Unser süßes Städtchen rühmt sich gern, es sei das Klein-Paris. Aber ist es das wirklich?
Lesestück · Immer noch geistert der Mythos „Klein-Paris“ durch die Gedanken der Düsseldorfer Lokalpatrioten. Dabei ist dieser Begriff am Ende wohl nicht mehr als der Name für ein Nachtlokal an der Mintropstraße – dem bisschen Rotlicht-Milieu, dass sich die schönste Stadt am Rhein leistet. Außerhalb der Ansiedlung zwischen Angermund und Hellerhof sieht das praktisch niemand so, auch wenn sich das Etikett „Klein-Paris“ für Düsseldorfer insgesamt historisch tragfähiger belegen lässt als für viele andere Orte, die es für sich reklamieren; unter anderem Leipzig, das sich auf einen einzigen Goethe-Spruch berufen kann. Das sieht für die Landeshauptstadt NRW schon anders aus.[Lesezeit ca. 4 min]
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Denn das Dorf an der Düssel wurde quasi aus erster Hand mit diesem vielversprechenden Beinamen geehrt. Es war ein gewisser Pierre-Louis Roederer, gebürtiger Elsässer und um 1810 herum Minister und Staatssekretär für das Großherzogtum Berg unter Napoleon Bonaparte. Düsseldorf war bekanntlich Hauptstadt dieses Kleinstaates, und der erwähnte Monsieur Roederer war kraft seines Amtes zuständig für den berühmten Besuch des Kaisers am 2. November 1811. Zu diesem Zwecke amtierte der Staatssekretär (der das Vertrauen Napoleons genoss und ein ziemlich enger Berater des Herrschers war) in der Kurfürstlichen Kanzlei an der Mühlenstraße, dem Gebäude, das allgemein „Stadthaus“ genannt wird und seit seiner Luxussanierung das Hotel „De Medici“ sowie die renovierte Gedenkstätte „Verfolgung und Widerstand“.
Über den Verlauf dieses Besuch schrieb Minister Roederer in einem Brief an seine Frau, die in Paris geblieben war,…
„…dass die Feierlichkeiten in Düsseldorf die glanzvollsten der Reise gewesen seien und Düsseldorf für einige Tage ein ‚Klein-Paris‘ geworden sei. In einem wenige Wochen später erlassenen sogenannten „Verschönerungsdekret“ überließ der Franzosenkaiser das Gelände der ehemaligen Festungsanlagen den Bürgern der Stadt Düsseldorf zur Erweiterung der öffentlichen Gartenanlagen…“ (Quelle: duesseldorf.de)
Übrigens: Eine andere Version der Geschichte besagt, Roederer sei sehr unzufrieden gewesen mit dem Verhalten der Düsseldorfer während des Besuchs und den Ort „Klein-Paris“ genannt, weil es im Dort an der Düssel ebenso schlampig und chaotisch zuginge wie in der Hauptstadt des napoleonischen Reiches. Für diese Variante gibt es aber im Gegensatz zur anderen keine Belege…
Bleibt die Frage: Wieviel Paris steckt wirklich in Düsseldorf? Der Versuch, die beiden Metropolen in Sachen Schönheit und/oder Struktur miteinander zu vergleichen, muss scheitern, zu unterschiedlich sind die schieren Fakten, die historische Entwicklung und die Bedeutung. Man bedenke, dass die keltische Siedlung Lutetia, aus der Paris entstand, mindestens seit dem dritten vorchristlichen Jahrhundert existierte, die Seine-Metropole also wohl mehr als 2.300 Jahre alt ist. Sehr großzügig gerechnet kommt Düsseldorf auf vielleicht 1.300 Jahre – wobei der Ort ja nicht aus einer früheren Siedlung entstanden ist. Während in Paris ca. 2,2 Millionen Menschen leben (im Großraum sind es mehr als 12 Millionen), hat Düsseldorf aktuell ungefähr 630.000 Einwohner. Paris hat seit mehr als 2.000 Jahren immer eine bedeutende Rolle in der Weltgeschichte gespielt; Düsseldorf wird in Europa zum ersten Mal überhaupt, wenn auch erheblich peripher, im 18. Jahrhundert wahrgenommen – und das auch nur wegen des Wirken der wunderbaren Anna Maria Luisa de Medici. Auf Augenhöhe bewegten sich die Städte nie.
Und doch gibt es einen gewissen Bereich, in dem sich Paris und Düsseldorf ähneln: Die Bedeutung der in den Alltag integrierten Lebensart, die viel mit Kunst, Kultur und Genuss zu tun hat. Das mag der Grund sein, weshalb sich viele in Düsseldorf lebende Französinnen und Franzosen hier so wohl fühlen. Dass die meisten Düsseldorfer stolz darauf sind, ihre Stadt „Klein-Paris“ nennen zu dürfen, ist die andere Seite dieser deutsch-französischen Medaille.Immerhin gelang es dem Düsseldorfer Hobbyfotografen Dirk Alvermann in den Fünfziger- und Sechzigerjahren Fotos in der schönsten Stadt am Rhein zu schießen, die an das Paris von Brassaï erinnern, dem Fotografen, der das nicht so glamouröse Paris abbildete, die Stadt der normalen Pariser, die Stadt ohne ständiges Licht. Im wunderbaren Fotoband „Klein Paris“ kann man sich diese unerwarteten Bilder Düsseldorfs anschauen.
[Dieser Beitrag erschien zuerst im November 2015 auf TD; wir haben den Artikel ergänzt und korrigiert.]