Neulich hab ich mit dem Chefred telefoniert. Hat der mir mal wieder ungefragt Deutschstunden erteilt. Ist ja ein Klugscheißer, der Chefred. Aber mit Sprache kennt er sich aus. Der hat mir zum Beispiel einen schönen Fehler bei der Synchronisation von Filmen erklärt. Da reden die im Deutschen immer von einem „Sturm“, wenn es im Englischen „storm“ hieß. Und dieses Wort bedeutet bekanntlich „Gewitter“, weil es die Kurzform von „thunderstorm“ ist. Jedenfalls hat er versucht, mit die Bedeutung des deutschen Wortes „Emotionen“ zu erklären. Bei uns sind „emotions“, ja einfach bloß Gefühle. In der deutschen Sprache wird „Emotionen“ aber fast immer verwendet, um große (tiefe, breite, starke) Gefühle zu bezeichnen, also Liebe, Hass, Freude, Trauer und so weiter. Womit wir beim Thema sind. Denn ich saß am Freitag wieder mal bei meinen Jungs im Block 3 – und da herrschten vor Anpfiff ziemliche „mixed emotions“.

Ingo war nämlich auswärts in Stuttgart und hatte eine Scheißlaune. Holger sieht die Fortuna ja sowieso immer auf dem absteigenden Ast. Nur Öppes war gut drauf und freute sich aufs Spiel. Wie immer. „Wer Fortuna-Fan ist, muss das Leben nicht fürchten“, sagte er und erklärte, dass das ein Zitat von diesem Komiker namens Dieter Nuhr ist. „Wir leiden schon so lange,“ meinte Peter. „Ja, aber die Liebe zur Fortuna hört nie auf,“ setzte Öppes nach. Das waren ja schonmal Emotionen. Und schon in der zweiten Minute konnte ich die Unterschiede feststellen. Der Bebou hatte das 1:0 auf dem Schuh, aber das Ding ging nicht rein. Matthes war steil aufgesprungen, Arme nach oben und ließ sich rückwärts in die Schale fallen. Ingo schüttelte bloß den Kopf und sage: „Scheiße, Scheiße, Scheiße.“ Öppes konnte sich gar nicht beruhigen, fuchtelte herum und schrie dies und das.

Natürlich ist so ein Fußballspiel meistens eine emotionale Angelegenheit – wenn man zu der einen oder anderen Mannschaft hält. Gehen einem die Teams am Arsch vorbei, lässt einen auch das Match kalt. Das ist etwas, was Sportreporter, Werbeleute und andere Medienmacher schon seit Langem nicht verstehen … wollen. Nicht jedes Elfmeterschießen ist ein Krimi oder ein Drama. Wenn zum Beispiel Hoffenheim und Leipzig nach einer Verlängerung mit Unentschieden nochmal ranmüssen, interessiert das keine Sau – außer den paar Nasen, die glauben, sie seien „Fans“ von einem dieser Projekte. Manchmal passiert es mir aber, dass ich bei einem Spiel Emotionen kriege, obwohl ich für keine der beiden Mannschaften bin. Gerade bei so Turnieren wie WM und EM und gerade beim TV-Gucken mit Kumpels kann sich sowas beim Spiel entwickeln. Wenn zum Beispiel Costa Rica tapfer gegen die Polen kämpft, dann ist man plötzlich für die und entwickelt Emotionen bis zum Schusspfiff.

Für die – wie schreibt der Chefred immer? – Werbefuzzis, Schreibfinken und Sprechpuppen ist Fußballgucken an sich emotional. Weil von denen aber kaum je einer Fan war, kennen die sich mit echten und falschen Emotionen einfach nicht aus. Wenn zum Beispiel die Fahnenschwenker von diesem Fanclub der DFB-Auswahl (ha, gerade erst gelernt diesen Ausdruck!) rumwedeln, dann haben weder die dabei Emotionen, noch die das sehen müssen. Selbst wenn die Zuschauer „Schland, Schland“ singen, stehen da keine echten Gefühle dahinter. Das sind einfach Rituale – die machen das, weil sie meinen, sie müssten das machen, wenn sie bei einem Spiel der deutschen Mannschaft dabei sind. Für Medienleute und Werbeexperten ist das letztlich egal – Hauptsache Emotionen. Denn wenn die Leute Emotionen imitieren oder imitierte Emotionen sehen, dann werden sie schon emotional, und dann kannst du ihnen jeden Scheiß andrehen.

In der Pause hab ich gefragt, was denn ihr Moment mit Fortuna mit den stärksten Emotionen war. „Ganz klar,“ sagte Ingo, „das Eigentor vom Ramos beim Hinspiel in der Relegation gegen Hertha. Da hab ich geschrien, gelacht, getanzt und geweint gleichzeitig.“ Peter dachte einen Augenblick nach: „Aufstieg in die zweite Liga. Spiel gegen Werder II. Die letzten Minuten. Als die Fortunaspieler Bibi Steinhaus angefleht haben, endlich abzupfeifen – ich hab die letzten drei Minuten nur gezittert. Dann bin ich raus und hab erstmal ganz allein eine geraucht.“ Dann mischte sich Öppes ein: „Größte Bierdusche aller Zeiten! Weiß gar nicht mehr, welches Spiel. Fortuna gleicht aus. Dutzende voller Becher in der Luft. Und dann das Bier auf die Köppe. Das war so ne Massenemotion.“ Keiner berichtet von irgendwelcher Ultra-Dauer-Lala oder Fahnengewedel, nicht mal von Pyro – obwohl ja mindestens Ingo nichts gegen Feuer und Rauch im Stadion hat.

In der Reklame sieht das anders aus. Da sitzt so ein Papa von Mitte Dreißig mit seinem ungefähr siebenjährigen Sohn auf der Tribüne, der Kleine ganz in fiktiven Fanklamotten mit einer fiktiven Fanfahne. Beide starren fröhlich grinsend aufs Spielfeld. Plötzlich ein Aufschrei der Massen, Vater und Sohn springen hoch und freuen sich ganz dolle. Hab ich in der echten Realität so noch nie gesehen. Hinter uns sitzen ein paar Väter, die auch Kinder so zwischen acht und zwölf dabei haben. Die interessieren sich meistens mehr fürs Drum und Dran als fürs Spiel. Keiner von denen hockt voll begeistert neben dem Papa. Der aber geht zusammen mit seinen Papa-Kumpels voll ab, wenn die Fortuna mal wieder ein Tor schießt. Als Sobottka das 1:1 machte, sind drei von diesen jungen Väter so ausgerastet, dass ein kleines Mädchen angefangen zu weinen – vielleicht hat sie ihren Erzeuger noch nie so erlebt.

Mir dagegen haute in dieser Situation Peter, der Wirt, so dermaßen hart auf die Schulter, dass ich ihm beinah im Reflex eine reingetan hätte. Statt dessen fielen wir uns in die Arme. Da kam Matthes angeflogen und brüllte „Schlag ein!“ – hätte ich auch falsch verstehen können. Aber dann klatschten wir uns alle High Five ab. Damit war die Emotion dann auch schon fast vorbei. Die Spannung aber blieb bis zum Schluss, weil wir ja wollten, dass die Fortuna doch noch gewinnt. Spannung ist ja auch ein starkes Gefühl.

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