Nach allem, was wir wissen, sind der Rhein und die Donau die ersten Wasserstraßen der Weltgeschichte. Wie man sich denken kann, waren es die Römer mit ihrem ausgeprägten Sinn für Logistik, die den Ferntransport von Gütern auf den Flüssen für die Zwecke ihres Riesenreichs entdeckten – und zwar im ersten Jahrhundert n.Chr. Zuvor war die Beförderung von schweren Gütern oder großen Warenmengen über größere Entfernungen kaum möglich; die einzige noch ältere Methode für den Warentransport ist die Karawane. Weil das so ist, könnte die Rheinschifffahrt in diesen Jahren gut und gerne ihren 2000. Geburtstag feiern.

Standardisierte Römerschiffe

Rudergänger auf einem Römerschiff

Rudergänger auf einem Römerschiff

Natürlich war unser großer Strom zu Römerzeiten nicht annähernd durchgehend schiffbar, aber immerhin über längere Strecken mit geeigneten Schiffen befahrbar. Innerhalb weniger Jahrzehnte bildeten sich standardisierte Bauformen für das, was man heute auch „Römerschiff“ nennt, heraus. Neben verschiedenen Arten von Flössen, die für den Transport von Bauholz und anderen Materialien talwärts genutzt wurden, entstand ein Gefährt mit sehr flachem Kiel und relativ hoher Bordwand, das besegelt und durch Ruderer angetrieben wurde. Außerdem gab es flache, rechteckige Kähne (die man heute „Leichter“ nennen würde), die von den Ruderschiffen gezogen oder vom Ufer aus getreidelt wurden.

Die Größen und Formen aller dieser Gefährte waren ab etwa dem dritten Jahrhundert genormt, sodass nicht für jeden Neubau eine eigene Konstruktion entwickelt werden musste. Der Standardkahn war etwa 30 Meter lang, 9 Meter breit, hatte einen Tiefgang von 70 Zentimetern und konnte eine Fracht von 100 bis 150 Tonnen Last transportieren. Aber schon um 20 v.Chr. hatten die Römer begonnen, den Rhein zu befahren und die Kriegsflotte namens Classis Germanica aufgestellt. Im militärischen Betrieb wurden so Erfahrungen gesammelt, die später der zivilen Schifffahrt auf dem Rhein zugutekamen – u.a. über den Betrieb unter Segeln und die Gefahrenstellen des Flusses.

1700 Jahre unverändert

Köln 1531: Handelsschiffe am Oberländer Ufer

Köln 1531: Handelsschiffe am Oberländer Ufer

Kaum zu glauben, aber die von den Römern eingeführte Art der Rheinschifffahrt hatte mehr als 1700 Jahre fast unverändert Bestand. Selbst die Größen und Formen der Rheinschiffe änderten sich über diesen langen Zeitraum hinweg kaum, lediglich das Rudern als Antrieb setzte sich langfristig nicht durch. Ihre Bedeutung für den Handel im Germanien jener Jahrhunderte war immens, weil es schlicht keine anderen Möglichkeiten gab, die Handelszentren mit Waren zu versorgen. Außerdem bildete die Flussschifffahrt das unverzichtbare Bindeglied zwischen den Seehäfen und den Handelsplätzen im Binnenland – z.B. die alte Römerstadt Köln, die ihre von der Gründung bis heute gleichbleibende Bedeutung als Metropole dem Rheinhandel verdankt.

Ein Schlüssel für den Wohlstand von Rheinhäfen wie Mainz und Köln war das sogenannte „Stapelrecht„, das Binnenschiffer verpflichtete, mindestens einen Tag vor Ort zu liegen und die transportierten Waren anzubieten. Von dieser Pflicht konnte man sich freikaufen, was je nach Fracht die Mehrheit der Schiffer tat. Überhaupt: Ab etwa dem 12. Jahrhundert bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts spielten Zölle eine große Rolle in der Rheinschifffahrt und bildeten für viele Adelige kleinerer Fürstentümer die wichtigste, ja, sogar die einzige Einnahmequelle. Wer also Land am Rhein besaß, verlangte von den Schiffen für die ungehinderte Vorbeifahrt Gebühren. Und weil man solche Zollstellen auf einem Fluss nicht einfach entgehen kann, wurde auch gezahlt.

Die Dampfmaschinenrevolution

Der Raddampfer Oscar Huber

Der Raddampfer Oscar Huber

Beim Treideln, das am Niederrhein schon ab dem Mittelalter die bevorzugte Form des Antriebs von Frachtschiffen wurde, wurden zudem auch noch Wegezölle oder andere Abgaben verlangt – außerdem musste die Eigner der Kähne die Arbeitskraft der Zugtiere und Arbeiter entlohnen. Es lässt sich nachrechnen, dass sich der Preis eines Ballen Leinenstoffs auf dem Weg von Mainz bis nach Emmerich durch diese Kosten mindestens verdreifachte. Erst mit der Mainzer Akte (Rheinschifffahrtsakte) vom 31. März 1831 endete die jahrhundertelange Ära der Zölle und Abgaben; die Zeit der Freiheit der Rheinschifffahrt begann.

