Würd schon gern wissen, wer sich den Spruch von der längsten Theke der Welt ausgedacht hat. Nein, Hans Ludwig Lonsdorfer war’s nicht. Der nutzt die Phrase in seinem legendären Altbierlied von 1978, aber sie ist schon älter. Ja, liebe Kinder, es waren nicht Die Toten Hosen, die diesen Song erdichtet haben, sondern der in Düsseldorf weltberühmte Komponist, der 1949 den dollen Karnevalsschlager mit folgendem Titel und Text geschrieben hat: „Du sollst mich lieben für drei tolle Tage, aber nach dem Namen frag mich bitte, bitte nicht“. Ja, so isser, der Rheinländer… Jedenfalls wird die Düsseldorfer Altstadt – nach allem, was ich herausfinden konnte – schon seit den sechziger Jahren als lange Schanktafel bezeichnet. Und zwar deshalb, weil sich hier auf engstem Raum zich Kneipen tummeln. Manche Gasse besteht fast nur aus solchen Gastwirtschaften unterschiedlichster Couleur. Das war, wenn wundert’s, nicht immer so. Und vor allem: In der Altstadt wird erst seit gut 170 Jahren Altbier gebraut und verzehrt! Denn bis weit ins neunzehnte Jahrhundert hinein war Wein das bevorzugte Getränk der Trinker.

Das ist im immer wieder empfehlenswerten Roman „Der Maulkorb“ des Düsseldorfer Schriftstellers Heinrich Spoerl nachzulesen, der ja nur mühsam verdeckt, dass es sich bei der preussischen Garnisonsstadt mit dem Denkmal des Königs um das damals noch winzige Düsseldorf handelt. Dort wanken die Suffköppe von Weinstube zu Weinstube – das Restaurant „Weinhaus Tante Anna“ ist das letzte seiner Art. Das Bier kam vor allem mit den Hausbrauereien in die Altstadt – und zwar der Uerige, Brauerei Schumacher und Brauhaus zum Füchschen. Und so gab es Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in der Altstadt eine der Größe des Viertels angemessene Anzahl Gastwirtschaften. Okay, paar mehr als üblich waren es schon, aber die heute noch sichtbare Dichte an alkoholausschenkenden Etablissements entstand erst nach dem Krieg.

Populär erst ab Mitte der Sechzigerjahre

Joseph mit seinen jugoslawischen Spezialitäten, und die Auf-die-Hand-Pizzeria an der Ecke Kurze / Mertensgasse war auch schon erfunden. Nicht vergessen darf man aber den fast schon mystischen, von Marius Müller-Westernhagen besungenen Hühner-Hugo. Dabei handelte es sich um eine Hähnchebraterei, die immer bis mindestens Polizeistunde Flattermänner anbot. Pommesbuden kamen später, und die ersten Pizzereien hielten gerade erst Einzug. Übrigens: Büdchen (für Auswärtige: Verkaufskioske) waren bis weit in die Achtzigerjahre in der Altstadt verboten.

Kleine Historie des Ratinger Hofs

Und so kommen wir ins Jahr 1976, also jenes Jahr, in dem der weltberühmte Ratinger Hof sich gerade von der kuscheligen Hippie-Bleibe mit Orientteppichen und Sperrmüllsofas in das schmuddelig-kalte Domizil der aufkommenden Punk-Musik-Szene wandelte. In der merkwürdigen Zwischenzeit, besonders im Jahr 1976, war ich praktisch Stammgast dort. Ich lebte in einer WG mit Leuten, mit denen mich wenig verband, und wanderte jeden Abend von der Klever Straße in die Altstadt. Oberkellner war im Frühjahr/Sommer 1976 der Künstler Rüdiger Berndt, den ich von meiner Studienzeit an der Kunstakademie (1971 – 1976) her kannte. Er trug meist ein rosafarbenes Satinjäckchen auf dessen Rücken in roten Lettern „DKP“ stand. In der Regel setzte ich mich auf die halbrunde Eckbank unter dem Fenster und trank genau 10 Alt. Mehr konnte ich mir nicht leisten. Auf diese Weise verfolgte ich übrigens die Olympischen Spiele des Jahres 1976 in Montreal. Unter der Decke über dem Gang zu den Klos hing ein Fernseher – nur der Ton wurde nie angestellt.

