Unter den Anhängern der glorreichen Fortuna, die bekanntlich den Beinamen „launische Diva“ trägt kursiert dieser Tage eine Verschwörungstheorie, die so ziemlich alle Elemente dessen enthält, was Fans über Profifußballer mutmaßen. Es heißt, etliche Spieler wollten gar nicht aufsteigen, weil das für sie bedeuten würde, nächste Saison nicht mehr erste Wahl im F95-Trikot zu sein. Als Ihr sehr ergebener Analytiker vor einiger Zeit einmal den ehemaligen Berufskicker Marinko Miletic fragte, ob Spieler manchmal wirklich aus lauter egoistischem Kalkül mit Absicht schlecht spielen würden, meinte der: Nur wenn sie den Fußball nicht lieben. Bei aller berechtigten Kritik an den Akteuren in Weiß heute und den Kollegen, die auch die beiden vorangegangenen Spiele mit verloren haben – dass die kollektiv den Fußball nicht lieben, ist nur vorstellbar, wenn man irgendeinen Denkschaden hat.

Aber, das wissen wir längst, bei der Beurteilung von Partien mit dem getretenen Rundball geht es ja selbst unter Experten selten ums Denken, sondern viel öfter ums Fühlen und Meinen. Seitdem es diese sogenannten „sozialen“ Medien und – noch früher – das Internet mit seinen Fan-Foren gibt, herrscht ja Meinungsfreiheit, also die Freiheit, frei von jeglicher Ratio einfach das als Meinung zu plärren, was einem gerade so an Gefühlen durch den Magen geht. Wie das funktioniert, kann man heute in den Stunden nach dem Spiel fein auf den einschlägigen Fortuna-Seiten beobachten.

Gnaden- und respektlos

Neben der bereits geschilderten Verschwörungstheorie fällt vor allem die Gnaden- und Respektlosigkeit auf, mit der irgendwelche Nasen über Spieler und Trainer des von ihnen angeblich geliebten Vereins urteilen. Wenn ein Typ, dessen Profil annehmen lässt, er sei knapp über Dreißig, bläht, Funkel sei eine „Pfeiffe“ (ja, er schreibt’s mit Doppel-F), und ein anderer schreibt, er gehe nun schon seit 40 Jahren zur Fortuna, aber einen solchen „Scheißspieler“ wie Robin Bormuth habe er noch nie erlebt, dann kann man Selbstekel bekommen, weil man selbst auch Anhänger dieses wundervollen Vereins ist. Jeder Richter würde diesen „Kritikern“ sicher Affekt attestieren und mildernde Umstände walten lassen, aber: Wer solche Fans hat, braucht keine Feinde.

Kommen wir zum Spiel und versuchen wir, das Geschehen möglichst ohne die typische Schmierölpsychologie inklusive allfälliger Körpersprachenbeurteilung zu betrachten. Ja, die ersten zehn Minuten nach der Pause spielte das Team in Weiß wie ein Tabellenführer – druckvoll, lauffreudig, kombinationsstark. Und weil eine funktionierende Offensive den Gegner bekanntlich vom eigenen Tor fernhält, konnte hinten in der erschreckend instabilen Defensive nichts anbrennen. Viererkette und Doppelsechs agierten – mit maximaler Neutralität beurteilt – ungefähr auf dem Niveau wie die entsprechenden Kollegen, die in der Saison 2016/17 so gerade den Abstieg aus der zweiten Liga zurechtwurschtelten.

