[Lesestück] Kann man sich heute nur schwer vorstellen, wie einfach man in den Achtzigerjahren eine gut bezahlten Studentenjob bekommen konnte. Nun ja, so ganz simpel war es nicht, an diesen Nachtschichtjob bei der Landeszentralbank zu kommen. Denn vor dem Vertrag musste ich eine ehrstufige Sicherheitsüberprüfung über mich ergehen lassen, polizeiliches Führungszeugnis und Benennen von Bürgern inklusive. Unser Sohn war noch nicht ein Jahr alt, seine Mutter hatte eine Vollzeitstelle, und ich kümmerte mich tagsüber um das Kind. Da kam eine Arbeit in der Nacht gerade recht. Einsatzort war die Packstelle der LZB in Neuss, wo Tag für Tag Datenträger aus ganz NRW aufliefen. Die Daten wurden ausgedruckt, in spezielle Kartons und an die Banken zurückgeliefert.

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Arbeitsbeginn war abends um acht, und wir konnten Feierabend machen, wenn alle Pakete versandfertig waren. Je nach Menge und vor allem störungsfreiem Betrieb der Maschinen waren wir um Mitternacht fertig, aber manchmal dauerte es eben bis drei, vier Uhr morgens. Bezahlt wurde das Gehalt für einen Vollzeitjob mit allen damals bei Behörden üblichen Zuschlägen und Gratifikationen. Wir waren eine bunte Truppe von einem Dutzend Studenten, die von drei oder vier langgedienten LZB-Mitarbeiter angeleitet und geführt wurden. Die waren alle enorm lässig und erheblich trinkfest. Natürlich wurde während der Arbeitszeit nicht gesoffen. Nicht selten aber fand sich die Mannschaft nach Dienstschluss in einer Nachtkneipe um die Ecke ein, um noch ein bisschen gemütlich zusammenzusitzen.

Mahlzeit an der Kotelettbude

Oft habe ich mich daran nicht beteiligt, weil ich natürlich immer anstrebte, möglichst schnell nachhause zu kommen. Denn der Sohn war ja meist spätestens um sieben wach und forderte die volle Aufmerksamkeit seines Papas. Und weil ich in der Regel vorher nichts aß, hielt ich nicht selten an der Moltkestraße an, um mir bei der legendären Kotelettbude einen Imbiss zu holen. Die fetttriefenden Koteletts zum Mitnehmen wurden in einem speziellen Papier verpackt übergeben, das nicht saugfähig war. Manchmal nahm ich auch die berühmten Frikadellen, die so kross waren, weil in der Pfanne gebraten, aber vor allem nach Brötchen schmeckten. Die kannte ich noch aus Schülertagen, als die Bude noch am Dreieck war und wir uns nicht selten eine solche Bulette gönnten, wenn wir uns dort trafen.

Der erste Schritt bestand darin, die Lieferwagen zu entladen. Die kamen aus allen Orten, in denen es Bankzentralen gab, also aus Städten wie Köln, Bonn, Aachen, dem Ruhrpott und aus Münster. In großen Boxen lagen Dutzende Magnetbänder in grünen Kunststoffhüllen, auf denen die täglichen Lastschrift- und Überweisungsdaten der Banken gespeichert waren. Die wurden dann in einem separaten Raum von Computern ausgelesen und an die gut zehn Drucker in der Packstelle geschickt. Gedruckt würde auf gewaltigen Stapeln Endlospapier. Die galt es anschließend vom Perforationsrand zu befreien und in einzelne Blätter zu schneiden. Dafür gab es selbstverständlich Maschinen; die waren Hauptfehlerquelle, denn nicht selten zerhackten die Dinger das Papier anders als vorgesehen. Dann musste neu gedruckt werden.

Drucken, schneiden und verpacken

Die Ausdrucke mussten wir dann in passende Päckchen zerlegen und in die dunkelgrauen, wasserdichten Kartons packen. Damit beim Ausliefern nichts durcheinander geriet, gab es Klebetiketten, die wir sorgfältig mit den entsprechenden Informationen beschriften mussten: Name der Bank, Bankleitzahl, Datum sowie Laufnummern der enthaltenen Belege. Aufgeklebt wurden die mit richtig echtem Papierleim. Und weil die Kartons so oft wie möglich wiederverwendet wurden, traf es immer zwei, drei Jungs, die solche Altkartons zu bearbeiten hatten. Die mussten prüfen, ob eine Kiste noch mal benutzt werden konnte, und, wenn ja, die diese Etiketten zu entfernen hatten, von denen es oft mehrere Lagen auf einem Karton gab. Das galt als Strafarbeit.

