Oh Wunder! Das Kom(m)ödchen wird morgen 75 Jahre alt – eine Erinnerung…
Lesestück · In diesen Tagen feierte eines der berühmtesten politischen Kabaretts Deutschland sein 75. Jubiläum. Dass es nach dem Tod der Gründer, Kay und Lore Lorentz, überhaupt noch existiert, ist a) ein Wunder und b) das Ergebnis der Hartnäckigkeit von Sohn Kay und seiner Frau Elke. Der Sohn hieß bei uns nur „der kleine Kay“; er war in unserem Alter und fiel bisweilen mit einer Horde Freunde im Theater ein, um eine Vorstellung zu besuchen. Das war so um 1969 herum. Die Mutter meines Schulfreunds Jörg arbeitete als Garderobiere der „großen Lore“. Man war links, man war progressiv, man duzte sich. Die Chefin des Büros, das im ersten Sock des Hauses zwischen dem Hühner-Hugo und dem Goldenen Kessel an der Bolkerstraße lag, hieß folgerichtig nur „die Mie“. Das war wichtig: Vor den Vornamen wurde der bestimmte Artikel gesetzt – also „der Kay“ und „die Lore„. Das war so demokratisch wie alles am Kom(m)ödchen. [Lesezeit ca. 4 min]
Bei der Mie holten wir unser Geld ab. Denn der Jörg und ich, wir wirkten als Bühnenhelfer. Als das grandiose Ensemble (Lore Lorentz, Werner Vielhaber, Ernst H. Hilbich, Jochen Piel) im Sommer und Herbst 1969 das Programm „Es geht um den Kopf“ einstudierte, war es unser Job, die Bühne für die Proben umzubauen. Bisweilen halfen wir aber auch an der Gästegarderobe, und während der Spielzeiten wurden wir angefordert, wenn das Kom(m)ödchen einen „Abstecher“ machte. So nannte und nennt man es, wenn ein Ensemble, das auf der eigenen Bühne en suite spielt, Tagesgastspiele gibt. So fanden wir uns spät abends an der Kunsthalle ein, um gleich nach dem Ende der Vorstellung das Bühnenbild abzubauen und samt Requisiten im kom(m)ödchen-eigenen Ford Transit zu verstauen. Das war nicht ganz unkompliziert. Das Theater haust in einem Winkel der 1967 eröffneten Kunsthalle am Grabbeplatz. An der Rückseite, also an der Mutter-Ey-Straße, endet der Lastenaufzug, mit dem die Kunstwerke in die Ausstellungsräume verfrachtet werden. Der Zugang liegt in einem nicht-öffentlichen Treppenhaus. Vom Kom(m)ödchen aus gibt es eine doppelflüglige Verbindungstür in dieses Treppenhaus. Leider ist der Gang von der Hinterbühne zu dieser Tür auch nicht besonders breit. Diese Umstände bei den Entwürfen der Kulisse und der Requisiten zu berücksichtigen, war damals Aufgabe von Wolf Seesselberg, dem genialen Bühnenbildner. Der hatte ein besonderes Händchen dafür, multifuktionale Dinge zu entwerfen, die im Bühnenbild je nach Szene verschiedenartig genutzt werden konnte. Beim Programm „Es geht um den Kopf“ – das intern nur das „Kopf-ab-Programm“ hieß – stand ein Guillotine im Mittelpunkt, deren Fallbeil als überdimensionale Rasierklinge gestaltet war. Mit einem Handgriff konnte man die umklappen und auf der Fläche sitzen.Unterstützt TD! Dir gefällt, was wir schreiben? Du möchtest unsere Arbeit unterstützen? Nichts leichter als das! Unterstütze uns durch das Abschließen eines Abos oder durch den Kauf einer Lesebeteiligung – und zeige damit, dass The Düsseldorfer dir etwas wert ist.
Alles für die Demokratie
Bei den Proben hielten wir uns durchweg im Hintergrund der Bühne auf. Ich erinnere mich noch an die konzentrierte Stille und die immer ein wenig staubige Atmosphäre im Saal. Der Kay saß immer im Dunkeln, unterbrach gelegentlich und gab mit ruhiger Stimme Hinweise. Manchmal wurde rumgealbert. Überhaupt war der ganze Verein wie eine lustige Familie, in der jeder seinen Platz hatte. Noch heute habe ich die Lores markante Stimme mit dem rollenden R im Ohr und sehe das schelmische Grinsen vom Hilbich vor mir.Es wurde viel diskutiert im Kom(m)ödchen, und jeder hatte eine Stimme – sogar wir Jungs mit unseren 16, 17 Jahren. Denn ein Begriff stand im Mittelpunkt: Demokratie. Vom „großen Kay“ stammt der Satz „Wir dürfen die Demokratie nicht verplempern“, und das war immer Gesetz im Theater, im Büro und bei anderen Gelegenheiten. Wenn wir mittags eintrudelten, waren alle Beteiligte oft schon in Debatten verstrickt. Jeder hatte alle wichtigen Zeitungen gelesen und sich dazu eine Meinung gebildet. Kein Wunder, dass die Wände im Büro durchgehend mit alten Zeitungen tapeziert waren. Und so komödiantisch die Ensemblemitglieder meist waren, so politisch ihre Denke.
Mich haben die zwei, drei Jahre rund ums Kom(m)ödchen politisch tief geprägt. Und mir eine ebenso tiefe Liebe zum Theater eingepflanzt. Leider war und ist diese Liebe so groß, dass ich mich nie getraut habe, einen beruflichen Weg hinter oder auf die Bühne zu wagen. Das unterscheidet mich von Kay und Lore Lorentz, die ja zum Zeitpunkt der Kom(m)ödchen-Gründung beide keinerlei Theater-, Bühnen- oder Texterfahrung hatten, aber den starken Willen, nach dem Ende des nationalsozialistischen Deutschlands am Sieg der Demokratie mitzuwirken.
[Hinweis: Dieser Text erschien zum ersten Mal im März 2017 zum 70. Geburtstag des Kom(m)ödchens.]