Mutter Ey ist eine Düsseldorfer Ikone. Und so oft und sehr sie in der Stadt, die sich der Kunstakademie und der Künstler rühmt, geehrt wird, so sehr wird sie auf ihre biografischen Daten reduziert. Zum Glück gibt es zwei Biografien, eine von Anna Klapheck und eine ganz hervorragende von Ute Bales, die mehr über diese ganz besondere Frau zu sagen haben als das, was man in der Wikipedia und den immergleichen biografischen Angaben findet. Gern wird Johanna Ey geb. Stocken auf die Rolle der mütterlichen Beschützerin der armen Künstler reduziert, und das wird ihrem Leben und Wirken nicht im Geringsten gerecht. Zumal ihr der Beiname „Mutter“ erst 1930 vom Journalisten Max Osborn angehängt wurde. Zuvor war sie in den Kreisen rund um die Künstlervereinigung „Junges Rheinland“ als Frau Ey bekannt.
Tatsächlich war sie Mutter von vier Kindern, den Überlebenden von insgesamt zwölf Geburten. Wobei sie zu ihren Kindern – bis auf eine Tochter – kein besonders inniges Verhältnis hatte. Geboren war sie 1864 als Johanna Stocken in äußerst ärmlichen Verhältnissen in Wickrath. Ohne jegliche Schulbildung blieb ihr wenig, als sich in einem herrschaftlichen Haushalt zu verdingen. 1883 oder 84 kam sie nach Düsseldorf, wo sie den Braumeister Robert Ey heiratete. Der war ein übler Säufer, der Frau und Kinder regelmäßig verdrosch. Mehr als ein Dutzend Jahre hielt sie es mit diesem miesen Typ aus bis sie sich 1906 scheiden ließ – und mit vier Kindern völlig mittellos dastand. Sie fand eine Anstellung in einer Bäckerei in der Altstadt, und weil sie eine schlaue Frau war, lernte sie schnell, wie der Laden funktionierte. Also eröffnete sie 1907 eine eigene Backstube auf der Ratinger Straße, gleich um die Ecke zum Eiskellerberg mit der damals schon hochberühmten Kunstakademie.Hungerkünstler und andere Stammgäste
Zunächst wurden die Professoren und Lehrer der Akademie Stammkunden, dann kamen immer öfter immer mehr Kunststudenten und dann auch die Künstler, die hier Brot kauften. Und weil die nur selten Geld hatten und Johanna Ey ein weiches Herz hatte, konnten die Hungerkünstler bei ihr anschreiben lassen. So wurde ihr Laden nach und nach zum Treffpunkt, sodass sie aus dem Geschäft für Backwaren 1910 eine Kaffeestube machte. Weil sich die Szene dort traf und Johanna Ey sie gewähren ließ, wurde dieses Lokal zum wichtigen Treffpunkt, nicht nur der Maler und Bildhauer, sondern auch der progressiven Schriftsteller und Journalisten. Viele ihrer Stammgäste zogen ab 1914 in den Krieg, nicht wenige davon freiwillig … und kehrten verwundet, traumatisiert und desillusioniert zurück.
