Reden wir nicht über die Aussagekraft von Testspielen, sondern darüber, wie schön ein Fußballnachmittag sein kann.
Bericht · In der Reihe der Begegnungen während der Vorbereitung zur Saison 2022/23 nahm die Partie gegen den Regionalligisten SV Straelen vom linken Niederrhein eine besondere Rolle ein, denn a) handelte es sich um das letzte Testspiel und b) um das einzige, das zuhause im alt-ehrwürdigen Paul-Janes-Stadion stattfand. Okay, so Soccer-Gamer können nicht wissen, dass der SVS schon seit 2020 in der Regionalliga West und damit in derselben Liga wie unsere Zwote kickt, und hämen deshalb rum, so einen Fünft- oder Sechsligisten hätten die Fortunen weghauen müssen. Wenn man keine Ahnung hat, usw….
Es geht bei diesen Freundschaftsspielen eh nicht um den Sieg, es geht ums Ausprobieren, und für uns Zuschauer bietet sich bei Partien im PJS immer auch die Chance, einen wunderbaren Nachmittag mit der Fortuna-Familie zu verbringen. Nun soll Euer Ergebener ja keine Kollegenschellte betreiben, aber wenn ein Schreiberling seinen Spielbericht „Erneutes Gastro-Chaos am Flinger Broich“, fragt man sich schon, warum ausgerechnet eine solche Type über unsere Fortuna schreiben muss. [Lesezeit ca. 6 min]
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Wobei: Kollegenschelte betrifft ja auch nur Kollegen, und diesen „Sportredakteur“, der meint, die inflationäre Verwendung der Wörter „indes“ und „schlussendlich“ einen Kollegen zu nennen, käme dem Ergebenen nicht in den Sinn. Jedenfalls hebt der Verfasser auf die Schlangen am Bratwurststand und am Bierwagen ab und schreibt: „Der Frust der Fans war entsprechend groß. Ein Anhänger sprach zu Beginn der zweiten Hälfte von einer ‚einzigen Katastrophe‘.“ Nun ist der junge Mann offensichtlich keiner, der sich seine Bratwurst oder seine Cola Zero persönlich an der Bude im Stadium holt – in der Arena muss er das eh nicht tun, denn da kriegen die Journalisten Fresspakete. Und ebenso offensichtlich hat er die Situation nicht selbst erlebt – der Ergebene, der schön brav jeweils in den Warteschlangen stand, hat ihn jedenfalls nicht gesehen.
Denn in Wahrheit war es ganz anders, als es der zitierte „Anhänger“ gegenüber dem Artikelschreiber schilderte. Den Grill betreute das bewährte Team der „Sektion Bratwurststand“, das schon seit vielen Jahren die Zuschauer der Zwoten mit überaus leckeren und perfekt gegrillten Bratwürsten, Krakauern und Nackensteaks zu moderaten Preisen versorgt. An der Essensausgabe war es gestern unsere Fortuna-Freund mit dem schönen Spitznamen Gotcha, der seine Aufgabe unaufgeregt, freundlich und mit Herz erledigte. Das wussten selbst die Anwesenden zu schätzen, die – weil der Grill gerade teilweise neu bestückt werden musste – zehn Minuten warten mussten. Die Stimmung in der Schlange war genauso unaufgeregt und freundlich wie die von Gotcha.
Dasselbe Bild am Bierwagen: Die drei hinterm Tresen nahmen die Bestellungen gelassen auf und arbeiteten sie ohne Mühe ab. Und auch in dieser Schlange wurde weder gemurrt, noch gemeckert oder gar gepöbelt. Das hätte auch nicht zur wunderbaren Stimmung an diesem sonnigen Sonntagnachmittag gepasst. Offiziell wurden 807 Tickets verkauft, und so entstand ein toller Querschnitt durch die Fortuna-Gemeinde; alle Altersklassen waren vertreten: von Spielern der Jugendmannschaften über Ultra-Burschen und Südtribünen-Dauerkarten-Besitzern bis hin zu Veteranen, die immer schon F95-Fans waren. Kinderwagen gab es einige, und jede Menge Spieler zum Anfassen. Zum Beispiel Zimbo Zimmermann, der sich mit Gattin und ganz kleinem Baby sowie Bandage ums Knie eine Zeitlang vor Block A aufhielt.
Straelen-Boss und Ex-Fortuna-Vorstand Hermann Tecklenburg ließ sich sehen und kümmerte sich vor allem um die Familien seiner Spieler. Denn, wenn man eines über den SV Straelen wissen muss, dann, dass dort einer der buntesten Kader des Westens zu Werke geht und der Verein auf den Zusammenhalt der Menschen und ihrer Angehörigen Wert legt.
