Explodierendes Bevölkerungswachstum, fehlende Bauplanung – chaotisches Düsseldorf um 1910; ein Wettbewerb sollte Abhilfe schaffen.

Bericht · Man kennt das ja von Start-up-Unternehmen: Zu schnelles Wachstum kann in die Pleite führen. Um 1910 herum war Düsseldorf durchaus so etwas wie das Start-up unter den deutschen Großstädten. Das explosionsartige Wachstum der Bevölkerung von knapp 70.000 im Jahr der Reichsgründung 1871 auf 345.000 nach den Eingemeindungen von 1909 ist heute kaum vorstellbar: fünfmal so viele Menschen drängelten sich auf der kaum vergrößerten Fläche des Stadtgebiets. Grund für diese demografische Explosion waren die Folgen der industriellen Revolution ab etwa 1830 und der für diese Entwicklung extrem günstigen Voraussetzungen der kleinen Garnisonsstadt am Rhein. Schon ab 1880 wurde gebaut wie verrückt. Und damit die vielen zugezogenen Arbeiter unterkommen konnten, entstand ein städtebaulicher Wildwuchs sondergleichen. Das sahen die Stadtväter 1909 auch ein und suchten nach Abhilfe. [Lesezeit ca. 3 min]

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Nun genoss Düsseldorf dank der großen Ausstellungen der 1890er- und der Nullerjahre weltweit bereits einen guten Ruf, und so lud man für 1910 zur „Internationalen Städtebau-Ausstellung“ ein, an der unter anderem Vertreter aus Boston, Chicago, London, Zürich, Kopenhagen, Stockholm und Helsinki teilnahmen und ihre Pläne und Modelle vorstellten. Eigentlich als Fachausstellung geplant, zog die Veranstaltung hunderttausende neugierige Bürger, und weil Exponate nachgeliefert wurden, mussten zusätzliche provisorische Hallen errichtet werden. Das Ganze war so eindrucksvoll, dass die Stadt nach dem Vorbild Berlins einen Planungswettbewerb ausschrieb mit der Aufgabe, einen Generalplan zu entwickeln, wie Düsseldorf als Millionenstadt aussehen könnte. Die Ergebnisse dieses Wettbewerbs wurden dann 1912 in einer Folgeausstellung namens „Städte-Ausstellung Düsseldorf für Rheinland, Westfalen und benachbarte Gebiete“ präsentiert.

Der Siegerentwurf für Düsseldorf als Millionenstadt (Quelle: Kunstgewerbeblatt von 1913)

Der erste Preis ging an Bruno Schmitz, einen Dr. ing. Blum und den Dessauer Gartenbaudirektor Heck. Der in Düsseldorf geborene Schmitz war in Fachkreisen eine Berühmtheit, denn er hatte nicht nur den Entwurf für das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig geliefert, sondern auch die Kaiser-Wilhelm-Denkmäler an der Porta Westfalica, auf dem Kyffhäuser und am Deutschen Eck in Koblenz. Während einige Architekten eher zufällige Sammlungen möglicher Bauten präsentierten, brachten Schmitz & Co. einen generellen Entwicklungsplan ein, der von der Verkehrsinfrastruktur, über die Grüngürtelplanung bis hin zu Vorschlägen für ganz grundsätzlichen Veränderungen am Erscheinungsbild der Stadt umfasste.

Diese Planung wurde ab 1913 nicht nur in Fachkreisen heftig diskutiert. Das Kunstgewerbeblatt von 1913 widmete der Sache einen ausführlichen, kritischen Artikel, der auf einige spannende Details einging und auf verpasste Chancen aufmerksam machte. So bedauerte der Verfasser, dass sich im Entwurf keine Lösung für die unglückliche Hauptbahnhoflösung und den monströsen Güterbahnhof Derendorf fand. Tatsächlich hatte man mit dem Bau des neuen Hauptbahnhofs an heutiger Stelle den gordischen Knoten der drei benachbarten Bahnhöfe am Graf-Adolf-Platz durchschlagen, andererseits aber die Oberbilker Rückseite vom Rest abgeschnitten.

Stadtplan: Düsseldorf im Jahr 1906 (Quelle: maps.duesseldorf.de)

Stadtplan: Düsseldorf im Jahr 1906 (Quelle: maps.duesseldorf.de)

Geradezu visionär die Ideen zur Anbindung an das Fernstraßennetz (in den Zeiten vor der Verbreitung des Automobils!), von dem sich einige Details (nördlicher und südlicher Zubringer samt Mörsenbroicher Ei) bis heute erhalten haben. Die vom Gartenarchitekt Heck vorgeschlagenen Maßnahmen rund um Parks und Plätze fanden sich im städtebaulichen Konzept rund um die Bundesgartenschau 1987 als „Grüne Achse vom Rhein zum Rhein“ wieder. Die Zuwendung der Stadt zum Rhein wurde durch den Bau des neuen Rathauses und die Bauplanung für das, was heute Mannesmann-Ufer heißt, in die Realität umgesetzt.

Insgesamt sieben Rheinbrücken sah der Entwurf vor, davon vier Straßenbrücken – zu der Zeit gab es lediglich die Oberkasseler Rheinbrücke, aber daneben acht Fähren. Die „Skyline“ hätte sich verändert, und alles in allem zwölf „Monumentalbauten“ waren angedacht. Die Ratsmitglieder waren angetan und bereit, diese Planung weitestgehend umzusetzen; der Zeitrahmen lag bei mehr als zwanzig Jahren. Durch die Verdichtung der Wohnbebauung und die Anlage ganz neuer Quartiere im Osten und Norden wäre Düsseldorf bei anhaltendem Bevölkerungswachstum tatsächlich zur Millionenstadt geworden. Und wir hätten uns diesen Aprilscherz von 2017 sparen können. Aber der Ausbruch des ersten Weltkriegs machten alle Entwürfe zur Makulatur.

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