Gegen ein 4-5-System muss man anders spielen, sonst gibt’s bloß ein Unentschieden…
Analyse · Wer kocht, kennt das: Du hast dich nicht ans Rezept gehalten, das Gericht ist ungenießbar. Wer hat Schuld? Genau: Der Koch. Dazu später mehr. Dass die glorreiche Fortuna in der aktuellen Form gegen Hanoi mit einem Mann weniger nicht gewonnen hat, lag am falschen Rezept. Und übrigens daran, dass die 96er es in Unterzahl mit einem 5-4-System ungefähr genauso gut runtergespielt hat wie F95 im vergangenen Herbst beim HSV. Seien wir ehrlich: Weder die Mannschaft, speziell ihre Führungsspieler, noch der Cheftrainer und seine Mitstreiter haben auch nur einen ernsthaften Versuch unternommen, die Gastgeber mit einem neuen Rezept zu knacken. Das ist schade, weil die wundervolle Diva mit einem Auswärtssieg vermutlich das Wort „Relegation“ aus ihrem Vokabular hätte streichen können. [Lesezeit ca. 7 min]
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Die wesentliche Action spielte sich in den ersten 30 Minuten ab. Dass danach wenig bis nichts ging, können interessierte Fußballfans an den verschiedenen Live-Tickern ablesen. Wenn dort nur noch Standardsituationen und Auswechslungen auftauchen, hatte sich die Partie in Richtung tote Hose verabschiedet. Beim Auftritt im Niedersachsenstadion war das durchweg ab Minute 60 der Fall. Und bis zum Platzverweis in der 17. Minute hatten die 96er das Spiel ziemlich im Griff, weil ihr Offensivkonzept die Schwächen der Fortuna-Systematik und -Startaufstellung offenlegte.
Thioune & Co. hatten sich für ein 4-3-2-1 entschieden, das ja eher mild defensiv ist; vor allem, wenn in der Dreierreihe im Mittelfeld nur ein echter Sechser steht. Und wenn der, wie Cello Sobottka, einen eher schlechten Tag hat, muss einer seiner Kollegen, in diesem Fall Ao Tanaka, oft aushelfen. Der tat das bis zum Platzverweis so oft, dass man ihn für den Mittelmann in einer Defensivdreierkette halten konnte. Sagen wir so: Wir F95-Liebhaber:innen können von Glück sagen, dass es in dieser Phase nicht hinter Flo Kastenmeier geklingelt hat. Und das, obwohl die Hausherren mit Torschüssen eher kniepig umgingen.
Nochmal ein bisschen Detailanalyse: Das gewählte System mit der angesprochenen Schwäche führt dazu, dass die vertikalen Abstände sich vergrößern. Heißt: Die Zusammenarbeit des jeweiligen Außenverteidigers mit seinem Außenläufer bekommt Risse. Das wurde besonders bei der Achse Zimmermann-Narey sichtbar, die gestern nur wenig Gefahr verstrahlte. Links lief bisschen besser, aber weil Emma Iyoha nicht die Durchsetzungskraft wie Narey, führte auch das zu nichts. Wohlgemerkt: Das alles gilt auch schon für die erste halbe Stunde.
So um die 10. Minute herum fiel den Fortunen plötzlich ein: Huch, wenn Hanoi so drückt, dann gibt’s ja Kontermöglichkeiten! Tatsächlich war es Ao Tanaka, dem das zuerst auffiel. Der schlug einen langen Pass über mehr als 50 Meter auf den startenden Rouwen Hennings, der ins Laufduell mit dem linken AV der Hannoveraner ging und erstaunlich gut mithalten konnte bis kurz vor der Sechzehnergrenze. Da wollte der Verteidiger ihm den Ball vom Fuß nehmen. Weil der Rouwen aber gerade zum Schuss ansetzte, erwischte er ihn am Bein. Hennings fiel, der andere auch. Schiri Stieler pfiff und hatte den roten Karton schon in der Hand.
