Verrückt genug: Das Spiel von Fortuna in diesem komischen Heidenheim habe ich im Radio gehört. Ja, genau, im Radio. Oder wie ältere Deutsche es nennen: Rundfunk. Dabei erinnerte ich mich an 1974. An einen Samstag im April. Mein Dad war im Stadion. Es ging gegen Ipswich Town – genau: der Club, mit dem Fortunen eine intensive Fan-Freundschaft verbindet. Ich war zehn Jahre alt und durfte nicht mit. Nie durfte ich mit. Erst mit sechzehn konnte die Eltern nichts mehr dagegen sagen. Mein kleiner Bruder und ich hockten in der Küche vor dem Radio. Der hörte nur zu, weil ich zuhörte, denn er war noch zu jung, um Fußball zu verstehen. United gewann mit 3:2 und wurde englischer Meister. Unseren Dad sahen wir erst am Sonntagnachmittag wieder. Er sah ganz schön angeschlagen aus. Fußball im Radio wurde damals in der BBC übertragen. Immer nur ein Spiel pro Tag live. Die Kommentatoren erzählten genau, was passierte, aber ohne jede Begeisterung.

Heutzutage kriegen die Sprecher Anfälle, ihre Stimmen überschlagen sich. Dauernd versuchen sie entweder flache Witze oder reden den Zuhörern ein, das Spiel sei total spannend: ein Krimi, ein Drama. Schwer zu ertragen. Tatsächlich war ich im Auto unterwegs als Beifahrer und hörte so genau nicht hin. Mein Eindruck: Kein gutes Spiel, aber Fortuna bis zur Halbzeit besser. Und dann das 1:0 für diesen Dorfclub. Das 2:0 schilderte der Reporter später mehrmals ganz genau. Er wollte wohl, dass wir Zuhörer uns das vorstellten. Dabei versuchte er die ganze Zeit praktisch TV-Bilder in den Köpfen auszulösen. Da wurde mir klar, dass der moderne Fußball eigentlich nur noch ein Fernsehsport ist. Besonders natürlich in dieser beschissenen Bundesliga 1.

Falsche Gefühle

Über die Spiele der ersten Liga wird ja gar nicht mehr für die Fans der beteiligten Vereine berichtet, sondern für das, was die Kommentatoren immer „Fußball-Fans“ nennen. Wer soll das denn sein? Wie kann man Fan sein, wenn nicht von einem Club? Selbst die Leute, die ich kenne, die auf den Fußball als Sport stehen, können sich nicht für beliebige Spiele begeistern. Ja, manchmal fanden sie eine Partie toll. Oder einen Spieler. Oder bestimmte Situationen. Aber so ganz generell Fans von Spielen der Bundesliga? Das ist doch Blödsinn. Ein (deutscher) Kumpel von mir – er ist Fan von Union Berlin – hat sich jetzt ein Sky-Abo geholt. Begründung: Dann kann er alle Spiele sehen, auf die er gewettet hat! Muss man sich mal vorstellen: Den Kick kriegt der nicht wegen Football, sondern wegen Gambling!

Klar kann man mitfiebern, wenn Hoffenheim gegen Ingolstadt spielt. Entweder weil man das Pech hat, Fan von einem der Teams zu sein, oder weil mal auf das Ergebnis gewettet hat. Aber wer kriegt Emotionen, wenn die Bayern gegen Dortmund spielen? Klar: FCB- und BVB-Anhänger. So langsam merken die Totengräber des Fußballs, allen voran der Rummenigge, das sich der Fußball langsam auflöst. Da soll nun mehr künstliche Spannung rein. Fing ja schon mit er Einführung dieser bescheuerten Relegationsspiele an. Jetzt soll der Meister am Ende der Saison per Play-offs ausgespielt werden. Und die Absteiger vermutlich auch. Kennen wir ja vom Eishockey: Nach 56 Spielen liegt ein Team mit weitem Abstand vorn, wird aber nicht Meister, weil es in der ersten Playoff-Runde rausfliegt. Das ist bescheuert.

Lieber in der wahren Liga

Das alles ist typisch für den modernen Fußball wie er in den ersten Ligen der meisten Länder in Europa inzwischen aussieht. Die Spaltung zwischen dem Soccer Entertainment Business und dem Fußballsportfand hat längst stattgefunden. In Deutschland verläuft die Grenze genau zwischen der ersten und der zweiten Liga. Wenn nächstes Jahr noch mehr Traditionsvereine absteigen, wird sich dieser Trend verfestigen. Das sollte den Managern der Verein in Liga 2 zu denken geben. Vor allem denen von Fortuna Düsseldorf.

Immer noch rufen die Verantwortlichen aus, man wolle Fortuna mittelfristig in die erste Liga bringen und langfristig dort etablieren. Dabei übersehen sie, dass das nicht mehr wie früher eine Frage von Auf- und Abstiegen ist, sondern dass es um den Umstieg aus einer in eine völlig andere Welt geht. Eine Welt, in der die Fußballkultur – die ja ohne Zweifel in den Fankreisen der großen Traditionsvereine existiert – nur noch Kulisse ist. Die wird gebraucht, um den Fußballkonsumenten an den TV-Geräten vorzugaukeln, das wäre immer noch Fußball, was da stattfindet. Nein, es ist ganz klar: So richtige Fans eines Vereins können sich den Aufstieg in die erste Bundesliga kaum noch wünschen. Denn alles, was sie an diesem ganzen Fußball lieben, würde mittelfristig kaputtgehen.

Oder man peilt ganz direkt das Leben als Fahrstuhlmannschaft – nach dem Muster SC Freiburg. Oder der Eintracht Braunschweig, dem FC St.Pauli, Kaiserslautern oder Nürnberg. Alles Club, die an dem Abstieg nicht kaputtgegangen sind, weil sie durch ihre Fanbasis genug Substanz haben, auch ein paar Jahre in der zweiten Liga überleben zu können. Fortuna könnte sich vor allem an Freiburg ein Beispiel nehmen, weil die es dort immer wieder schaffen, mit den Einnahmen der ersten Liga solide zu wirtschaften.

Die Alternative?

Die Alternative kann man momentan gut in der Premier League sehen. Da werden bekannte Clubs, die aber jahrelang unterklassig waren, von Investoren übernommen, mit Geld vollgestopft, sodass sie in die erste Liga aufsteigen. Dort halten sie sich dann ein oder zwei Jahre (siehe den FC Redding), bevor sie wieder runter müssen. Geht dann der Investor von Bord, ist der Verein zerstört.

Fällt in Deutschland die 50+1-Regel, kann das jedem Verein passieren. Auch der Fortuna. Wobei es bei F95 schwieriger wäre, weil es da ja einen Absatz in der Satzung gibt, der den Einstieg eines Investors kompliziert macht. Aber wenn nun irgendein ausländischer Milliardär käme oder eine Firma mit endlos Kohle, die die Mehrheit an der Fortuna kaufen wollen, was würden die Fans dann sagen? Keine Ahnung. Die Fußballkonsumenten, die auf F95 stehen, würden jubeln, denn die sind es, die lieber Topclubs in der Arena sehen wollen, als Sandhausen oder Heidenheim.

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