Nun fand ich dieser Tage eine Artikel im Spiegel-Archiv:

Fast täglich werden Passanten oder Thekensteher krankenhausreif geschlagen oder mit Schnappmessern angestochen. Mal prügeln sich, wie in der „Kreuzherrenecke“, zehn Polizisten mit Gästen und Personal, angefeuert von dem Kellnerruf: „Das ist die Manier der Altstadt-Bullen — zeigt ihnen, daß sie das nicht mit uns machen können!“ Mal machen, wie im September letzten Jahres, Fußballfans aus der Altstadt ein Schlachtfeld — mit zahlreichen Verletzten, darunter Frauen und Kinder. Dann wieder zertrümmern Betrunkene das Mobiliar kleiner Stehkneipen, werden uniformierte Beamte mit Messern angefallen — die Polizei zieht Monat für Monat eine blutige Bilanz. [Der Spiegel 19/1976]

Oha, dachte ich, die spiegel-typische Panikmache gab es auch damals schon. Und plötzlich fiel mir ein, dass ich die beschriebene „Massenschlägerei“ vorm „Bobbys“ (so nennen wir das „Kreuzherreneck“…) zumindest am Rande mitgekriegt habe. Aber so dramatisch wie vom Verfasser beschrieben war’s gar nicht. Halt eine Klopperei. Da waren die Überfälle der britischen Soldaten um ein Vielfaches schlimmer – und die fanden schon seit den frühen Sechzigern regelmäßig statt. Ich erinnere mich – es muss eher 1977 oder 1978 gewesen sein – daran, dass an einem sehr heißen Sommerabend so um die zwanzig englische Typen, keiner viel größer als ein Hausschwein, mit kurzen Haaren und Bitpull-Fressen in die Ratinger Straße einfielen und sich einmal durch die drei legendären Kneipen prügelten. Ich war gerade in der Uel pinkeln. Als ich rauskam, traf ich auf eine Reihe Leute, die bös gezeichnet waren…

Nun fantasiert der Autor des zitierten Artikels ja Analogien zu St.Pauli herbei. Dabei haben aber die gelegentlichen Boxereien mit den semi-mafiösen tendenzen jener Zeit nichts zu tun. Und weshalb der olle Mattner – mit dem mein Vater sehr befreundet war – in diesem Zusammenhang auftaucht, ist mir schleierhaft.

Gemütlicher als heute

Insgesamt war es in der Altstadt 1976 deutlich gemütlicher als heute. Die Spanier hatten noch nicht die Schneider-Wibbel-Gasse erobert, und man konnte dort noch entlanggehen, ohne an die Touri-Tische zu stoßen, die kaum noch einen halben Meter Gehweg freilassen. Der Junggesellenabschied war wohl noch nicht erfunden, jedenfalls marodierten noch keine Provinzknallihorden durch die Gassen. Überhaupt war der Anteil an Auswärtigen eher gering – und wenn, dann kamen die Nicht-Düsseldorfer meistens aus Ratingen, Velbert, Hilden, Erkrath, Neuss und Büderich, manchmal sogar aus Krefeld und Duisburg, den diese Städte waren per Straßenbahn angebunden. Auf der Straße wurde nicht gesoffen. Einerseits weil das verboten war und man schonmal Kloppe von einem Kellner risikierte, wenn man vor seiner Pinte mit ner Bierdose erwischt wurde, und andererseits weil es keine Büdchen in der Altstadt gab, in denen sich irgendwelche Testosteronbömbchen mit billigem Alk versorgen konnten. Apropos: Ein Alt (0,2 Liter) kostete damals maximal 1 Mark, was angesichts von Stundenlöhnen von um die 12 Mark für Studenten ziemlich billig war. Heute muss der willige Trinker in den Hausbrauereien mindestens 1,70 Euro pro 0,25-l-Glas rechnen. Damit ist das Bier heute inflationsbereinigt ungefähr um das Dreifache teurer geworden. Schmeckt aber immer noch gut – besonders im Füchschen auf der Ratinger Straße im Gastraum, auf der Bolker Straße vor dem Goldenen Kessel (Schumacher) und natürlich am Rondell gegenüber vom Uerigen unten am alten Hafen.

[Das Foto stammt von Ralf Zeigermann, dem legendären Cartoonist und Herausgeber dieses wunderbaren Buches in der Blechdose zur Geschichte des Ratinger Hofs zwischen 1976 und 1982 – Kaufbefehl!!!]

[Zuerst erschienen in der Rainer’schen Post am 19.12.2010 – hier korrigiert und überarbeitet]

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