Nach den geltenden Regeln des Fußballs ging der Platzverweis in Ordnung. Trotzdem konnte einem der Kollege Hult doch leidtun. Wie er hinterher gestenreich an seiner Bank deutlich machte, hatte er in der Drehung plötzlich die Sonne in den Augen, war einen Moment orientierungslos und fällte Hennings so eher ungewollt. Und trotzdem: Hult war nun mal letzter Mann vor dem 96-Keeper, da muss es Rot geben. Und wenn das Laufduell erst einen Meter weiter so geendet hätte, wär sogar einen Elfer fällig gewesen. Aber selbst den Freistoß versemmelten die Fortunen, die im fluchbelasteten Dress aus schwarzem Trikot an weißer Hose auftraten.
Der in Ehren ergraute oder erglatzte Fortuna-Fan beiderlei Geschlechts neigt aus Erfahrung zum Pessimismus. Und so war der herrschende Tenor nach dem Rauswurf von Hult: „Oh je, Fortuna gegen zehn Mann? Dat jibt nix.“ Dies in Erinnerung an zahllose Spiele, in denen die Rotweißen eine Überzahl nicht in einen Sieg ummünzen konnten. Tatsächlich, das zeigen alle Statistiken, ist es bei etwa gleichwertigen Mannschaften für die zahlenmäßig überlegene Truppe schon lange kein wirklicher Vorteil mehr, mit einem Kicker mehr auf der Wiese spielen zu dürfen. Das etwas mit der rasanten Fortentwicklung der taktischen Möglichkeiten in den letzten rund 15 Jahren zu tun.
Die Idee für das unterlegene Team ist es, das Mittelfeld fast vollständig aufzugeben und mit je einer Fünfer- und einer Viererkette zu agieren, die vertikal relativ nahe beieinanderstehen und deren Insassen immer Richtung Ball verschieben, sodass sich ohne Anlaufen meist eine Mehrheit am ballführenden Spieler bildet. Hört sich simpel an, verlangt aber vom verteidigenden Team allerhögschde Disziplin. Für das überlegene Team geht es nun darum, Räume für den Mann mehr zu schaffen; also nicht für einen bestimmten Spieler, sondern immer für einen auf Außen. Mittel der Wahl bei der Herrschaft im Mittefeld ist der lange Diagonalpass. Außerdem muss die angreifende Mannschaft das Tempo erhöhen und hochhalten. Beides tat die ansonsten glorreiche Fortuna gestern in Hannover nicht – ganz 75 Minuten lang.
Leider kamen im Rest der ersten Halbzeit null Impulse von der Bank. In der Expertenrunde in der Retematäng, die gestern einen unerwarteten Ehrengast begrüßen durfte, machte die Diskussion die Runde, ob Trainer Thioune nicht umstellen und auswechseln sollte. Denkbar ist in derlei Situationen ja eine Dreierkette, davor eine Doppelsechs, der Rest offensiv mit zwei Spitzen. Konkret hätten die Coaches (um mal von vorn nach hinten zu diskutieren) Rouwen Hennings entweder Robert Bozenik an die Seite stellen oder Emma Iyoha als zweite Spitze installieren können. Er hätte Cello Sobottka Zimbo Zimmermann als zweiten Sechser zur Seite stellen können. Nicolas Gavory wäre viel weiter vorne auf Links aktiv geworden, und man hätte Tanaka durch Tony Pledl als zusätzlichen Stürmer ersetzen können.
Nein, die Startelf durfte ihren Stiefel weiter runterspielen. Weil sich aber alle, leider auch Khaled Narey, im Vergleich zur reifen Leistung im Heimspiel gegen Rostock, eher verschlechtert zeigten, gab das den 96er die Sicherheit, genau das richtige Rezept gegen die Überzahl gefunden zu haben. Nun hatten die Expert:innen erwartet, dass Thioune und Hoepner den Burschen einen Kabinenpredigt verpasst hätten und die mit neuer taktischer Grundordnung sowie neuem Schwung und Elan zurück auf den Rasen kämen. Nix da – es ging weiter wie vor der Pause. Erst zur 67. Minute hin dämmerten es dem Cheftrainer, dass personelle und auch systemische Änderungen nötig wären. Er brachte Robert Bozenik anstelle von Cello Sobottka.
