Ein scheinbar unscheinbares Gebäude an der Kaiserswerther Straße entpuppt sich als bedeutendes Baudenkmal der Fünfzigerjahre.
Bericht · Ein Geständnis: Wohl Hunderte Male bin ich am Haus Kaiserswerther Straße 137 vorbeigekommen, und das Einzige, was mit jemals auffiel, war die überlebensgroße Skulptur eines nackten Jünglings. Nun aber stieß ich bei der Durchsicht der Düsseldorfer Baudenkmäler auf dieses Gebäude, das sogenannte „Drahthaus“. Es wurde zwischen 1951 und 1952 in nur neun Monaten fertiggestellt und war für die damalige Zeit in jeder Hinsicht ultramodern. [Lesezeit ca. 6 min]
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Wie es der Zufall will, stellte sich heraus, dass mein Vater damals als Bauzeichner am Projekt beteiligt war. Der gelernte Maurer hatte sich per Fernstudium weitergebildet und war auf dem Weg zum Bauingenieur. Das ergeben Unterlagen meines 1967 viel zu früh verstorbenen Vaters, der ab 1954 bis zu seinem Lebensende als festangestellter Architekt für die leider nicht mehr existierende Hirschbrauerei („Düssel Alt“) tätig war. Anlass genug, mich mit dem Drahthaus näher zu befassen. Also machte ich mich auf, mir das Gebäude aus der Nähe und soweit möglich von innen anzuschauen und Fotos zu machen.
Dabei traf ich zufällig auf Ingrid Sassen, die Geschäftsführerin des Bundesverbands Draht e.V., der immer noch im Drahthaus residiert. Wir unterhielten uns über die Geschichte des Baus, und Frau Sassen stellte mir eigene Fotos und interessante Unterlagen zum Drahthaus zur Verfügung. Für diese Unterstützung bedanken wir uns sehr!
Der Düsseldorfer Architektenstreit
Planung und Bau dieses nicht besonders auffälligen Verwaltungsbaus fallen in die Ära des sogenannten „Düsseldorfer Architektenstreits„. Den hatte der 1949 gegründete Architektenring anlässlich der Präsentation des sogenannten „Neuordnungsplans“ der Stadt ausgelöst. Ihr Widerstand galt der Tatsache, dass Friedrich Tamms als Leiter des städtischen Planungsbüros, durch seine führende Tätigkeit für das NS-Regime belastet, mit Vorliebe alte Kollegen in städtische Ämter hob und mit seinem Konzept von der „autogerechten Stadt“ im Sinne der Nazis entwickelte Vorstellungen auf das Nachkriegs-Düsseldorf übertrug. Julius Schulte-Frohlinde wurde zum Beispiel Leiter des Hochbauamts und war bemüht, den neoklassischen Stil der NS-Architektur in der Stadt durchzusetzen.
Protagonisten des Architektenstreits waren unter anderem Helmut Hentrich und Hans Heuser. Und genau diese beiden seither renommierten Architekten haben das Drahthaus entworfen; die Bauleitung hatte Hubert Petschnigg inne – man kann auch sagen, dass dieses Projekt die Keimzelle für das weltweit bekannte Architekturbüro HPP (Hentrich-Petschnigg & Partner) darstellte. Soweit mir bekannt, arbeitete mein Vater nicht unter Petschnigg selbst, sondern war Mitarbeiter eines beauftragten Büros.
Das Drahthaus lässt sich nicht nur als herausragendes Beispiel für den Baustil des neuen, demokratischen Deutschlands lesen, sondern auch als Gegenentwurf zu Bauten im NS-Stil wie sie Schulte-Frohlinde – unter anderem mit der Alten Kämmerei am Marktplatz – forcierte. Und das gilt nicht nur für den Stil, sondern auch für die angewendeten Verfahren und Techniken. Geradezu revolutionär die Idee, die Geschossdecken nicht innerhalb des Gebäudes durch Mauerwerk oder Betonstützen abzustützen, sondern außen an schlanken Säulen aufzuhängen. Dabei nahm man Mannesmann-Rohre her, die mit Beton gefüllt wurden.Das erst ermöglichte die filigrane Fassade mit den breiten Bändern fast raumhoher Fenster. Auch das leicht überkragende Flachdach war hochmodern und stilbildend. Genau wie die ockerfarbigen Klinker, die sowohl außen als auch innen den Gesamteindruck des Drahthauses prägen. Für damalige Verhältnisse völlig ungewöhnlich auch das Treppenhaus. Es befindet sich zur Hälfte außerhalb des Baukörpers innerhalb einer halbrunden, verglasten Konstruktion und enthält vermutlich die deutschlandweit erste, an einem Stück gegossene Betontreppe. Ein Detail fällt nur aufmerksamen Betrachtern ins Auge. Die Geländer der Austritte vor den Fenstern bestehen aus Draht, der im gleichmäßigen Rhythmus zwischen waagerechten Stangen gespannt ist.