Auf Anregung des Düsseldorfer Schriftstellers Herbert Eulenberg entstand 1919 die Künstlervereinigung „Das junge Rheinland“, um die sich bald alle die fortschrittlichen Künstler, Musiker und Dichter scharten, die schon vor dem Krieg bei Johanna Ey ein und aus gingen. Die hatte noch zu Kriegszeiten ein Lokal auf dem damaligen „Hindenburgwall“ (später: Alleestraße; heute: Heinrich-Heine-Allee) bezogen, und es war klar, dass sich die Leute vom Jungen Rheinland bei ihr treffen würden. Immer noch unterstütze sie die mittellosen Maler und nahm regelmäßig Gemälde anstelle von Geld, wenn die Hungerleider ihre Zeche nicht zahlen konnte. So war eine stattliche Sammlung zustande gekommen, die man bei Frau Ey sehen konnte. Allerdings handelte es sich bei diesen Bildern, Zeichnungen und Grafiken noch eher um Erzeugnisse der traditionellen Kunst wie sie bis weit in die Zwanzigerjahre hinein an der Kunstakademie gelehrt wurde.Johanna als Carmen
Zu Beginn dieser immer noch als „Goldene Zwanziger“ missverstandenen Epoche war Johanna Ey bereits mehr als 50 Jahre alt. Man sagte ihr nach, dass sie mit anderen Frauen schlecht auskam, weshalb in ihrem Lokal Damen keinen Zutritt hatten. Trotzdem war sie eng mit Luise Dumont befreundet, möglicherweise die einzige Freundschaft, die sie mit einer Frau pflegte. Natürlich hatte der ständige Umgang mit den intellektuellen Künstlern ihren Horizont erweitert, und nachdem man sie in die Oper eingeladen hatte, wurde sie zur glühenden Verehrerin des Musiktheaters. In Bizets Oper „Carmen“ verliebte sie sich regelrecht, ja, sie identifizierte sich in höchstem Maße mit der „männermordenden“ Protagonisten. Und das brachte sie zu ihrer Liebe zu Spanien. Als Frau von über 60 Jahren lernte sie den jungen spanischen Maler und Dichter Jacobo Sureda kennen und besuchte ihn 1927 auf Mallorca, wo sie einige Monate blieb. Darüber, welches Verhältnis die beiden verband, ist wenig bekannt. 1933 besuchte sie ihn erneut auf der Insel, 1935 starb Jacobo mit gerade einmal 34 Jahren.
Nur wenige Wochen nach dem Beginn des NS-Regimes wurde die Gruppe „Das junge Rheinland“ gleichgeschaltet und damit de facto aufgelöst. Die Kunst von solch bedeutenden Malern wie Otto Dix und Otto Pankok galt als entartet. Johannes Ey führte aber damals nicht mehr nur ihr Café, sondern betrieb in den Räumen am Hindenburgwall schon ab 1916 eine Kunstgalerie, die ab 1919 unter dem Namen „Junge Kunst -Frau Ey“ für Furore auf dem Kunstmarkt sorgte. Das alles ging innerhalb weniger Wochen durch die Machtmaßnahmen der NSDAP zugrunde. Viele Gemälde in der Galerie und im Lager wurden zerstört, manche einfach gestohlen. Nach andauernden Repressalien gab sie die Galerie 1934 auf. Wie genau sie sich durch die Zeit der NS-Herrschaft schlug, ist nicht bekannt. 1945 tauchte sie wieder auf wie der Phönix aus der Asche und eröffnete im Alter von nun schon über 80 Jahren m Juli 1947 auf der Hunsrückenstraße erneut eine Galerie; im selben Haus entstand ein Künstlercafé, und das „Kom(m)ödchen“ hatte dort seine erste Spielstätte. Erfolg hatte sie mit der Galerie nicht mehr. Ein halbes Jahr später starb sie.Johannes Ey oder Frau Ey
Wie gesagt: Johanna Ey ist eine Düsseldorfer Legende und wurde posthum auf vielfache Weise geehrt. Nach dem Bau der Kunsthalle am Grabbeplatz 1967 wurde die kleine Straße dahinter, die Verlängerung der Andreasstraße, in Mutter-Ey-Straße umbenannt. Auf dem Nordfriedhof wurde sie in einem Ehrengrab beerdigt, und in der Stadt finden sich vier Skulpturen und ein Wandbild von ihr. Als aus dem Gerichtskomplex an der Mühlenstraße das Andreasquartier wurde, entstand an der Neubrückstraße der Mutter-Ey-Platz mit einem Denkmal von Bert Gerresheim und dem Mutter-Ey-Café über dem ein Leuchtkasten „Mutter Ey lebt!“ präsentiert. Das alles ist erfreulich, wäre aber noch schöner, wenn sich nicht ausgerechnet der verniedlichende Beiname „Mutter“ über die Zeit gerettet hätte, sondern besser ihr richtiger Name oder die Bezeichnung „Frau Ey“, mit der sie zu Lebzeiten über fast 40 Jahre bekannt war.