Okay, es sollte also eine Doppelspitze geben. Prima. Nur erstens hatten es nun beide Spitzen im gegnerischen Sechzehner mit regelmäßig mindestens sieben Hannoveraner zu tun, und zweitens versuchten die anderen Fortunen immer und immer wieder diese Spitzen mit langen Bällen aus der Zentrale oder mit klassischen Flanken von außen zu versorgen. Einer, der es wissen könnte, meinte: Die (er meinte unsere Jungs) müssen mit mehr Leuten in den Strafraum. Ja, dachte euer Ergebener auch, die Außenläufer sollten in Richtung Mitte ziehen und dann ungefähr über die Ecken des Sechzehners eindringen.
Ein probates Mittel für solche Situationen fehlte völlig. Das Rezept: Ein Außenstürmer geht bis zur Grundlinie und zieht dann nach innen so weit es geht. Nun schiebt er scharf und flach in den Fünfer. Wenn derart viele Verteidiger dort rumlungern und eine ausreichende Anzahl eigener Leute, wird irgendwann schon irgendwer eine Gräte reinhalten und die Pille ins Netz bringen – am ehesten sogar in Form eines Eigentors. Weiter: Schaut man sich Spitzenteams in Überzahl an, kann man sehen, dass die immer ganz bewusst darauf spielen, einen Elfer zu ziehen. Auch das gern dadurch, dass sie im Strafraum viele Kollegen rumturnen lassen.
Wäre, wäre, Viererkette… Es war kein guter Tag für die glorreiche Fortuna, obwohl alle vor dem Spiel mit einem Unentschieden nicht unzufrieden gewesen wären. Es war kein guter Tag, weil einige F95-Akteure keinen guten Tag hatten, was ja vorkommen kann. Es war aber auch kein guter Tag, weil Daniel Thioune und seinen Assistenten zwischen der 17. und der 67. Minute gar nichts einfiel und danach nicht das Richtige. Es handelt sich also um ein klassisches Mundabputzspiel. Der eine Punkt hilft, und wenn die Fortunen am kommenden Freitag zuhause gegen Dümano wieder spielen wie gegen Rostock, dann gewinnen sie auch wieder, und das Thema Relegation ist für diese Saison final durch.
3 Kommentare
Ich lese das als Bankrotterklärung des Trainers Preußer.
Aber halt … !
Nur mal so als Einwurf: während der ersten 15 Minuten sprach gar nichts für unsere Diva, und ohne den Platzverweis, na, wer weiß??? Also, richtiges Fazit, Mund abwischen und am Freitag die Saison gegen Dresden sichern.
Habe mal wieder ein Auswärtsspiel vor Ort besucht, mit dann zum Schluss guten Plätzen auf der Gästeseite hinter dem Tor (sprich, es war ein sehr entspannter Nachmittag im Stadion). Was mich erschreckt hat, war dieses ewige hin- und herspielen an der Mittellinie, und das gut 70 Minuten lang. Ab und zu kam dann der Ball auf die Seite, auf der gerade Khaled Narey unterwegs war, da der aber meistens gedoppelt wurde, führte das zu keinem Ergebnis.
Die Seite, auf der Emmanuel Iyoha unterwegs war, wurde fast glänzlich übersehen. Es gab zahlreiche Situationen, da hat sich in der Mitte dann Ao Tanaka angeboten, wurde aber nicht bedient.
Was mich letztlich enttäuscht hat war die Ideenlosigkeit oder eher Mutlosigkeit, mal einen längeren Pass entlang der Seitenlinie mit Ziel Iyoha zu spielen, der von der Höhe des Strafraums oder von der Grundlinie den Ball mittig vor das Tor hätte bringen können. So wären die Hannoveraner Spieler etwas auf Trab und etwas Unordnung in die Hannoveraner Abwehr gebracht worden.
Bezeichnender Weise (so habe ich es zumindest gesehen) kam einer der zwei gefährlichen Torschüsse in der zweiten Halbzeit vom vielgeschähten Emmanuel Iyhoha, der von der Strafraumecke einfach mal aufs Tor geschossen hat. Sein Frust über das Spiel war ihm deutlich anzumerken.
Fazit: Es haben Schnelligkeit und Mut (Können?) für öffnende Pässe gefehlt.
PS: Kann es sein, dass das erste Foto mit Hennings und Iyoha die Situation wiedergibt, in der Hennings Iyoha erklärt, dass er ausgewechselt wird und über die Grundlinie das Feld verlassen soll, damit es so schneller geht.