Zu dieser Stunde schiebt sich eine Gruppe von übermütig lachenden Gymnasiasten durch die Drehtür des Konzertcafés „Mainz“ auf die verdunkelte Königsallee, die von den Obersekundanern und allen anderen Düsseldorfern kurz und stolz nur „die Kö“ genannt wird. Die Schüler haben zu den Synkopen einer holländischen Fremdarbeiter-Band eine „organisierte“ Flasche Trester getrunken und sind gross in Fahrt. Albernd und singend ziehen sie über den Corneliusplatz und durch die Altstadt zum Rathaus. In spätestens einem Jahr sind auch sie an der Front. Aber daran denken sie nicht. Pfingsten steht vor der Tür. Die Rosen blühen. Im Luftschutzkeller des Düsseldorfer Rathauses, dessen Wände mit Leuchtfarbe gestrichen sind für den Fall, dass das Licht ausfällt, herrscht Herr Dapprich als Brandwart. Herr Dapprich lächelt, als Joachim Fuchsberger, der zehn Jahre später als 08/15-Gefreiter Asch Filmruhm ernten soll, ihm die animierte Luftschutzgarde für die Nachtwache meldet. Auch Herr Dapprich war einmal siebzehn. Er scheucht die Jungen, die sich mit dem Dienst im Rathaus Schwerarbeiterkarten und ein paar Mark Taschengeld verdienen, in die zweistöckigen Betten. Sie haben nur Sekunden geschlafen, wenigstens meinen sie das, da jagt das Heulen der Sirenen sie schon wieder hoch. Schlaftrunken steigen sie in ihre Luftschutzmonturen und stülpen sich die Stahlhelme über.

Fuchsberger und zwei Kameraden stürmen mit langen Sätzen die Treppen des Rathaus-Aussichtsturms an der Rheinseite hoch. Die drei Siebzehnjährigen sind als Turmbeobachter eingeteilt, sie sollen Schadenmeldungen nach Sicht an die Befehlszentrale unten im Luftschutzkeller weitergeben. Genau um 1 Uhr 15 ist der erste Mosquito-Schnellbomber über der Stadt, fällt die erste Salve von roten Zielmarkierungsbomben mitten in das Gewirr der Strassen zwischen Hauptbahnhof und Rhein. „Sie kommen!“ schreit Fuchsberger in das Telefon zur Zentrale. Denn die Mosquito in zehn Kilometer Höhe ist nicht allein. Von jenseits des Rheins, aus der Gegend von Neuss, klingt das Dröhnen riesiger Geschwader herüber. Dort ist der Himmel ein Gewirr von Scheinwerferarmen.

Einer der drei Gymnasiasten, Arnold Gehlen, hat die nächsten Minuten und Stunden in seinem Tagebuch beschrieben: „Wir stehen wie angewurzelt auf unserm Beobachtungsturm über den Dächern der Stadt, sind erstarrt vor dem grandiosen und teuflischen Anblick der einfliegenden Geschwader, die wir deutlich erkennen. Wir glauben erst an eine Täuschung. Aber da zerreisst die Detonation der Bomben diesen Glauben. Der schwerste Angriff, der jemals gegen Düsseldorf geflogen wird, hat begonnen. An dem gerade noch so friedlichen Junihimmel hat sich der Schlund der Hölle geöffnet. Bombe kracht auf Bombe. Der Luftdruck gewaltiger Minen schleudert uns umher. Dazwischen hören wir das satte Klatschen der Brandkanister, wenn sie auf das Pflaster aufschlagen. Was nützt es schon, wenn wir an dem Kranz der Himmelsrichtungen im Beobachtungsturm ablesen, in welcher Gegend Brände aufflackern und Explosionswolken hochsteigen? Was nützt es, wenn wir diese Beobachtungen sofort der Zentrale unten im Bunker melden?