Nicht gut genug

Reden wir nicht über die Gründe dafür, dass die genannten SECHS (von elf) Spieler heute oder auch immer nicht gut genug für einen Aufsteiger sind. Suchen wir nach Belegen für diese steile These und beginnen wir mit dem unglücklichen Robin Bormuth. Dem jungen Mann muss man zunächst einmal positiv ins Zeugnis schreiben, dass er dieses Mal in den ersten fünfzehn Minuten keine Serienböcke geschossen hat vor lauter Unsicherheit. Auch dass er in der schrecklichen ersten Spielhälfte ein paar Mal der Verteidiger war, der brennende Situation durch beherztes Eingreifen entschärfte, kann nur eine Fußnote bleiben. Stattdessen muss man sagen: Ein derart unsicherer Verteidiger – zudem ohne jeden Anteil am Spielaufbau – verhindert ein gutes Spiel seiner Mannschaft. Vielleicht spielt Bormuth in seinen guten Partien aber auch einfach am oberen Rand seiner Möglichkeiten…

Halten wir dem treuen Adam Bodzek zugute, dass der Posten als Innenverteidiger nicht zu seinen Traumjobs zählt. Aber wie ein erfahrener Spieler über rund siebzig Minuten der Spielzeit dermaßen oft falsch stehen kann und damit dem Gegner Korridore öffnet, ist schlicht unerklärlich. Und recht eigentlich müssten die Zuständigem dem eigentlichen IV namens Kaan Ayhan angesichts dessen für seine Unbeherrschtheit und die Sperre noch ein paar Mal die Ohren langziehen. Was sie dem freundlichen Jean Zimmer ins Müsli getan haben, möchte man angesichts dessen schlechter Leistung heute auch gern wissen. Ja, es ist von demselben Herrn Zimmer die Rede, der in der Hinrunde noch die Zuschauer mit seinen aberwitzig schnellen Flankenläufen und seinem beherzten Eingreifen in Defensivsituationen beglückte. Heute war er auf seiner Seite so oft verteidigend gefordert, dass ihm kaum Kraft für die Offensive blieb. Und wenn er versuchte, sich vorne einzumischen, fiel ihm nichts ein und/oder er produzierte Fehlpässe.

Die Vorstellung von Niko Gießelmann lässt sich nicht eindeutig bewerten. Einerseits interpretierte er die Rolle des modernen Außenverteidigers wie gewohnt im Wechsel zwischen kompromissloser Abwehr und Vorstößen mit kalkuliertem Risiko, andererseits zählte er heute zu den Fehlpasskönigen und fand keine Bindung an seinen Außenstürmer, den späteren Torschützen Takashi Usami. Einfach nur enttäuschend dagegen der Auftritt von Florian Neuhaus, von dem es – auch hier – vor einiger Zeit hießt, der sei so gut, den könne nicht einmal Gladbach halten können, wenn die „großen“ europäischen Clubs mit den Euro-Bündeln wedeln. Keine Frage, der junge Mann kann sehr viel am Ball, hat Übersicht und Ideen – potenziell, denn in der Realität in Heidenheim konnte er davon kaum etwas umsetzen. Weil auch Marcel Sobottka ungewohnt unsicher kickte, bestand über siebzig Minuten kaum eine Verbindung zwischen der Defensive und der Offensive.

Gar nicht so schlecht

Dabei traten die vier Kollegen, die das Toreschießen vorzubereiten und zu vollziehen hatten, heute gar nicht so schlecht an. Nur dass eben die vier, fünf, sechs Chancen, die sie sich gegen den vom Abstieg bedrohten Gegner erspielten, nicht zu Buden für die Fortuna führten – manchmal war’s Pech, öfter aber eine Mischung aus falscher Körperhaltung und mangelnder Konzentration. Leider kann man das Traumtor von Usami zum zwischenzeitlichen Ausgleich nur als Trostpflaster werten. Dass besonders Genki Haraguchi und auch Benito Raman in der (objektiven) Bewertung nicht so gut wegkommen, hat dagegen mehr mit dem von Trainer Friedhelm Funkel gewählten und gesteuerten System zu tun, einem astreinen 4-4-2, in dem Rouwen Hennings als Sturmspitze nominell … ja, wenn eigentlich? … als Duopartner zugeordnet bekam.

