Für viele Fans gehört die Fortuna in dieser Saison unter die ersten Drei. Weil aber etwas fehlt, war’s bisher Essig damit.

Meinung · In der lustigen Sprache der Spochtrepochter, die von Spielern, Trainern und Offiziellen gern imitiert und von Fußballinteressierten nachgeplappert wird, heißt es gelegentlich, einer Mannschaft fehle die Mentalität. Nun ist das zunächst ein wertneutraler Begriff, der die Summe individueller Denk- und Handlungsmuster beschreibt. Es müsste also heißen: Der Mannschaft fehlt eine bestimmte Mentalität, besser noch: den einigen oder den meisten Spielern fehlen zielführende Denk- und Handlungsmuster. Oder einfach: mentale Eigenschaften. Die den Kickern beizubiegen, ist Aufgabe der Trainer, unter anderem auch des Mentaltrainers. Sinn der Sache ist generell, einen Fußballer individuell in die Lage zu versetzen, sein Talent und seine Fähigkeiten gewinnbringend einzusetzen. Und zwar möglichst oft. [Lesezeit ca. 5 min]

Neu ab Januar: Fortuna-Punkte als Blog
Auch wenn The Düsseldorfer bald nicht mehr das ist, was es war, müssen F95-Fans nicht auf die Berichte, Analysen und Meinungen des Ergebenen verzichten. Noch vor Beginn der Rückrunde startet er nämlich sein Blog Fortuna-Punkte. Seid dabei!

In ihrer Sprachlosigkeit hantieren die oben erwähnten Akteure gern auch damit, dass einem Team „die Gier“, „die Leidenschaft“ oder „der unbedingte Wille“ fehlt. Da ist man dann in der Grauzone zwischen Philosophie und Psychologie unterwegs. Das mit der Gier und dem unbedingten Willen meint, dass die Insassen einer Mannschaft es einfach nicht doll genug wollen, das Gewinnen. Der Ergebene glaubt das nicht: Jeder halbwegs normale Kicker will JEDES Spiel gewinnen. Das sagt ja auch unser Trainer Thioune immer. Nur manchmal reicht dieses Wollen nicht. Manchmal ist die Gier nicht groß genug. Das ist dem Ergebenen zu unscharf, und er fragt sich, welche mentalen Werkzeuge bei der Fortuna der Saison 2022/23 fehlen, dass sie eben manche Partien, in denen sie unter sportlichen Gesichtspunkten besser waren, nicht gewonnen haben.

Dynamo vs F95: Das Foul, das zum Elfer für Dresden führte (Screenshot Sky)

Dynamo vs F95 (2021): Das Foul, das zum Elfer für Dresden führte (Screenshot Sky)

Dabei ist ihm aufgefallen, dass die Akteure in Rot und Weiß über alles gesehen so wenig Emotionen aufbringen. Bei uns im Block heißt es dann brachialironisch „Mehr Hass!“. Gemeint ist, dass unsere Jungs den Kontrahenten mit mehr brennenden Gefühlen entgegentreten sollten. Schon klar, dass nicht alle Kollegen mit der gleichen emotionalen Intensität zu handeln in der Lage sind; manche sind von Hause aus eher sanft, manche ziehen lieber zurück als dagegenzuhalten. Das ist so, da kann auch ein Mentaltrainer nur begrenzt Einfluss drauf nehmen. Wenn ein Spieler aber durch was auch immer blockiert ist und deshalb seine mögliche Leistung nicht erbringen kann, dann lässt sich die Blockade schon mit Psychomassage lösen. Wie zuletzt geschehen im Fall des Kris Peterson, dem Mentalcoach Axel Zehle ernsthaft helfen konnte.

Was aber nach Meinung eures durchweg ergebenen Beobachters fehlt, ist bei manchen dieses Selbstbewusstsein oder das Abstrahlen dieses Selbstbewusstseins gegenüber den Gegnern, eine Haltung, die sagt: Komm du ruhig, dich mach ich doch ganz allein lang. Das darf sogar ein bisschen böse, ja, aggressiv rüberkommen. So falsch ist die Expertenfloskel vom „aggressive leader“ nämlich nicht. Gerade in der Defensive braucht es Kerle, die ihre Kontrahenten einschüchtern können. Das geht über die Körperhaltung (ein bisschen „trash talk“ darf es auch gern sein), das geht über das kompromisslose Lösen von Situationen und das geht auch über gezielt begangene Fouls.