Und nun zum Spocht. Ziel der Übung war laut Trainer Daniel Thioune, möglichst viele Kicker über die volle Strecke gehen zu lassen. Außerdem wurden gleich mehrere taktische Systeme probiert und mit verschiedenen Formen des Pressings experimentiert. Dass beide Tore nach Standardsituationen fielen, hat übrigens – laut Tim Oberdorf – nichts damit zu tun, dass man im Training besonders viel Dinge mit dem ruhenden Ball einstudiert hätte. Wobei die Eckbälle tatsächlich von sehr unterschiedlicher Qualität waren.
Sicher ist, dass die Elf (plus Einwechselspieler) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit so nie wieder auf dem Platz stehen wird. Einzelne Konstellationen sind aber durchaus auch in der Ligapraxis vorstellbar, zum Beispiel eine Doppelspitze bestehend aus Dawid Kownacki und Emma Iyoha. Den Ausfall von Matthias Zimmermann reflektierend geht es momentan sehr um die Frage, ob der die Umstellung auf Dreierkette notwendig macht. Die Antwort lauter: Nein. Denn auch ohne Zimbo ergibt sich eine klassische Viererkette, weil sowohl Tim Oberdorf, als auch Tanaka Uchino ihn gut ersetzen können. Apropos: Oberdorf spielte in der ersten Halbzeit auf der rechten AV-Position und wechselte dann mit der Hereinnahme von Uchino als IV auf links. Nominell kam Taka in der 65. Minute für Niko Vukancic, der bis dahin als linker IV eine sehr gute Figur gemacht hatte (siehe Titelbild: da kann man die Systematik in Hälfte 1 gut erkennen).
Das offensive Mittelfeld bedienten auf den Flügeln Felix Klaus (rechts) und Kris Peterson (links), eine Konstellation, die wir angesichts des sicheren Weggangs von Khaled Narey vermutlich sehr oft sehen werden. Die mittlere Achse bildeten Cello Sobottka und Kuba Piotrowksi, der – sagen wir so – einen Hauch übermotiviert wirkte und angesichts der Tatsache, dass es sich nicht nur um ein Test-, sondern auch um ein Freundschaftsspiel handelte, ein paar Mal deutlich zu hart zur Sache ging. Freundschaft zeigt sich in Kleinigkeiten: Nachdem Kuba in der 80. einen Gegenspieler heftig gesenst hatte und die Betreuerin des SVS mit Diagnose und Therapie des Getroffenen nicht zurande kam, eilte Doc Blecker auf den Rasen, kümmerte sich und stützte den Verletzten höchstpersönlich bei dessen Abgang.
Erwähnen wir den Straelener Torschützen, einen halbhohen Dribbelkönig namens Ken Mata, der in einer Umschaltsituation erst Nicolas Gavory abkocht und ihn bei seiner zweiten Begegnung mit diesem, schon im Strafraum, mit einer winzigen Körperbewegung austanzt und den Ball perfekt versenkt; daran hatte Raffa Wolf, der noch mit den Fingerspitzen dran war, nichts zu halten. Reden wir aber auch über diesen Straelen-Keeper namens Kevin Kratzsch, einen 19-Jährigen, nicht besonders groß, aber mit herausragenden Reflexen. Leider war der es, der den Elfer für F95 durch eine Unachtsamkeit verursachte. Den verwandelte Dawid Kownacki problemlos. So problemlos wie Andre Hoffmann, der einen Freistoß von Kris Peterson mit einem perfekten Kopfball zum 1:0 versenkte.
Vor Ehrgeiz brennend kam in der 83. Minute dann noch Nana Ampomah für Emma Iyoha rein. Nana rannte und forderte den Ball, versuchte Doppelpässe und wollte sich ganz offensichtlich zeigen. Inzwischen dürfte ihm klar sein, dass eine erfolgreiche Saison 2022/23 bei der Fortuna seine letzte Chance als Profifußballer ist. Davon könnte Thiounes Kader profitieren. Ao Tanaka kam für Kuba und zeigte sich ebenfalls hochaktiv. Und dann war da noch Dawid Kownacki, dem der Ergebene schon seit der einen Vertrag mit F95 hat, immer alles Beste wünscht. Der durfte eine echte Spitze spielen und tat das auch sehr überzeugend. Wenn die Strichliste nicht lügt, hatte er acht Großchancen im Spiel, davon zwei fast hundertprozentige. Da konnte Emma nicht mithalten, der sich viel zu oft in unnötige Zweikämpfe verwickeln ließ.
Am Ende ging das 2:1 gerade so okay, ein 3:1 wäre leistungsgerechter gewesen. Und wer gekommen war, um eine Abreibung des SV Straelen durch unsere Zweitligaprofis zu sehen, hatte ohnehin keine Ahnung vom Fußball. Nach mildem Applaus machten sich 807 unaufgeregte Zuschauer auf den Heimweg, und in manchem Garten und auf manchem Balkon wurde dann erst der Grill angeworfen.