Analyse · [Das kommt davon, wenn man sich ein Spiel nicht ein zweites Mal anschaut. Jede Menge Fehler… Aber, unsere treuen Leser:innen geben uns ja Korrektur – Herzlichen Dank dafür!] Wann hat es je ein Spieler in die Überschrift eines der Spielberichte des ergebenen F95-Analysten geschafft? Aber, es ist an der Zeit, das große Loblied auf Rouwen Hennings zu singen. Nein, ein Maradona, Ronaldo oder Messi wird der gute Rouwen nicht mehr, und jedes Mal, wenn er den Ball führt, denkt der erfahrene Fan „Los, gib ab!“ und hofft, der Pass möge ankommen. Wir wissen jedoch alle, dass es nicht allein die Ballbeherrschung, also überhaupt die Technik, einen herausragenden Spieler ausmacht. Unsere Nummer 28 verfügt nämlich über zwei Eigenschaften, die spielentscheidend sein können: einen mächtigen linken Schussfuß und die Fähigkeit, Emotionen in eine Partie zu bringen. Und damit hat der Rouwen uns gestern einen Punkt geholt. [Lesezeit ca. 8 min]
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Seit Wochen predigt Ihr Ergebener, dass eine Fortuna-Mannschaft für den Erfolg Emotionen braucht. F95-Teams holen immer dann Siege, wenn Ereignisse auf dem Platz Wut, ja, auch Hass auslösen, wenn die Rotweißen vom Schiri verpfiffen werden, wenn irgendein Gegnerfuzzi einen von uns umhaut, wenn Tumult entsteht, denn dann steht die Süd und brüllt, dann stehen auch die Zuschauenden auf den Sitztribünen und machen mit, und dann greift das auf die Kicker unten auf der Wiese über. Der Rouwen, der weiß das, der ist lag genug dabei, der hat das oft genug erlebt, und der hat ja auch noch gemeinsam mit Axel Bellinghausen gespielt.
Nachdem das Fortuna-Team nach der Pause in tiefster Verwirrung über den Platz hoppelte und sich in einer Koproduktion von Kuba, Chris und Ao einen hatte einschenken lassen, um dann in ratlose Lethargie zu verfallen, da hat Rouwen mal eben gebellinghaust (Danke an Matthias N. für diesen feinen Ausdruck!). Erst hat er seinen Gegenspielern mal verbal ein paar mitgegeben, dann hat er sich mit dem Linienrichter in Diskussionen begeben, und ein paar Minuten später fiel er im Pauli-Sechzehner laut schmerzschreiend zu Boden. Sport1-Experte Babbel nannte das eine Schwalbe, und Herr Hennings widersprach nicht.
Natürlich forderten die Fortuna-Anhängenden einen Strafstoß, natürlich gab’s den nicht, aber plötzlich war Stümmung im Block. Hatten die mitgereisten FCSP-Liebchen in den ersten 45 Minuten noch oft die akustische Oberhand, gehörten die letzten 25 Minuten ganz den F95-Fans. Leonardo Koutris ist nach eigenem Bekunden so einer, den das anstachelt. Auch Kris Peterson war entzündet, Khaled Narey ebenfalls, und Emma Iyoha brachte es die zweite Luft. Und nur so konnte das bisher feinste Fortuna-Tor der Saison in der 68. Minute entstehen. Wenn der Ergebene sich richtig erinnert, kam die Pille von Chris Klarer auf Narey, der an der rechten Seitenlinie langwetzte, dann nach innen zog und das Ei mit der Hacke auf Iyoha legt, der ihn außen hinterlaufen hatte Emma Iyoha, der die Linie entlang wetzte und einen Doppelpass mit Khaled Narey zelebrierte, der per Hacke zurückgab.
Der einzige Paulianer auf dem Flügel versuchte noch, Emma am Querpass zu hindern, was ihm nicht gelang. Und Hennings hatte sich genau zwischen den beiden Innenverteidigern postiert, die beide nur den Ball im Auge hatten, nicht aber den Rouwen, der die Kugel perfekt serviert bekam und umstandslos mit seiner linken rechten Flosse eintütete. Als jemand, dem die Fortuna am Herzen liegt, fragt man sich: Warum nicht öfter so? Ist ja keine Raketenwissenschaft, Angriffe so vorzutragen. Und der gute Rouwen kann nun mal am besten knipsen, wenn er die Dinger im Strafraum angereicht bekommt.
Seien wir ehrlich: Außer diesem Zaubertor standen am Ende nur zwei weitere Schüsse aufs Tor in der Bilanz. Aber auch der Spitzenreiter und Herbstmeister aus der lustigsten Ecke Hamburgs brannte kein Chancenfeuerwerk ab. Von deren sieben Torschüssen schnappte Raffa Wolf fünf mit Leichtigkeit. Und die erste ernsthafte Chance hatte sowieso Emma Iyoha in der 3. Minute, der im Fünfer den Ball auf die Birne kriegt, aber übers Gehäuse legt. Jammerschade, denn wie verwirrt St. Pauli auf Gegentore reagiert, wusste man schon aus vorangegangenen Partien, und auch gestern bestätigte sich dieses Phänomen.
