Und schon wieder fängt sich die Fortuna einen in der Nachspielzeit. Davor aber…
Analyse · Der Schlüssel zum Spiel hieß „Balleroberung“. Darauf hatte Cheftrainer Daniel Thioune seine spielfähigen Kicker eingeschworen. Und sie setzten diese Forderung über weite Strecken bissig, ehrgeizig und schlau um. Allen voran zwei Kollegen, die bei manchen Fans schon die Mundwinkel nach unten gezogen haben: Eddie Prib und Ao Tanaka. Dazu ein mutiges, hohes Pressing, das in der ersten Halbzeit vor allem den komischen HSV-Keeper ein ums andere Mal in Verlegenheit brachte. Die Viererkette hinten stand 90 Minuten lang bombenfest und erlaubte den Hamburgern überhaupt nur drei Torchancen. Aber, das Spiel dauert eben nicht nur 90 Minuten, da ist ja noch diese verfluchte Nachspielzeit… [Lesezeit ca. 10 min]
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Einer im Block fragte, wie oft sich die Fortuna in der laufenden Saison schon einen in der Nachspielzeit gefangen hat. Euer Ergebener hat nachgeschaut und kommt auf fünf Treffer, die meist spielentscheidend waren. Es ging ja schon beim ersten Heimspiel gegen Bremen los, als die in der 96. Minute nach Nareys Ausgleich in der 94. noch den Sieg holten. Am 15. Spieltag schenkte HDH den Siegtreffer in der 92. Minute ein. In Kiel war es das 1:0 für die Hausherren in der 93. Minute. Ja, und jetzt eben zweimal nacheinander. Nach dem Ausgleich und dem nicht gegebenen Siegtor der Paderborner letzte Woche vermieste uns der HSV mit einer Hütte in der allerletzten Sekunde den hochverdienten Heimsieg.
Der typische Zweitligaverein aus der Hansestadt war mit erheblichem Anhang angereist, unter dem sich ein paar Lausbuben fanden, die ganz oft ganz kleine Lichter ansteckten. Immerhin hatten auch die hiesigen Ultras ein wenig Pyrotechnik dabei, die sie aber erheblich stimmungsvoller einsetzten als die vom HSV – die dieses Mal immerhin keine eigene Zaunfahne abfackelten (die Älteren werden sich erinnern…). Natürlich konnten auch die üblichen Ultra-Nörgler nicht an sich halten – vor allem die Sorte, die gar nicht anwesend war, dafür aber das Internet mit ihren dümmlichen Hate-Sprüchen vollspammt. Und selbstverständlich entspann sich wieder die sinnlose „Debatte“, ob die Stümmung ohne die Ultras nicht besser gewesen sei. Leute, Euer ergebener Blocksteher sagt: Nein, es ist einfach nur anders mit anwesenden Ultras. Punkt.
Seien wir ehrlich: Einen Hauch pervers ist es schon, dass man bei rasant galoppierenden Infektionszahlen, die einen Rekord nach dem anderen reißen, in einem ziemlich gut gefüllten Stadion herumsteht und sich freut, dass es schon fast wieder wie normal ist. Dass Putins Russland gerade einen schrecklichen Angriffskrieg gegen die Ukraine und ihre Bevölkerung führt, kommt an einem solchen Spieltag dann wenigstens noch in Form von ein bisschen solidarischem Blaugelb vor. Dafür war dann die Schweigeminute für den jüngst verstorbenen Ex-DFB-Präsidenten Egidius Braun angemessen stimmungsvoll – er war einer der wenigen DFB-Vorturner, die ein solches Gedenken überhaupt verdient haben.
Ist ja fast schon wie früher, dass sich euer Ergebener über so etwas wie Zuschauerzahlen (31.500), Stümmung und Pyro sowie das sonstige Drum und Dran ergehen kann. Wobei sich unsere gute, alte Tante Rheinbahn einen zusätzlichen Minuspunkt eingefahren hat: Eine Stunde vor Anpfiff ging bei der Anfahrt gar nichts mehr, mehr als 30 Minuten lang kamen keine Züge an der Arena an. Das üben wir aber noch einmal. Drinnen lagen dann schon die Fähnchen bereit, und mehr als ein Transparent am Block 160 forderte zum Boykott der bescheuerten WM in Katar auf … und das, wo doch Katar unsere Freundin wird, die uns massenhaft Flüssiggas liefern wird, damit wir nicht mehr so abhängig von Putin sind.
