einen von der Außenwelt abgeschnittenen Stadtteil: im Norden begrenzt durch den Flughafen, im Süden durch Friedhof und Großmarkt, im Osten durch die Bahnstrecke und im Westen durch die Schnellstraßen Richtung Duisburg. Da kann man es vermutlich nur aushalten, wenn man dort immer schon gewohnt hat. Und das Beste an Unterrath sind die S-Bahn-, Bus- und Straßenbahnverbindungen in die Innenstadt. [Lesezeit ca. 5 min]

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Und nun wieder Friedrichstadt! Wobei: Nominell gehört das Sträßchen, in das wir zogen als eine Art Wurmfortsatz zu Bilk, obwohl die S-Bahn-Station Friedrichstadt direkt vor der Tür liegt. Jedenfalls war das Viertel (manche sagen „Kiez“ oder ganz neumodisch „Hood“), in dessen Mitte der Fürstenplatz angebracht ist, vielleicht einer der urbansten Plätze in der ganzen Stadt, wie eine neue alte Liebe. Denn dort bin ich geboren und aufgewachsen.

1950: Die Statuen kehren zurück zum Fürstenplatz (Foto: Stadtarchiv Düsseldorf)

1950: Die Statuen kehren zurück zum Fürstenplatz (Foto: Stadtarchiv Düsseldorf)

Mein Vater kam 1950 als Maurerpolier nach Düsseldorf. Der Deal mit der Bauunternehmung, bei der er arbeitete war, dass alle Bauarbeiter in einem der ersten Häuser, die wieder bewohnbar wären, eine Wohnung für die Familie bekämen. So kamen er, seine Frau und der kleine Erstgeborene in das Haus Corneliusstraße 188, wo heute das Hotel Rubin untergebracht ist. Ende 1952 kam ich dazu und verlebte meine Kindheit mit einem Riesenhaufen Nachbarskindern (unsere Bande umfasste bis zu dreißig Kinder) auf der Straße, auf dem Fürstenplatz, an der Düssel und im Volksgarten. Die ersten drei Schuljahre (Ostern 1959 bis Ostern 1962) verbrachte ich in der Volksschule an der Kirchfeldstraße in der Klasse von Frau Kremer.

Das internationale A-Jugend-Fußballturnier, das jedes Jahr zu Pfingsten von der TuRU veranstaltet wurde, zählte zu den Fixpunkten im Kalender. Dann zogen wir nach Pempelfort, wo ich die nächsten zehn Jahre verbrachte. Als Erwachsener bin ich sehr oft umgezogen; bis auf eine Ausnahme (Straberg 1977) aber immer innerhalb der Stadtgrenzen. Und vorwiegend in den alten Stammvierteln plus Flingern, das von 1991 bis 1997 meine Heimat war.

Poot, Wochenmarkt am Fürstenplatz (Foto: TD)

Poot, Wochenmarkt am Fürstenplatz (Foto: TD)

Es hat sich viel geändert in den vergangenen zwanzig Jahren in Friedrichstadt, das eigentlich nie als attraktives Viertel gesehen wurde. Seit etwa vierzehn, fünfzehn Jahren ist aber eine massive Gentrifizierung spürbar. Begonnen hat alles damit, dass zunehmend prekär lebendes Jungvolk, viele Künstler und Musiker, herzogen, weil es rund ums Gleisdreck und die Oberbilker Allee relativ preiswerten Wohnraum gab. Auch wenn gerade die Zugereisten immer von Bilk sprachen und sprechen, diese zu Friedrichstadt zählende Oberbilker Allee sowie die Fortsetzung Bilker Allee (bis zur Friedrichstraße) war das Zentrum der neuen Kultur. Dazu passten wilde Konzerte auf dem Fürstenplatz sowie allerlei Nachbarschaftsprojekte.

2010: Das Café Knülle an der Oberbilker Allee (Foto: TD)

2010: Das Café Knülle an der Oberbilker Allee (Foto: TD)

Mitten im Trubel hält seit zig Jahren das Café Knülle stand, das sich allen Trends widersetzt und auch einen Ansturm iPad-bewaffneter Werbeschnösel verkraftet hat. Die fanden Gefallen am Viertel und lösten dann den Zuzug besserverdienender Jungfamilien aus. War bis vor rund einem Dutzend Jahre die Mehrheit der Eltern auf dem Fürstenplatz noch deutlich migrantisch, dominieren jetzt die teuren Kinderwagen und Babyklamotten.

Das ehemalige Bermudadreieck aus dem Domizil, dem Lokal, dem Fischrestaurant Istakoz samt Nudelholz, dem Vulcano und dem Griechenimbiss Pfeffermühle, gelegen an der Ecke Oberbilker Allee, Phillip-Reis- und Hildebrandtstraße, hat sich auch verändert. Das Konkav hat ein völlig andere Publikum angezogen als das Lokal, und der Pitcher ist ein international bekannter Spielort für die härtere Musik; beide Läden haben es über die Jahre geschafft, Treffpunkt für die Leute aus „der Hood“ zu werden. Die Pfeffermühle hält sich wacker, und das vietnamesische Restaurant Scaramangas ist inzwischen integriert und akzeptiert. Geblieben ist der Antoniushof am Fürstenplatz, der mit Alex – der auch das Vossen an der Hüttenstraße betreibt – endlich wieder einen Pächter hat, der diese altmodische Gastwirtschaft für die unterschiedlichsten Leute attraktiv macht.

Graffiti am Pitcher (Foto: TD)

Graffiti am Pitcher (Foto: TD)

Immer noch ist der Rewe am Platz der langsamste Supermarkt Deutschlands, und der türkische Gemüseladen ums Eck ist auch unter Leitung der Söhne und der Tochter immer noch eine prima Einkaufsquelle. Der Wochenmarkt am Samstag, dominiert vom fantastischen Obst-und-Gemüsestand Poot (aus Waldfeucht an der holländischen Grenze), und der Hähnchen-Max ist inzwischen eine Institution. Eine Institution war auch Gino, der leider im Mai des Jahres gestorben ist. Seine Pizzeria, erst am Fürstenwall, seit 2013 an der Ecke Morse-/Kirchfeldstraße, wird auch ohne ihn eine Fixpunkt für die Menschen im Viertel bleiben.

Eröffnung: Gino am neuen Standort im November 2013

Eröffnung: Gino am neuen Standort im November 2013

Immer mehr wohlhabende Leute ziehen nun an den Fürstenplatz, die Quadratmeterpreise am Fürstenwall (bis zum Kirchplatz) sind dramatisch gestiegen, und selbst Immobilien auf der lauten, dreckigen Corneliusstraße steigen im Wert. Grund sind Neubauten wie der vor sechs oder sieben Jahren fertiggestellte an der Westseite des Platzes, in dem der amtierende Finanzminister Christian Lindner eine Wohnung besaß. Man merkt diese leise Gentrifizierung auch an den Gastronomiebetrieben an der Nordseite, die ihr Stammpublikum auch eher unter den Besserverdienern verorten.

Und trotzdem: Unser Viertel ist lebendig geblieben, und es gibt bei vielen, die schon länger hier leben, die berechtigte Hoffnung, dass die Mischung der Anrainer so bunt bleibt, wie sie immer war. Auch wenn nun das Haus an der Oberbilker Allee, in dem Jahrzehnte lang die urige Viertelskneipe „En de Kull“ gerade den Eingeborenen Asyl bot, abgerissen wird, um teure Wohnungen und Häuser im Innenhof zu bauen. Und die „Villa“ des ehemaligen Toom-Geländes wird gerade saniert und umgebaut – zu was auch immer…

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