Als im frühen 18. Jahrhundert in England die Dampfmaschine erfunden wurde, dachte niemand daran, sie als Antrieb für irgendeine Art Fahrzeug zu verwenden; die ersten Dampfmaschinen betrieben Pumpen im Bergbau. Nur einer kam schon 1707 auf die Idee, ein Schiff mit einer Dampfmaschine auszustatten, die es über Schaufelräder antreiben sollte. Wie so oft bei genialen Erfindern, wurde Denys Papin missverstanden, und niemand war bereits, die Sache weiterzuverfolgen. So wurde das erste ernsthaft nutzbare Dampfschiff erst 1783 erbaut. Segelschiffe, die mit Unterstützung von Dampfmaschinen fuhren, wurden zunächst nur in der Binnenschifffahrt eingesetzt, veränderten aber die Rheinschifffahrt relativ schnell sehr grundlegend.

Wasserbaumaßnahmen des 19. Jahrhunderts

Denkmal zur Rheinbegradigung am Mittelrhein

Denkmal zur Rheinbegradigung am Mittelrhein

Wobei die ersten Ideen für Wasserbaumaßnahmen am Rhein und ihre Realisierung einen mindestens ebenso großen Impuls für die Veränderung der Rheinschifffahrt darstellte. Befahrbar wurde der Strom durchgehend von Basel bis Rotterdam erst kurz vor dem ersten Weltkrieg. Die Rheinbegradigung, die um 1817 begann, bestand am Mittel- und Niederrhein vor allem darin, aus dem Geflecht verschiedener Flussarme einen durchgehenden Strom zu schaffen. Je nach der unterschiedlichen geografischen Beschaffenheit hatte dies verschiedene Maßnahmen zur Folge – teilweise wurden Kanäle parallel zum eigentlichen Fluss oder als „Abkürzung“ zwischen Rheinschlingen gegraben, teilweise wurden Nebenarme durch Dämme abgetrennt, und gerade in unserer Region begann man vor etwa 100 Jahren damit, die Ufer fast durchgehend zu befestigen.

Nur der Bereich, den die Binnenschiffer „das Gebirge“ nennen, widersetzte sich fast allen Maßnahmen und ist bis heute eine Gefahrenstelle geblieben. Gemeint ist das Rheintal zwischen Bingen und St. Goar, wo sich der Strom zwischen steilen Felsen in teils engen Kurven windet und Felsuntiefen eine ständige Bedrohung darstellen. Noch bis in die Achtzigerjahre übernahmen Rheinlotsen auf dieser Strecke die Steuerung der Schiffe.

Selbstfahrer erst seit gut 70 Jahren

Mit der Einführung der Dampfmaschine als Antrieb für Rheinschiffe begann aber beileibe nicht die Ära der Selbstfahrer. Im Gegenteil: Noch bis über den zweiten Weltkrieg hinweg hatte die große Mehrheit der Frachtschiffe keine eigene Maschine. Gefahren wurde im Zugverband hinter Schleppern; auf dem Rhein hingen teilweise bis zu zwanzig solcher Leichter an einem Raddampfer. Erst die Entwicklung von Dieselmotoren für die Binnenschifffahrt änderte die Situation. Innerhalb weniger Jahre starben die dampfbetriebenen Schlepper aus und wurden durch Schiffe mit Dieselmaschinen ersetzt. Außerdem begannen ab etwa Mitte der Dreißigerjahre immer mehr Eigner damit, ihre Schiffe mit solchen Maschinen auszustatten, um zu Selbstfahrer zu werden.

Das heißt aber: So wie wir heute die Binnenschifffahrt auf dem Rhein kennen, existiert sie noch keine 70, 80 Jahre. Und alle paar Jahre gibt es Veränderungen im Detail. So verdrängten moderne Schnellläufer die alten tuckernden Dieselmaschinen. Schubverbände wie man sie heute sieht, wurden erst in den Sechzigerjahren eingeführt. Und die großen Containerschiffe, die das Bild auf dem Rhein bestimmen, fahren erst seit rund 30 Jahren auf dem Strom. Geändert hat sich aber auch die wirtschaftliche Seite der Binnenschifffahrt. Traditionell waren Rheinschiffer immer auch Besitzer ihrer Schiffe (und Flotten) und fuhren auf eigene Rechnung. Als Partikuliere handelten sie im Hafen Fahrten aus, für die sie entsprechend bezahlt wurden. Reedereien spielten bis weit in die Sechzigerjahre hinein keine große Rolle, dafür aber Genossenschaften, in denen sich Partikuliere zusammenschlossen, um die Vergabe von Aufträgen zu regulieren.

Eine starke Lobby hatte die Rheinschifffahrt leider nie. So kommt es, dass die enormen Vorteile des Güterfernverkehrs auf dem Fluss – in Relation zu Schiene und Straße – im öffentlichen Bewusstsein kaum verankert ist. Im Gegenteil: Die starke Lobby des Güterfernverkehrs per Lkw hat durch ihre Arbeit bewirkt, dass ausgerechnet die Logistik mit der schlechtesten Umweltbilanz und den höchsten Steuerausgaben für die Infrastruktur seit Jahrzehnten bevorzugt behandelt wird. Leider ist die Branche der Binnenschiffer auch relativ spät darauf gekommen, nach alternativen, umweltfreundlicheren Antrieben zu suchen. Aber seit einiger Zeit werden vermehrt Schiffe erprobt und in Dienst gestellt, die nicht mehr „schmutzigen“ Dieselkraftstoff nutzen, sondern Flüssiggas. Und auch Frachtschiffe mit Elektro- oder Wasserstoffantrieb sind keine reine Zukunftsmusik mehr.

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