Als Lokalpatriot, der sich seit Langem mit der Geschichte der Stadt Düsseldorf befasst, kam dieser Hinweis für den Verfasser dieses Artikels überraschend. Bei einer Recherche über den Verlauf des Rheins über die Jahrhunderte, stieß er auf eine Karte (siehe Titelbild) mit der Anmerkung „Dorf Niel – durch den Rhein abgetrieben, wahrscheinlich 1486“. Dazu passend den lange übersehenen Artikel im Großen Düsseldorf Lexikon mit folgendem Inhalt:

N. war eine zum Kirchspiel Heerdt gehörende, bereits 1298 erstmals genannte Siedlung wohl auf dem heutigen Hafengelände auf der Lausward. Sie wurde 1491 bei einem Hochwasser vom Rhein weggeschwemmt. 1383 hatte das Kölner Stift St. Gereon in diesem Gebiet Besitz. Bodenfunde auf der Lausward lassen vermuten, dass sich der Ort in der Nähe des heutigen Elektrizitätswerks befunden hat.

Der Artikel zum Dorf Niel im Großen Düsseldorf Lexikon

Der Artikel zum Dorf Niel im Großen Düsseldorf Lexikon

Als Quellen für diesen Eintrag werden das Buch „Die Veränderungen des Rheinstroms in historischer Zeit“ von Rudolf Strasser (1992) und ein Artikel eines gewissen Odenthal (möglicherweise Aloys Odenthal…) in der Vereinszeitung „Tor“ der Düsseldorfer Jonges von 1959 genannt. Letzterer ist leider nicht so ohne weiteres verfügbar. Die Karte, auf der sich der Hinweis fand, gehört zum Buch von Strasser; im Text finden sich keine näheren Angaben. In seiner wissenschaftlichen Hausarbeit von 2014 mit dem Titel „Deichbruch, Deichbau und Deichverband im linksrheinischen Düsseldorf vom 16. Jahrhundert bis heute“ bezweifelt der Autor Klaus Bahners die historische Richtigkeit der Angaben in beiden Quellen. Tatsächlich finden sich keine weiteren Quellen, sondern diverse Hinweise in diversen Texten, die aber weder originäre Quellen sind, noch sich zitierfähig auf welche beziehen.

Die komplette Karte mit dem Hinweis auf das verschwundene Dorf Niel

Die komplette Karte mit dem Hinweis auf das verschwundene Dorf Niel

Tatsache ist, dass sich der Verlauf des Rheinstroms gerade in der fraglichen Region zwischen dem 13. und dem 19. Jahrhundert mehrfach deutlich verändert hat. Da die Begradigung erst zum Beginn des 19. Jahrhunderts in Angriff genommen wurde, floss der Rhein nicht wie heute in einem einzigen Strom, sondern mäanderte begleitet von Nebenarmen – besonders bei uns am Niederrhein. Jeder Ort, der die Silbe „-werth“ im Namen trägt, weist daraufhin, dass sich die Siedlung mindestens zur Zeit ihrer Gründung auf einer Insel im Fluss befand: Kaiserswerth, Volmerswerth, aber auch Mönchenwerth. Die sogenannten „Rheindörfer“ Itter, Himmelgeist, Flehe und vermutlich auch Hamm lagen zumindest in manchen Epochen ebenfalls auf Inseln. Bis mindestens zum Ende der 16. Jahrhunderts war auch das Gebiet, dass heute „Lausward“ („-ward“ ist eine Form der Silbe „-werth“) genannt wird, eine Insel. Und auf dieser Insel soll bis 1486 oder 1491 das Dorf Niel existiert haben.

Nun ist die Liste der Hochwasser am Rhein in der Zeit vor der Begradigung nicht besonders vollständig, schließlich trat der Fluss praktisch in jedem Winter über die Ufer. Deshalb existieren nur Daten für besonders hohe Wasserstände und besonders schlimme Folgen solcher Ereignisse; die genannten Jahre finden sich in den entsprechenden Listen jedenfalls nicht. Dass es keine wirklich hilfreichen und gut dokumentierten Funde gibt, dass das Dorf Niel wirklich existiert hat, nimmt nicht weiter wunder, das es mangels einer eigenen Kirche vermutlich kein Gebäude aus Stein in diesem Ort gegeben haben dürfte. Da die Lausward – die längste Zeit als „Carl-Theodor-Insel“ bekannt – über Jahrhunderte hinweg kaum mehr genutzt wurde denn als Weidegrund für Schafherden und durch die Anlage des Hafens Ende des 19. Jahrhunderts schnell und radikal bebaut wurde, dürften die genannten „Bodenfunde“ beim Bau des Kraftwerks maximal als Indizien für die Existenz des Dorfes Niel gewertet werden.

Kurz und gut: Die Wahrscheinlichkeit, dass es dieses Dorf gab und dass es Ende des 15. Jahrhunderts durch ein Hochwasser vollständig weggeschwemmt wurde, ist groß; einen Beweis gibt es aber nicht.

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