Das sensibelste Gerät im Raum und das einzige, das gefährlich war, bestand aus einem Förderband mit einer Vorrichtung, die sehr scharfkantige und fast unzerstörbare Plastikbänder um die Kartons legten und fest zuzogen. Wer mit der Hand dazwischengeriet, hatte ein Problem. In den knapp anderthalb Jahren, in denen ich meine Nächte bei der LZB verbrachte, geschah das ungefähr zehn Mal; das jeweilige Opfer musste ins Krankenhaus gebracht werden. Körperlich anstrengend, und das nur in geringem Maße, war das Verladen der Kartons, die pro Stück etwa vier, fünf Kilo wogen. Heute gibt es diesen Prozess natürlich nicht mehr. Die Banken bereiten ihre Daten selbst auf und übertragen sie über das Netz an die Zentralstellen. Belege werden zwar immer noch gedruckt, aber dezentral.

Nachrichtenbörse in den Pausen

Eigentlich handelte es sich um einen lauen Job mit langen Wartezeiten, in denen man sich prima unterhalten konnte. Wie in den frühen Achtzigern üblich wurde viel über Politik gesprochen. Die Positionen der Diskutierenden lagen weit auseinander: Da gab es grüne Ökos, Aktivisten der Friedensbewegung und sehr linksorientierte Kollegen, aber eben auch – gerade unter den älteren – ultrakonservative und auch rechtsextreme Vertreter. Ein Mitstudent stach besonders hervor. Er erschien immer äußerst korrekt gekleidet, sprach immer sehr gewählt und war natürlich in der Jungen Union – ein netter Kerl, der aber oft und gern von den anderen verspottet wurde.

In der warmen Jahreszeit fuhr ich mit dem Rad zur Arbeit, weil die Chance, mitten in der Nacht mit dem ÖPNV von Neuss zurück in die Stadt zu kommen, sehr gering war. Im Winter nahm ich das Auto, und gerade die Rückfahrten bei Schnee und Eis über die Südbrücke sind mir in Erinnerung geblieben. Nach ein paar Monaten hatte sich eine kleine Clique aus fünf Studenten, zu denen ich zählte, gebildet, die sich regelmäßig vor Dienstbeginn auf ein Glas Bier in einer Kneipe an der Ecke Stresemannallee/Augustinusstraße befand und schon lange nicht mehr existiert. Gelegentlich nahmen wir hier auch das Abendessen ein – das war durchweg deftig, lecker und äußerst preiswert.

Ein lauer Job und viel Freizeit

Wie gesagt: Der Job war lau, und sanktioniert wurde ausschließlich Zuspätkommen. Ein Typ von der Sorte Späthippie schaffte es innerhalb von zwei Monaten dreimal fast eine Stunde zu spät zu erscheinen und wurde gefeuert. Es war derselbe Kerl, der eines Abends total verheult reinkam; es war der Todestag von Bob Marley, seinem großen Idol. Diese wie auch viele andere Nachrichten wurden immer ausführlich besprochen, und weil fast jeder andere Zeitungen las oder andere Radiosender hörte, waren unsere Nachtschichten auch so etwas wie eine Nachrichtenbörse. Apropos: Wie damals in fast jedem Büro, in jeder Werkstatt und an vielen Arbeitsstellen üblich, lief während der Dienstzeit das Radio, und ständig gab es Streit darüber, welcher Sender eingestellt werden sollten. Während die angestammten LZBler gern die Schlagersendungen auf Radio Luxemburg hörten, standen wir Studenten mehr auf den WDR Hörfunk und vor allem auf SWF3.

Besonders gern erinnere ich mich an den Sommer des Jahres 1981. Der war zwar nicht besonders schön, aber doch so, dass man viel draußen sein konnte und wollte. Mein Tagesablauf hatte sich eingependelt. Nachdem mein Sohn und ich gefrühstückt und uns fertiggemacht hatten, packte ich die Freibadtasche. Und dann fuhren wir mit dem Rad ins Allwetterbad Flingern, wo wir bis zur Mittagsschlafzeit blieben. Vater und Sohn machten dann ein Nickerchen, und während er Papa sich um den Haushalt kümmerte, spielte der Kleine um ihn herum. Dann kam die Mama, und ich konnte mich bei Bedarf noch ein wenig aufs Ohr legen. Das größte Manko am Job war, dass es unter der Woche natürlich Essig mit irgendwelchen Abendveranstaltungen war und mir so einige Partys und viele spannenden Rockkonzerte entgingen. Aber der ordentliche Lohn entschädigte in ausreichendem Maße.

[Bildnachweis – Titelbild: Hannes Grobe via Wikimedia unter der Lizenz CC BY-SA 2.5]

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