Magdeburg vs F95: Zwei stabile Innenverteidiger (Screenshot Sky)

Magdeburg vs F95: Zwei stabile Innenverteidiger (Screenshot Sky)

Schauen wir uns unsere Abwehrkräfte einzeln an, dann fallen einem als Aggressiv-Anführer zunächst Andre Hoffmann, Chris Klarer und insbesondere Jordy de Wijs ein. Der leider viel zu lang verletzte Niederländer kommt ja schon rein äußerlich daher wie ein potenzieller Kneipenschläger. Auch der junge Chris kann einem Gegenspieler auch schon mal recht kantig entgegentreten. Tim Oberdorf ist im Vergleich einfach sehr, sehr brav. Nicolas Gavory kann Härte, setzt sie aber selten ein. Und Zimbo Zimmermann ist nicht der Typ, der einen Gegner schon mal anbrüllt.

Im Mittelfeld haben wir nur Kicker, die ihr Testosteron eher nicht im Sinne der Spielbeherrschung einsetzen. Cello Sobottka, der noch am meisten foult, tut das fast immer taktisch, also nicht, um jemandem zu zeigen, wo der Hammer hängt. Ao Tanaka foult eher aus Versehen, und Shinta Appelkamp ist durch und durch Fußballspieler, nicht -kämpfer. Am ehesten in der Lage, Gegnern den Schneid abzukaufen ist da noch Jorrit Hendrix, der ebenfalls das Zeug zum Aggressiv-Antreiber hat.

F95 vs Pauli: Käpt'n Cello im Gespräch mit dem Schiri (Screenshot Sport1)

F95 vs Pauli (2021): Käpt’n Cello im Gespräch mit dem Schiri (Screenshot Sport1)

Vorne gibt es zwei erfahrene Kollegen, die das Standing haben, die Kontrahenten in die Schranken zu verweisen: Rouwen Hennings und Daniel Ginczek. Hat man ja auch gesehen, wenn beide auf dem Platz standen. Wobei Rouwen – ähnlich wie Cello – seine gespielte Aggressivität meistens taktisch einsetzt oder komplett auf den Schiri richtet. Emma Iyoha ist wie Shinta Appelkamp, und Dawid Kownacki (der uns ja leider verlassen wird) ist ein Sensibelchen, vor dem niemand Angst haben muss. Die bösartigste Ausstrahlung hat nach Meinung des Ergebenen Flo Kastenmeier im Tor, allein schon, wie der guckt… Das geht in Richtung Oliver Kahn in seinen aggressivsten Zeiten, wirkt sich aber bisher nicht mentalitätssteigernd aus.

Braunschweig vs F95: Ginczek meckert und kriegt Gelb (Screenshot Sky)

Braunschweig vs F95: Ginczek meckert und kriegt Gelb (Screenshot Sky)

„Auf geht’s Fortuna, kämpfen und siegen“ singt die Kurve oft. Und, ja, Fußball ist auch eine Kampfsportart; der Versuch, Partien allein mit spielerischen Mitteln zu gewinnen, führt in der zweiten Bundesliga nicht zum Aufstieg. Kampf heißt nicht Anrennen. Kampf heißt, den anderen immer auch mal auf die Knochen zu gehen. Die Liga ist voll von Kloppertruppen, die sich überhaupt nur wegen ihrer Klopperei halten können. So sinnlos muss die Fortuna nicht rumholzen, aber ein, ähem, harter Zweikampf zur rechten Zeit, der nicht so sehr der Balleroberung dient, sondern der Einschüchterung, dürfte es schon manchmal sein.

Das hat alles nichts mit Systemen und Spielplänen zu tun, dies ist eine Frage der grundsätzlichen Einstellung. Und die richtig zu justieren, ist Aufgabe der Coaches, allen voran des Cheftrainers. Nun war Daniel Thioune in seiner aktiven Zeit (Achtung! Spochtrepochterslang!) kein „Kind von Traurigkeit“ und wusste seinen Körper auch als Waffe einzusetzen. Diese Methode sollten er und seine Kollegen den Insassen des aktuellen Kaders einimpfen. Die Impulse können aber auch von den genannten „aggressive leaders“ kommen. Nur die erwähnte Härte öffnet nämlich den begabten Schönspielern die Räume für spielerische Lösungen.

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