[Wir freuen uns, dass der liebe, alte Kollege Jürgen Grollius uns diesen feinen Text zur Verfügung gestellt hat.] „Der da“, sagt mein Vater und zeigt durch die Windschutzscheibe auf einen schlaksigen Typen mit langen Haaren, dunkelroter Lederjacke und leicht wippenden Gang vor uns auf der Straße. „Der ist Musiker. War gestern in meinem Laden und hat Farbe für seine Mutter gekauft.“ Ich schaue Marius hinterher und sehe ihn in der Heesenstraße verschwinden. Zu seiner Mutter Liselotte Müller-Westernhagen, die nach dem Tod seines Vaters immer noch da wohnt.

Mein Ziel ist an diesem Nachmittag im September 1970 allerdings nicht der Laden meines Vaters, sondern das kleine Radio- und Fernsehfachgeschäft auf der anderen Seite des Nikolaus-Knopp-Platzes. Dort gibt es die neuesten Langspielplatten, die aufgrund der Preisbindung überall in Düsseldorf 21 Mark kosten.

Das Türglöckchen signalisiert mich als neuer Kunde, schon steht ein geschmeidiges, älteres Männchen in einem weißen Kittel vor mir und fragt nach meinen Wünschen. „Die neue LP von Deep Purple,“ stottere ich heraus, „würde ich mir gerne mal anhören.“ Das Männchen im weißen Kittel runzelt etwas die Stirn, wühlt hastig in einer Kiste und zieht „Deep Purple In Rock“ heraus. Ich kenne von Deep Purple nicht viel, aber besonders die Single „Black Night“ finde ich mächtig gewaltig. Genau dieses Stück ist allerdings gar nicht auf der LP drauf und die restlichen Songs sagen mir gar nichts.

Egal. Bitte mal reinhören, ab in die Kabine. Der weiße Kittel nimmt mir Deep Purple wieder aus der Hand, holt fachmännisch das schwarze Vinyl aus der Hülle und legt es sorgfältig auf den Schallplattenteller in einer kleinen Hörkabine, die in dieser Zeit für solche Läden üblich ist. Die Nadel senkt sich in die Rille. Der weiße Kittel lässt mich allein und leider auch die Türe der Kabine auf. Denn nach rund 20 Sekunden ist die Hörprobe schon wieder vorbei.

Obwohl „Speed King“, der erste Song, über fünf Minuten geht! Aus den Lautsprechern ist bis dahin nur ohrenbetäubend laut das brachiale, instrumentale Intro zu hören, mit dem Richie Blackmore alles an bisheriger Pop- und Rockmusik auf einen Schlag wegfegt und die Tür weit für künftigen Rock und Metal öffnet. Musikhistorisch sozusagen. Wusste ich damals natürlich noch nicht.

„Du hast dich entschieden? Ist es die Richtige?“ fragt mich der weiße Kittel und lupft die Nadel von der Platte. Plötzlich ist Ruhe im Laden. Ich nicke, bezahle und verlasse mit leicht wippenden Gang den Laden. In der Hand halte ich die Tüte mit meiner ersten selbst gekauften Langspielplatte: „Deep Purple In Rock“. Genau heute, vor 50 Jahren.

Ein Kommentar

  1. Günther A. Classen am

    Ich werde mich auch bannig freuen, wenn der „liebe, alte Kollege Jürgen Grollius“ demnächst berichtet, wie er vor 60 jahren seine ersten Pommes-Rot-Weiß gegessen, bei Unbehaun im Sommer in der gefühlt hundert Meter langen Warteschlange hinter einem bezauberndem Mädel gestanden oder mit hochrotem Kopf für eine Mark seine ersten Kondome am Automaten im Herrenklo beim Schumacher auf der Oststraße gezogen hat.
    Einschneidende Erlebnisse, die einen heute noch zutiefst berühren.

    Lange Zeit haben mein damals bester Freund und ich in der Grünstraße der Schauspielerin Agnes Fink beim Schwimmen zugeschaut und sind in der Altstadt – wie die meisten unseres Alters – im Bermuda-Dreieck zwischen Cream-Cheese, Porky’s und Ratinger Strich ständig nicht nur über Marius-Müller Westernhagen gestolpert, sondern kannten ihn und viele andere Künstler und Musiker natürlich, zum Teil persönlich. Nix besonderes.
    Der Oma meiner ersten Freundin hat er zusammen mit seinem Gitarristen sogar vor deren Fenster am Nordfriedhof einmal ein Geburtstagsständchen gebracht.

    Leider kann ich bei alledem jedoch nicht mit einer LP aufwarten. Meine erste Schallplatte war nur eine Single: „It’s all over now“ von den Rolling Stones, also irgendwie „Bilk in Rock“.