Das Drahthaus ist ein Gesamtkunstwerk, denn die klare und deutliche Formensprache findet sich im Inneren überall wieder. Es ist ein Segen, dass das Haus 1990 unter der Nummer A1212 in die Liste der Düsseldorfer Baudenkmäler eingetragen wurde und so vor Veränderungen oder gar dem Abriss geschützt ist. Immer noch dient es dem Bundesverband Draht als Hauptquartier, auch wenn inzwischen andere Mieter – für die Kaiserswerther Straße typisch handelt es sich vorwiegend um Firmen der Modebranche – beherbergt. Dass der Bau so schnell und so konsequent entlang der Entwürfe und Planungen fertiggestellt wurde, hat auch damit zu tun, dass sich seinerzeit sämtliche Verbände der Drahtindustrie auf das Projekt einigten und die Finanzierung sicherstellten.
Im Haus selbst hört das Staunen nicht auf, denn nicht nur die repräsentativen Sitzungssäle im Erdgeschoss sind im Stil des Baus erhalten, überall findet man Details, die an diese Zeit erinnern – zum Beispiel der Haupteingang und die Pförtnerloge. Nur mit einer technischen Innovation kamen und kommen die Menschen, die im Drahthaus arbeiten, nicht gut zurecht. Weil die Technik der Fußbodenheizung noch nicht so weit war und man auf Heizkörper zugunsten der Optik verzichten wollte, entschied man sich für eine Deckenheizung. Heute weiß man, dass es fürs Raumklima weniger günstig ist, wenn die Wärme von oben kommt. Also bemüht man sich seit einiger Zeit, das Haus auf eine Fußbodenheizung umzurüsten.
Der Industrieanzeiger schrieb am 3. Oktober 1952 über das Drahthaus: „In dieser heiteren Gestaltung einer Arbeitsstätte kommt eine Gesinnung zum Ausdruck, welche die Arbeit nicht als notwendiges Übel ansieht, sondern als Lebenselement freudig bejaht.“ Ein Satz, der den Optimismus der frühen Jahre der deutschen Demokratie auf den Punkt bringt. Stein des Anstoßes aber wurde ein paar Jahre lang die Skulptur des Berliner Bildhauers Georg Kolbe, die im Vorgarten rechts gegenüber dem Haupteingang versetzt aufgestellt wurde. Die 3,5 Meter hohe Bronze, das letzte Werk von Kolbe, trägt den Titel „Stehender Jüngling“, war und ist aber in der Nachbarschaft einfach als „der nackte Mann“ bekannt. In den ersten Jahren nahmen die Anwohner Anstoß, vor allem am deutlich sichtbaren Geschlechtsteil, und machten sich Sorgen wegen der moralischen Gefährdung ihrer Kinder. So wurde die fragliche Stellen ein ums andere Mal durch Lappen und Tücher unsichtbar gemacht.
Allein schon durch die Bepflanzung des Vorgartens ist das seinerzeit als anstößig empfundene Kunstwerk nicht mehr so auffällig, und heute würde sich wohl niemand mehr daran stören. Überhaupt wirkt das Drahthaus mittlerweile durch die modernen Bauten zu beiden Seiten eher unscheinbar. Auch das weist daraufhin, dass die Architekten es nicht auf den Effekt angelegt haben, sondern auf eine saubere Ästhetik und optimale Nutzbarkeit.
2 Kommentare
Was für eine schöne „Entdeckung“.
Und dieses Treppenhaus – genial!
Danke für die Führung!
Ja echt wunderschön!