Betrachtet man die grafischen Darstellungen der F95-Aufstellung auf den üblichen Internetseiten, dann wird da manchmal Haraguchi, öfter Raman und manchmal gar Usami als Stürmer Nummer Zwei dargestellt. In der Realität des Spiels war es dann aber niemand, der Hennings entlastet – der im Übrigen seinen üblichen Stiefel runterspielte, also dauerhaft zwischen Mittellinie und gegnerischem Sechzehner herumwühlte und eben nur in geschätzten fünfzig Prozent der Fälle als Abnehmer von Steilpässen und Flanken in den Strafraum vor Ort war. Angesichts seiner Spielweise kommt natürlich die Debatte um einen Knipser auf, denn das ist Hennings nicht. Man muss befürchten, dass die Fortuna-Scouts Emir Kujovic und vielleicht auch Harvard Nielsen für diesen Job geholt haben. Wenn dem so wäre, müsste die Enttäuschung über die Leistungen der beiden doppelte so hoch sein.

Merkwürdige Auswechselbank

Und Raphael Wolf? Der hat ja dem Vernehmen nach Interesse daran bekundet, seinen Vertrag zu verlängern – hoffentlich nicht in der Annahme, so könne er Erstliga-Keeper werden, was ihm bei einem Wechsel zu HSV ja verwehrt bliebe. Viel hatte der Tormann nicht zu tun in Heidenheim, und an den Gegentoren Eins und Drei konnte er nichts ändern. Vermutlich wäre aber sein Kollege Michael Rensing beim zweiten Treffer nicht abwartend auf der Linie kleben geblieben, sondern hätte sich in die von den Verteidigern kollektiv verkorksten Situation körperlich eingemischt. Da ist es doch in jedem Fall eine gute Nachricht, dass Rensing endlich wieder im Kader stand und in den restlichen Spielen zumindest als Reservetorhüter zur Verfügung steht. Apropos: Die Besetzung der Auswechselbank ließ den Kenner des aktuellen Kaders schon staunen – so schön es ist, dass auch Anderson Lucoqui Beachtung findet, fragt man sich als Freund der Fortuna inzwischen schon, was Kujovic dafür zahlt, immer wieder dort sitzen zu dürfen, und was genau Jerome Kiesewetter geleistet hat, dass er wieder die Gnade des Cheftrainers findet.

An ebendiesen Cheftrainer könnte man ein paar weitere, kritische Fragen stellen: Weshalb durfte Julian Schauerte in der zweiten Halbzeit nicht anstelle des schwachen Zimmer antreten? Was genau sollte der Wechsel von Raman auf Davor Lovren bewirken? Und: Was war der genaue Grund dafür, an diesem kruden 4-4-2 festzuhalten, das mangels Verbindung zwischen Defensive und Offensive nicht funktionieren konnte? Wer genau hinschaute, konnte erkennen, dass das Team nach Wiederanpfiff (von sich aus? ohne Anweisung von draußen?) auf eine Art 4-2-3-1 umstellte, was für mehr Druck sorgte und letztlich den Treffer brachte. Als aber die Heidenheimer ihrerseits wieder offensiv Gas gaben, liefen die Kicker in Weiß wieder im Anfangssystem herum. Und dann fragt sich auch, ob den nominellen Stürmer ein aggressives Pressing heute strikt verboten war. Wann immer die Fortunen in den guten zehn Minuten ihre Gegner anliefen, zerfiel die Heidenheimer Defensive in einen hysterischen Hühnerhaufen – und vor schnellen Kontern hätte man angesichts der Grundgeschwindigkeiten der HDH-Leute wenig Angst haben müssen.