Genug politisiert, denn im Mittelpunkt de sonnigen Nachmittags stand ja immer noch ein Fußballspiel. Und zwar eines zwischen dem Tabellensechsten, der sich wie jedes Jahr immer noch falsche Hoffnungen auf den Aufstieg oder wenigstens die Relegation macht, und einer Fortuna im Aufwind, die aber bestenfalls immer noch nur fünf Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz hat; sollte Dynamo heute wider Erwarten in Nürnberg gewinnen, sind es sogar nur zwei. Klartext: Unsere Rotweißen spielen immer noch gegen den Abstieg. Nur wenn aus den kommenden drei Spielen gegen den KSC (A), gegen Rostock (H) und Hanoi 96 (A) mindestens fünf Punkte mitgenommen werden, könnte Düsseldorf aufatmen.
Dann dürfte es aber nicht so oft ausgedehnte Nachspielzeiten geben. Und an der Leistung der Mannschaft – ganz gleich mit welchem von Verletzungen, Sperren und Corona geformten Kader sie antritt – dürfte es am Ende dank Thioune und der drei neuen Mitmacher (de Wijs, Ginczek und Gavory) nicht liegen. Im Gegenteil: Schon jetzt nach der sechsten Partie der Ära DT wird klar, dass dieser Cheftrainer – übrigens optimal unterstützt von seinen Co-Coaches Jan Hoepner und Manfred Stefes – tatsächlich Spieler besser macht. Nehmen wir als Beispiel den viel gescholtenen schönen Eddie, dem wir alle dieses herrliche Tor in der 16. Minute gegönnt hätten. Hilfsweise auch dem Jordy, der den Abpraller rund zehn Zentimeter vor der Torlinie durch ein Luftloch ersetzte.
Schon an dieser kurzen Szenenbeschreibung zeigt sich: Die glorreiche Fortuna hätte schon nach einer halben Stunde 2:0 und zur Pause gut und gerne 4:0 führen können. Leider kriegte gestern unsere Emma Iyoha die spitze Mütze mit dem Schriftzug „Chancentod“ überreicht, denn allein der hätte drei Dinger machen können. Eines davon hätte Tor-des-Monats-Potenzial gehabt. In der 61. Minute verzieht er eine Direktabnahme, die anstatt in den langen Winkel rechts am Tor vorbeigeht. Den Spotthut kann er sich übrigens mit Khaled Narey teilen, der sich zweimal für einen Torschuss entschied, obwohl Kollegen besser standen.
Klar, dass man wieder über das leidige Thema Chancenverwertung wird reden müssen, wobei unsere Jungs dieses Mal auch eine Menge Pech hatten, weil laut Strichliste gleich sechs Mal ein HSVler seine Gräten dazwischen hielt, die Pille aber nie in Richtung Eigentor abfälschte. Und normalerweise kommt das Ei aus einem Getümmel im Fünfer (gestern drei Mal) wenigstens einmal irgendwie in die Bude. Pustekuchen. Wo wir gerade bei Emma waren… Trainer Thioune hatte sich, ein bisschen überraschend, dafür entschieden mit nur einer Spitze zu spielen. Die hieß folgerichtig Daniel Ginczek, der in dieser Rolle allerdings einen Rouwen Hennings der Jahre 2021 und davor imitierte. Man nennt das ja jetzt „Wandspieler“.
Das Problem ist nur, dass, wenn die einzige Spitze einen solchen Wandspieler macht, meist keine Anspielstation im gegnerischen Sechzehner zur Verfügung steht, um Flanken und Steilpässe in Treffer umzumünzen. So kam es auch, dass die wunderbare Diva gar nicht so viele Torschüsse generierte, dass die meisten Gelegenheiten aus Passstafetten entstanden, die am Ende einen Mittelfeldmann als Vollstrecker hatten. So kam es eben, dass Iyoha und Narey am häufigsten in Hüttennähe kamen. Dazu dann noch ein paar Fernschüsse und Standards. Übrigens: Auffällig wie viel mehr Eckenvarianten die Rotweißen seit dem Thioune’schen Amtsantritt draufhaben, wobei die wohl eher auf des Stefes‘ Mist gewachsen sind.
