Ja, auch Peter Kürten zählt zu den Düsseldorfer Gesichtern – wenn auch zu denen auf der dunklen Seite. Als Massenmörder, dessen Tun den Bürger*innen unbegreiflich blieb, wurde er zu einem Mythos der Stadt, der bis heute nachwirkt. Gleichzeitig steht seine Geschichte, die schon mit 13 Jahren begann, als er ein Mädchen im Grafenberger Wald würgte, für die rasante Entwicklung Düsseldorfs vom Residenzstädtchen zur Industriemetropole.
Die Familie Kürten kam 1894 aus Mülheim bei Köln nach Düsseldorf. Der Vater war Sandformer, ein Handwerksberuf, der sich im Zuge der Industrialisierung von einer beinahe künstlerischen zu einer von vielen Tätigkeiten im Umgang mit Gusseisen entwickelt hatte. Der 1883 geborene Peter hatte zwölf Geschwister, der Vater war schwerer Alkoholiker, der seine Kinder schlug und missbrauchte – etwas, was im verelendeten Proletariat in jenen Jahren sehr oft anzutreffen war. Industriearbeiter hatten eine Sechstagewoche mit 60 bis 72 Arbeitsstunden, verdienten aber meist nicht genug, um eine Familie mit derart vielen Köpfen zu ernähren. Die Wohnsituation der Kürtens in Mülheim und später in Gerresheim muss fürchterlich gewesen sein: 15 Personen in zweieinhalb Zimmern.
Erster Mord mit zehn Jahren?
Gewalt und sexueller Missbrauch bestimmten das Umfeld, in dem Peter groß wurde. Wie selbstverständlich es ihm erschien, anderen Menschen Gewalt anzutun, zeigt, dass er in der Gerichtsverhandlung, die zu seiner Verurteilung führte, gestand, er habe 1893 – da war er zehn Jahre alt – am Mülheimer Rheinufer zwei Jungen getötet. Weil sich aber fast vierzig Jahre später nicht einmal mehr nachvollziehen ließ, ob zwei Kinder damals verschwunden waren, wurde dieses Geständnis nicht berücksichtigt. Der Vater war Schreckensherrscher der Familie, und obwohl Peter genauso unter ihm litt wie die anderen, wurde sein Erzeuger sein Vorbild: Sich zu nehmen, was man will, seiner Aggression freien Lauf zu lassen.
Ein Ereignis, das seinerzeit keinerlei strafrechtliche Relevanz hatte, bestimmt bis heute das Bild des Peter Kürten als „Vampir“. Er selbst gab an, er habe an der Landskrone im Hofgarten einen Schwanenküken gefangen, geköpft und dann dessen Blut getrunken. Möglicherweise weil dieser Bericht einen großen Eindruck auf die Pressevertreter machte, erwähnte er in seinen Geständnissen, er habe auch dreien seiner Opfern das Blut ausgesaugt. Was von allem, was Peter Kürten im Verlaufe des knapp einjährigen Prozesses gestand, wahr ist, wird sich nie klären lassen. Prozessbeobachter berichten, dass der Massenmörder, dem schließlich neun Morde nachgewiesen werden konnten, die Aufmerksamkeit sehr genossen habe. Nicht nur die lokale Presse berichtete regelmäßig und ausführlich, selbst Korrespondenten amerikanischer Zeitungen nahmen an den Verhandlungen teil.
Haarkleine Tatschilderungen in der Wikipedia
Welche Faszination Kürten bis heute auf Menschen ausübt, zeigt der Wikipedia-Beitrag, dessen Autor*innen nicht müde werden, jede Tat, jeden Mordversuch, jede Station seiner kriminellen Karriere haarklein auszubreiten und vor allem die Episode mit dem Schwan insgesamt dreimal zu erwähnen. Heute würde man schon den jungen Kürten als Intensivtäter bezeichnen, der bereits mit sechzehn wegen Unterschlagung in den Knast kam und ab 1903 Gefallen daran fand, Scheunen, Ställe und Schuppen im Umland von Gerresheim anzuzünden, um sich bei den Löscharbeiten unter die Schaulustigen zu mischen. 1904 fuhr er wegen schweren Diebstahls in 34 Fällen für zwei Jahre ins Zuchthaus ein.
Seine Gewalttätigkeit wurde ab etwa 1913 sichtbar. Er bedrohte Frauen, misshandelte sie, schoss auf Wachmänner, die ihn aufstöberten – und wurde erneut eingeknastet. In dieses Jahr fiel auch der erste Mord, der ihm nachgewiesen werden konnte. Man darf sich Peter Kürten trotzdem nicht als wüstes Monster vorstellen; Leute, die ihn persönlich kannten, beschrieben ihn als freundlichen, meist gut gekleideten Mann mit einem gewissen Charme. Immer wieder hielt er sich unter den Beobachtern auf, die an einem seiner Tatorte zusammengekommen waren, und niemand hätte gedacht, dass er der Täter war. 1923 heiratete er, eine Frau, die wegen Totschlags durch Anwendung einer Schusswaffe vorbestraft war, was ihn sehr stolz machte.
Die Mordserie von 1929
1929 war dann das Jahr seiner fürchterlichen Mordserie in Düsseldorf; die Suche nach dem Täter, die sich in der Realität wesentlich weniger spektakulär abgespielt hat, bildete die Vorlage für den Fritz-Lang-Film „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ mit Peter Lorre. Wie die Geschichte des Peter Kürten bis in die heutige Zeit viele Schriftsteller*innen und Filmemacher*innen inspiriert hat. Tatsächlich verbreiteten die Taten des Jahres 1929 vor allem in den Kreisen der gebildeten und wohlhabenden Düsseldorfer*innen Angst und Schrecken, während die Arbeiterschaft von der Sache eher weniger Notiz nahm. Für die Zeitungen, die nach jeder Entdeckung einer Leiche, Extrablätter herausbrachten, war die Serie ein gefundenes Fressen. Am 24. Mai 1930 wurde Peter Kürten an der Rochuskirche verhaftet. Nachdem er sich tagelang versteckt hatte, wollte er dort seine Frau treffen, um sich von ihr zu verabschieden, denn er hatte vor die Stadt zu verlassen und unterzutauchen. Am 30. Juni 1931 wurde er im Kölner Klingelpütz per Fallbeil hingerichtet.
Wie sehr die Taten des Kürten in der Stadt zum Mythos geworden sind, lässt sich daran erkennen, dass die Mordserie und vor allem die Episode mit dem Schwanenküken noch in den Fünfzigerjahren an Biertischen und zu vorgerückter Stunde auf Familienfesten erzählt und kommentiert wurden. Dem 1952 geborenen Verfasser dieses Artikels waren der Name Peter Kürten und seine Morde schon als Kind bekannt. Er erinnert sich sogar daran, dass seine Tante einmal mit ihm zur Rochuskirche pilgerte, um ihm zu zeigen, wo Kürten verhaftet worden war. Jungen Frauen wurde in dieser Zeit Kürten immer wieder als Schreckgespenst vorgehalten, also als Beispiel, was ihnen passieren könnte, wenn sie nachts allein durch dunkle Straßen gingen. So betrachtet ist der Massenmörder Peter Kürten Bestandteil der Düsseldorfer Lokalgeschichte.