Schlechte Laune

So aber wurde die Partie auf eine Weise vergeigt, die jedem aufrechten F95-Fan schlechte Laune bringen müsste. Das ganz unabhängig von der Tabellensituation vier Spieltage vor Saisonschluss; auch völlig unabhängig davon, dass der direkte Aufstieg in die erste Bundesliga rein rechnerisch immer noch wahrscheinlicher ist als alle anderen Szenarien. Und wenn sich die Anhänger der glorreichen, wenn auch wirklich oft sehr launischen Diva eines definitiv nicht wünschen, dann ist es die Teilnahme an den Relegationsspielen – wie es ein Fan ausdrückte: Ne, dann lieber noch ne Saison in Liga Zwei. Dass die für ihr Tun bezahlten Fußballer in den weißen Hemden und Hosen ähnlich denken und handeln, ist so unwahrscheinlich wie die These, die Amerikaner seien in Wirklichkeit nie auf dem Mond gewesen

[Titelfoto: Matthias Neugebauer]

2 Kommentare

  1. Was meines Erachtens überall zu wenig Berücksichtigung findet – neben den zahlreichen unübersehbaren Ungeschicklichkeiten vom Funkelmariechen:

    Fortuna hatte selten (ich überblicke mehr als 50 Jahre) eine solche Vielzahl an begabten Distanzschützen! Sowohl Usami, Neuhaus, Fink und Sobottka, aber auch Hennings und vermutlich das Tamagochi können locker und platziert aus 16-22m erfolgreich schießen. Zuletzt war da übrigens noch ein gewisser Christian Gartner (dessen Begabung man in Düsseldorf m.E. schändlich ruiniert hat).

    Wenn ich solches Potenzial zur Verfügung habe, dann muss ich unbedingt systemisch dafür sorgen, dass mit diesem Pfund gewuchert wird! Einst hat man Zimbo Zimmermann freigesperrt, und die Älteren werden sich erinnern, wie der die Dinger regelmäßig aus 25m spielentscheidend reingehämmert hat.

    Abgesehen davon finde ich auch, dass dieser unselige Trainer offenbar ein kümmerlicher Psychologe ist, der Darmstadt, Heidenheim & Co. zu Übermannschaften stilisert; man muss nicht automatisch überheblich sein, wenn man etwas selbstbewusster auftritt. Die Punkte will er erklärtermaßen immer haben, aber eine gewisse Rotzigkeit gehört auch dazu. So ist seine Mannschaft eben auch … viel zu brav.

    Weiter von Platz 1-6 zu sprechen, ist eine Unverschämtheit, wo Fortuna (!) einem schon so hold in die Karten gespielt hat. Nicht die Mannschaft hat „über dem Zenit gespielt“, FF, ihr seid einfach zu blöd, die Geschenke von der Bescherung auszupacken!

    Ja, ja, stimmt schon – ich bin in der Kabine nicht dabei gewesen, natürlich nicht…

  2. Das nervt mich auch, dass Funkel jeden Gegener extrem stark redet. Mag ja sein, dass er intern etwas anderes spricht, aber die Körpersprache der Mannschaft in Heidenheim machte nicht diesern Eindruck.

    Klar, Respekt muss man vor jedem Gegner haben, aber als Tabellenführer muss ich auch aussprechen, dass ich dieses Spiel gewinnen will und muss. Die Stärken des Gegeners der eigenen Truppe vermitteln, aber eben auch die eigenen Möglichkeiten und den Willen, dieses Spiel für sich zu entscheiden. Wenn ich jetzt immer noch von Platz 1 bis 6 sprechje, gebe ich der Truppe ein wunderbares Alibi. In der WZ steht ein passender Kommentar eines der Redakteure.

    In den 10, 15 Minuten nach der Pause hat man doch gesehen, das bei entsprechenden Druck und mit Geschwindigkeit Heidenheim wie ein Hühnerhaufen wirkte. Ich verstehe nicht, dass ein Abstiegskandidat mehr Willen und Leidenschaft zeigt, als der Tabellenführer kurz vor Ende der Saison.

    Aber ich höre jetzt auf, denn sonst käme ich in die Wiederholung dessen, was ich hier nach dem Regensburgspiel schon geschrieben habe.

    Für mich wäre alles was schlechter endet als Platz 2 nach diesem Saisonverlauf und dem erspielten Vorsprung eine Entäuschung. Das ursprüngliche Saisonziel Platz 1 bis 6 ist jetzt nur noch eine Ausrede.