Ja, verdammt, es gab selbstredend auch wieder diesen Kastenmeier-Moment. Es war die 78. Minute als vorm Flo zwei Rothosen cruisten und unser Keeper dem einen den Ball in die Füße spielte. Den ging Kastenmeier an, aber sein Kontrahent konnte das Ei querlegen, wo ein anderer Hamburger es nicht schaffte, das Ding ins leere Tor zu schieben. Es hätte die Führung für den HSV sein müssen! Aber nicht nur der Flo hatte diesen speziellen Moment, sein Gegenüber agierte in der ersten Halbzeit permanent weit vor der eigenen Hütte, oft stand er fast an der Mittellinie, und einmal wäre es Kastenmeier beinahe gelungen einen Abschlag in ein Tor zu verwandeln.
Probates Mittel, um den trickreichen Narey aus der Doppelmanndeckung zu nehmen, ist die Rochade. Fand gestern auch wieder regelmäßig, aber unvorhersehbar für die Gäste statt. Wenn Khaled und Emma die Seiten wechselten, kamen allerdings weniger Flanken von ganz außen, weil beide dann den falschen Fuß auf der richtigen Seite haben … oder so. Dafür funktionierten die Vertikalachsen auf beiden Seiten gut. Wie schon in Paderborn war Flo Hartherz nicht nur defensiv eine Bank, sondern trieb auf seine spezifische Weise die Offensive über seinen Flügel an. Genau wie Zimbo Zimmermann auf rechts, der aber einen deutlich anderen Stil pflegt und öfters selbst nach innen zieht und in den gegnerischen Sechzehner eindringt.
Schiri Fritz hatte wenig Mühe und pfiff ziemlich gut. Ganz im Gegensatz zu seinem Assistenten auf der Haupttribünenseite, der mehrfach falsch winkte – und zwar zu Ungunsten der Hamburger. Der sich aufregende Kollege sah dafür Gelb und wurde später vorsichtshalber ausgewechselt. Apropos: Nach einem offenen Foul, das ihm Gelb eintrug, musste Eddie Prib angeschlagen raus. Für ihn kam in der 75. Minute unser aller Käpt’n Bodze. Der hatte sich ja im Dezember bei seinem Stunt ein paar Rippen gebrochen, musste sich langsam wieder herantasten und war für einen regulären Wechsel gar nicht vorgesehen. Er nahm Eddies Platz ein, interpretierte ihn aber auf seine Weise.
Gut dass er kam. Denn gewissen Ermüdungserscheinungen machten sich unter den Burschen, die das feine Jaques-Tilly-Trikot zu weißen Hosen anhatten, breit. Schon in der 62. Minute hatte Daniel Ginczek, der sichtbar auf der letzten Rille lief nach all seiner Ackerei, für Tyger Lobinger Platz gemacht. Natürlich konnte der Tyger ihn nicht annähernd ersetzen, weil er ein völlig anderer Spielertyp ist; eher einer wie Emma. So richtig schlau wird man aus Lobinger noch nicht, und es wäre klasse, würde ein Trainer wie Daniel Thioune herausfinden, wie und wo der Herr Lobinger am wirkungsvollsten wäre, damit der mal vom Joker zum Stammspieler wird.
Es hätte eine dieser Geschichten werden können, die nur der Fußball schreibt: Typ kommt nach Verletzung erstmals wieder rein und macht das Tor. Moment, ja, genau diese Geschichte schrieb diese Partie für Adam Bodzek. Denn er war es, der mit äußerst kühlem Herz in der 85. Minute zum 1:0 einschob. Khaled Narey hatte eine Ecke (Variante!) scharf in den Rückraum gegeben, wo Bodzek mehr stand als lief, Maß nahm und die Pille rechts unten in die Hütte zimmerte. Der folgende Jubel war … gigantisch.
Womit wir beim dritten Pferd aus eigenem Stall sind: Shinta Appelkamp. Je realistischer die Erwartungen der Fans werden, desto wirkungsvoller sein Spiel. Auch er wühlte im Auftrag der Balleroberung, wusste dann auch mit dem eroberten Ball etwas anzufangen. In Sachen Laufwege hatte er einige Narrenfreiheit, sodass er sich auf beiden Flügeln, aber auch zentral einschalten konnte. Mit seinen Distanzschussversuchen hatte er dagegen kein Glück. Nach wie vor liegt hier eine kollektive Schwäche der Fortunen, dass keiner von ihnen aus der Ferne scoren kann – weder durch verwandelte direkte Freistöße (womit momentan immer mehr Mannschaften entscheidende Punkte holen), noch durch Schüsse aus der zweiten Reihe. Alle F95-Hütten der letzten Spiele sind aus dem gegnerischen Strafraum heraus bzw. aus weniger als 20 Metern Entfernung entstanden.