Um der Wahrheit mal wieder die Ehre zu geben: Neben Rouwen Hennings gibt es zwei weitere Matchwinner, nämlich die Coaches. Der Schlüssel für das rasante Treiben in der letzten halben Stunde war nämlich ein Wechsel in der 59. Minute. Dürr formuliert: Kris Peterson kam für Dragos Nedelcu. Letzteren schützte Christian Preußer ein bisschen durch die Aussage, man habe ihn entfernt, weil er Gelb-Rot-gefährdet war. Jeder der Fußballaugen hat, konnte aber sehen, dass der Rumäne das schwächste Glied in der Dreierkette war und beinahe immer Vorteile für Pauli auslöste. Der Ergebene meint: Nedelcu ist kein Mann für die Abwehrkette. Punkt.
Jedenfalls: Preußer sagte nach dem Spiel, der Wechsel habe auch eine Veränderung in der Systematik nach sich gezogen und überhaupt habe man durch Personal- und Systemwechsel einfach einen – wie sagt man heute auf Moderntrainerisch? – Impuls setzen wollen. Jedenfalls wurde aus dem 3-5-2 à la Darmstadt-Spiel nun ein waschechtes 4-3-3. Das war unter anderem möglich, weil Narey eben auch einen schicken rechten Außenverteidiger geben kann und weil Iyoha eben auch ein feiner rechter Außenläufer ist. Die offensive Dreierkette überforderte das FCSP-Personal ganz offensichtlich. Wie ja die Defensive der Paulianer immer nur gut steht, wenn die Gegner nach Schema F angreifen – so wie Fortuna in der ersten Halbzeit.
Wir leben ja in der Epoche der Videoanalyse, das merkt man immer wieder sehr deutlich. So hatten sich die Pauli-Auguren sehr genau mit Khaled Narey befasst und ihm einen besonderen Geleitschutz verpasst. Ergo ging über seine Seite in der ersten Halbzeit wenig, sodass er sich oft in die Defensive fallenließ. Das aber bot wiederum Chris Klarer Räume, der ohnehin immer öfter immer mehr Offensivdrang zeigt. Wenn der auch noch treffsicherer wird, könnte der ein zweiter Kaan Ayhan werden.
Überhaupt waren gerade die ersten 45 Minuten von taktischen Feinheiten geprägt. Dass zum Beispiel Leonardo Koutris so blendend aussah, lag auch daran, dass er einen glänzenden Tim Oberdorf hinter und bisweilen auch neben sich wusste. Der linke Flügel wurde so zum Treiber. Nur stellt sich hier ein winziges Problem. Dass Hennings mit dem linken Fuß alles versenkt, was halbwegs genau zu ihm kommt, hat man am 1:1 ja schon oft gesehen. Das funktioniert aber – so ist nun mal die Mechanik der menschlichen Beine – am besten, wenn das Ei von rechts kommt. Wird von links serviert, geht es für Rouwen nicht so einfach.
Eine Feinheit, die man aktuell bei vielen Teams sieht, die mit einer Dreierkette antreten: Dadurch, dass sich vor dem Ball jeweils der Außenläufer einer Seite zurückfallen lässt, entsteht eine temporäre Viererkette, die wiederum dazu führt, dass eine ebenfalls vorübergehende Mittelfeldraute entsteht – spannende Sache. Apropos Mittelfeld: Dass die glorreiche Fortuna den Braunen aus HH nicht eine Niederlage eingeschenkt hat, liegt auch daran, dass das magische Dreieck dieses Mal nicht so gut drauf war. Kuba Piotrowski hatte einen rabenschwarzen Tag und leitete den Führungstreffer der Paulianer dadurch ein, dass er einen Zweikampf einfach nicht einging. Überhaupt rannte Kuba ziemlich wirr herum, gönnte sich absurde Fehlpässe und hätte schon zur Pause gern ausgewechselt werden können.
Leider hatte auch Cello Sobottka nicht seinen allerbesten Tag. Oder, sagen wir so: Er lieferte eine solide Leistung ab. Mehr nicht. Dafür war Ao Tanaka zumindest in der ersten Halbzeit richtig gut drauf und hatte oft die richtigen Ideen. Nur beim Tor für den Gegner, da war auch desorientiert. In der neuen Grundordnung nach dem Wechsel in der 58. Minute fühlte er sich offensichtlich nicht mehr so wohl; mit dem Ball am Fuß stand er dann mehrmals da, ohne so recht zu wissen, auf wenn er abgeben könnte. Weil aber Shinta Appelkamp entgegen erster Meldungen dann doch noch nicht fit genug für die Ersatzbank war, hätte sein Auswechseln eine weitere taktische Umstellung erfordert.