Schon nach wenigen Minuten ist der ganze Himmel blutrot, zitternd vom Luftdruck der Bomben, die ganze Strassenzüge der Stadt durchschütteln und Mauerfetzen, Dachstühle, Fenster, Strassenpflaster und Bäume Hunderte von Metern weit durch die Luft schleudern. Die Hölle bricht so überraschend und so überwältigend über uns herein, dass wir noch nicht einmal an unsere eigenen Angehörigen denken, die irgendwo in der Stadt im Keller hocken, mit bleichen Gesichtern des Entsetzens, Tränen der Verzweiflung in den Augen, den sonst nie benutzten Rosenkranz des Nachbarn in der Hand… Wir drei stehen da oben auf unserm Turm mit gelähmten Sinnen vor der schrecklichen, blutroten Kulisse einer verbrennenden Stadt. „Wie beim Brand von Rom“, sagt einer leise. Seltsamerweise müssen wir darüber lachen. Wir schütteln uns sogar vor Lachen. Und da sehe ich die Bombe durch die Luft orgeln. Es ist eine Minenbombe, so gross wie eine Litfasssäule. Gleich einem Gespenst, schillernd und riesengross am brennenden Himmel, so segelt die Bombe über den Rhein, am Rathaus vorbei, kippt plötzlich ab, stürzt und bohrt sich neben dem Schlossturm in die Erde. Wir ducken uns zusammen, klammern uns fest. Aber die Explosion bleibt aus. „Blindgänger“, sagt Joachim Fuchsberger endlich. Und wieder lachen wir. Denn wenn dieses Ding hochgegangen wäre, hätte es uns von unserem luftigen Posten geweht, hätte es auch von uns geheissen, dass wir für Führer, Volk und Vaterland gefallen wären, genau 2000 Kilometer hinter der Front…“ [Quelle: Augenzeugenbericht aus einem Buch des Holocaust-Leugners David Irving]

Bomber-Harris würfelt Düsseldorf aus

Dass es in dieser warmen Nacht Die Stadt Düsseldorf wurde, die zwischen Golzheim und Bilk, der Altstadt und Flingern zu mehr als 90 Prozent zerstört wurde, ist einem meteorologischen Zufall geschuldet. RAF-General Harris hatte einen Großangriff auf eine Stadt im Westen Deutschlands vorgehen und eigentlich eher an das Ruhrgebiet gedacht. Als aber gegen Abend des 11. Juni die Wetterdaten vorlagen, entschied er sich für Düsseldorf. Um den Luftschutz zu verwirren, wurden Scheinangriffe mit kleinen Verbänden auf Köln und Duisburg sowie auf Münster geflogen.

783 Flugzeuge waren an diesem Bombenangriff beteiligt. 13 Mosquito-Bomber setzten die Zielmarkierungen, unterschiedlich große Lancaster-, Halifax-, Wellington- und Stirling-Bomber warfen innerhalb von ziemlich exakt 80 Minuten 1.300 Sprengbomben und 225.000 Brandbomben ab. Hauptziel war die Altstadt. Aus Versicherungsunterlagen, die dem Lloyd of Lomdon vorlagen wusste man, dass dort der Anteil an Holzbauten am größten war. Harris und sein Stab nahmen an, dass sich die Stadt von hier aus am leichtesten in Brand setzen lassen würde. Die Methode: Sprengbomben und Luftminen zerstören durch Explosionen oder Druckwellen die Dächer, sodass die Brandbomben gleich ins Innere fallen und das Haus entzünden können. Insgesamt wurden in diesen anderthalb Stunden 9.000 Gebäude vollständig zerstört und in etwa dieselbe Anzahl so stark beschädigt, dass sie anschließend nicht mehr bewohn- und/oder nutzbar waren. Über viele Stunden brannte es fast durchgehend zwischen dem Rheinufer und der Hauptbahnstrecke; besonders stark betroffen waren neben der Altstadt vor allem Oberbilk und Derendorf. Rund 1.200 Menschen starben während des Angriffs, mehr als 2.200 wurden verletzt.

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