Bleiben noch Andre Hoffmann und Jordy de Wijs, die jederzeit alles im Griff hatten. Übrigens auch bei diesem vermaledeiten Ausgleichstreffer in letzter Sekunde. So ein Ding nach einer Ecke fängt man sich eben manchmal. Kann passieren, muss kein individueller oder kollektiver Fehler dahinterstecken. Ein klein wenig verschobene Zuordnung, ein halber Schritt in die falsche Richtung und – schwupps – ist es passiert. Zumal der HSV-Torschütze nach eigenem Bekunden gar nicht aktiv geköpft hat, sondern so von einem Kopfball getroffen wurde, dass er nur die Birne ein bisschen Richtung Netz drehen musste. Nach dem Abpfiff wenige Sekunden später fiel Flo Kastenmeier nach vorne auf den Rasen; auch ihn traf keine Schuld, er stand, wo er in seiner solchen Situation zu stehen hat. Leute, die nach Schluss mit im fortunistischen Gesprächskreis standen, meinen gesehen zu haben, dass der Flo sogar ein Tränchen verdrückte.
Eine Bitte: Wir sind immer dankbare für Eure Hinweise und Korrekturvorschläge, wenn der Ergebene mal wieder einen Fehler fabriziert hat, und freuen uns über alle entsprechenden Kommentare und Kontaktmails! Vielen Dank im Voraus!
Was seit sechs Spielen immer wieder verblüfft ist außer dem Mut beim Pressen und Ballerobern die Vielfalt der offensiven Spielzüge. Weil das aber schon in Kiel, also einen Spieltag vor DT, begonnen hat, spricht manches dafür, dass diese „neue“ Fortuna auch sehr die Handschrift von Manfred Stefes trägt, der ja der Magier des Trainingsplatzes ist, aber für kein Geld der Welt auf dem Chefsessel sitzen mag. Dies zusammengenommen mit Jan Hoepners Auftritt als Cheftrainervertreter in Paderborn lässt vermuten, dass die Diva endlich mal wieder ein Coaching-Team beisammen hat, in dem mehrere Kompetenzen vereint sind. Das gibt Hoffnung.
Ja, klar, nach einem solche Ende ist der Frust groß. Logisch, wenn die Mannschaft, an der man hängt, einen verdienten Sieg vor Augen hat und dann doch noch den Ausgleich hinnehmen muss. Doppelt ärgerlich, weil drei Punkte nach diesem Heimspiel schon viel Erleichterung auf dem Weg aus der roten Zone gebracht hätte. Dreifach ärgerlich, denn diese Partie im vollen Haus bei bester Laune hätte einfach verdient gehabt, dass unsere Jungs als Sieger über die Ziellinie gegangen wären.
2 Kommentare
Mir fehlt ein Hinweis darauf, wie unfassbar schlecht die Hamburger bis in die 80er Minuten waren: Das war Audistadt-Niveau und lag nicht nur an unserer Vorwärtsverteidigung; über weite Strecken ängstliches, planloses Abstiegsgekicke, besonders in der Abwehr, z.B. ohne einen einzigen langen Torwartabschlag. 3:0 wäre gnädig gewesen, bis unsere mal wieder um den Ausgleich gebettelt haben.
Im übrigen frage ich mich, ob ich es noch erleben werde, dass der so toll mitspielende „Flo“ des Höchstergebenen mal richtig entschlossen durch den Fünfer rauscht und eine Flanke oder Ecke mit Leib und Fäusten wacker abräumt, vor allem in prekären Nachspielzeiten. „Er stand, wo er in einer (!) solchen Situation zu stehen hat.“ Wirklich? Da war mir ein Rensing allemal lieber!
Ich komme übrigens bei dieser verdammten Nachspielzeit-Seuche auf 6 Treffer…der Ausgleich gegen Hannover fiel meiner Erinnerung nach auch nach der 90. Minute. Wahnsinn wenn man bedenkt, dass damit insgesamt 9 (!) Punkte liegen gelassen wurden!!!