Übrigens: Den, ach, so gefährlichen Burgstaller, den meldete die F95-Defensive über 90 Minuten ab. Überhaupt war die FCSP-Offensive weniger gefährlich als man draußen im Land immer so munkelt. Variantenreich ist anders. Und wenn man die Kreise ihres Regisseurs einengt und eben Burgstaller kaltstellt, haben die auch nicht viele Varianten im Köcher. Wobei: In der 80. Minute zeigten sie was Neues aus einem Kleinklein im Düsseldorfer Strafraum, das zu einem Treffer führte. Allerdings gab’s vorher ein ziemlich klares Abseits, dass weder Schieds-, noch Linienrichter gesehen hatten und auf das erst die Kölner Grotte aufmerksam machen musste.
Ja, was ist denn eigentlich mit den Referees los? Gestern zum Beispiel: Herr Siewer aus Olpe und seine Konsorten leisteten sich viele kleine Fehlentscheidungen, nichts Spielentscheidendes und gerecht verteilt. Aber das nicht erkannte Abseits war symptomatisch. Okay, Rouwen hätte sich aufgeregt, wenn er in einigen Situationen selbst gewusst hätte, dass die Entscheidung gegen ihn richtig war, aber die Schiris übersahen jede Menge Trikotzupfer und dieses blöde Schubsen eines Spielers, der gerade zum Kopfball hochsteigt. Man stelle sich vor, Siewer hätte ein Team bevorzugt… Kann sein, dass der Zwayer-Skandal allen Referees an die Nieren geht, da wäre es gut, wenn der DFB mal Tacheles redet … aber das steht bei diesem Verband ja nicht zu erwarten.
Am Ende waren sich alle Stimmen weitgehend einig, dass dieses Remis in Ordnung geht. Damit haben die Jungs in Rot gegen die beiden Tabellenherrscher insgesamt 4 Punkte geholt – nicht schlecht. Um aber dieses vermaledeite Fußballjahr – besonders vermiest durch das Ausscheiden im Pokal – halbwegs zu retten, muss gegen Treibsandhausen unbedingt ein Heimsieg erspielt werden. Auch um Klaus Allofs den Rücken zu stärken, der dem Zukunftstrainer Preußer den Rücken stärkt. Dass der Cheftrainer kein schlechter ist (übrigens besonders, wenn er sich gut mit Co-Trainer Tom Kleine berät), hat er gestern durch die Systemumstellung belegt. Warum es bisher trotzdem so mies lief, wäre eine genauere Analyse aller bisherigen Partien wert; irgendwelche kurzschlüssigen Schuldzuweisungen bringen niemanden weiter.
2 Kommentare
Gut analysiert. Sah für mich im Stadion nach der taktischen Umstellung eher nach einem 3-4-3 aus, aber ich mag mich auch irren. Koutris ist danach weiter eingerückt, Oberdorf war mehr zentral und Klarer eher rechts und das vierer Mittelfeld sah nach Raute aus, mit Pledl hinter Hennings, AO eher links, Narey rechts und Sobotka eher defensiv.
Fand das taktisch ausgesprochen gut, auch in der ersten Halbzeit. Durch die Dreierkette und die zurückgezogenen Flügelspieler haben es die Gegner deutlich schwerer. Mit Bodzeks Erfahrung hätten wir das Ding gerockt.
Außerdem hatte ich in den letzten beiden Spielen mal das Gefühl, dass wir uns nicht überwiegend am Gegner ausrichten, sondern mal das eigenen System in den Vordergrund gestellt haben und das auch durchgedrückt wurde.
Nedelcu ist kein IV….zumindest nicht in der 2. Bundesliga. Würde Ihn lieber mal im defensiven Mittelfeld sehen.
Tanaka fand ich entgegen den früheren Vorstellungen viel zweikampfstärker! Und dass er die Pille nach der Umstellung länger behielt, lag auch oft daran, dass keiner die Pille durch Geste oder Antritt wirklich forderte. Er selbst zeigt immer an, wenn er den Ball will. Das sieht man bei kaum einem anderen Spieler in unserer Truppe.
Insgesamt freut es mich, dass wir die Spiele gegen die Topteams nicht mehr alle verkacken, wie in der letzten Saison, sondern zeigen endlich mal, dass wir da auch mithalten könnten. Hoffentlich behalten wir diese taktische Grundordnung mit Dreierkette bei und versuchen Verpflichtungen und Abgänge daran auszurichten.
Das steht der Mannschaft nämlich sehr gut und läßt mich auf eine erfolgreichere Rückrunde hoffen.
Meiner Meinung nach hätte Tim Oberdorf durchaus eine Erwähnung in dieser Analyse verdient gehabt. Übersicht, Rieseneinsatz sowohl offensiv als auch defensiv, kluge, klare Pässe auch über größere Distanzen, technische Lösungen statt Ballwegkloppen und überhaupt einfach eine Freude, ihm beim Fußball spielen zuzuschauen!