Dichter an die Menschen kommt Politik nicht als bei der Kommunalpolitik, denn die bestimmt einen großen Teil der ganz konkreten Lebensbedingungen – vor allem in großen Städten. Und ganz besonders in boomenden Metropolen wie der schönsten Stadt am Rhein. Da verwundert es schon, wie wenig interessiert sich Bürgerinnen und Bürger zeigen, wie gering im Vergleich die Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen (zuletzt nur 49,2 Prozent) ist. Am liebsten würde man sagen: Ja, Mensch, dann dürft ihr euch hinterher auch nicht beschweren, wenn ihr nicht mal zur Wahl geht. Aber, so einfach ist das nicht, denn einer Partei die Stimme zu geben, heißt noch lange nicht, dass sich deren Wahlforderungen und -versprechen in der Realität durchsetzen. Das Erfreuliche an den Aussagen der Parteien zur Stadtratswahl 2020 ist, dass die ernstzunehmenden Listen allesamt die wirklich drängenden Probleme erkannt und Vorschläge zur Lösung machen.
Da muss man sich mit den Rechtsdrehern und den Einpunkteprogrammbündnissen überhaupt nicht befassen. Ernstnehmen muss man zunächst die Parteien der momentan „regierenden“ Ampelkoalition (Rot, Grün, FDP) und die CDU. Im Prinzip müsste man auch die Linke in die Überlegungen einbeziehen, aber deren schlechte Umfragewerte (unter 4 Prozent) deuten darauf hin, dass ihr Einfluss als Fraktion im Rat der Stadt geringfügig sein wird. Das gilt auch für die anderen Kleinen. Auch wenn hier auf TD und in den anderen Lokalmedien die OB-Wahlen meist im Vordergrund gestanden haben, muss man sich als Wähler*in klar darüber sein, dass es der Rat der Stadt ist, der die Entscheidungen trifft – auch wenn bei einem Patt die*der gewählte Oberbürgermeister*in die entscheidende Stimme hat.
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Ob ist Chef der Verwaltung
Das besondere Gewicht dieses Amtes liegt zudem darin, dass die*der OB Chef der Verwaltung ist und damit verpflichtet, die Entscheidungen des Rates umzusetzen. Das ist eine Konstruktion, die es so weder auf Bundes-, noch auf Landesebene gibt. Bisher wurde Düsseldorf von einer sogenannten „Ampel“-Koalition „regiert“. Das heißt: Die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP stimmten in aller Regel gemeinsam und gleich ab – zumindest bei Vorlagen, die eine dieser Fraktionen eingebracht hatte. Da diese Koalition nur eine hauchdünne Mehrheit von einer Stimme hatte, war die Position des OB oft entscheidend. Meistens gar nicht bei den eigentlichen Abstimmungen, sondern schon vorher bei den Verhandlungen zwischen den genannten drei Parteien.
Will man der einzigen halbwegs glaubhaften Wahlumfrage glauben, wird sich die Konstellation nach der Kommunalwahl 2020 recht deutlich verändern. CDU (-3,7 %) und SPD (-9,3 %) werden Stimmenanteile verlieren, die Grünen werden massiv (+11,2 %) dazugewinnen; die FDP könnte sich verbessern. Eine Fünfprozenthürde gibt es nicht, die Sitze im Rat der Stadt werden nach dem Visorverfahren verteilt, eine kleine Partei erhält dann einen Sitz, wenn ihr so ermittelter Anteil mehr als der für einen halben Sitz nötigen Stimmenzahl entspricht. Das kann dazu führen, dass im kommenden Rat der Stadt bis zu zehn Parteien, Bündnisse oder Gruppen vertreten sein werden. Eine Wiederholung der „Ampel“ ist unwahrscheinlich – es riecht eher nach einem schwarz-grünen Bündnis. Sollte sich bei der OB-Wahl der Amtsinhaber Thomas Geisel (SPD) durchsetzen, müsste der „gegen“ eine Mehrheit ohne SPD „regieren“ – massive Konflikte und Verzögerungen von Entscheidungen wären vorprogrammiert.
Und das könnte angesichts der Herausforderungen, die auf den Rat der Stadt und die*den Oberbürgermeister*in zukommen, negative Auswirkungen haben. Umso wichtiger also die Teilnahme an der Wahl des Stadtrats. Nach neuesten Schätzungen wird Düsseldorf im Jahr 2040 um die 700.000 Einwohner haben, das sind gut 70.000 mehr als heute. Diese Menschen müssen wohnen und bewegt und mit funktionierenden Infrastrukturen und Einrichtungen versorgt werden. Und damit sind die Kernthemen für die nächsten sechs Jahre und darüber hinaus bereits beschrieben.
Wohnen und Leben
Das Bevölkerungswachstum der vergangenen zehn, zwölf Jahre hat sich als äußerst asymmetrisch erwiesen. Die Zahl der besserverdienenden Singles und kinderlosen Paare ist schneller gewachsen als die aller anderen Haushaltsformen. Deshalb hat nicht nur der analog zur wachsenden Bevölkerung ansteigenden Wohnungsmangel für eine drastische Erhöhung der Quadratmetermieten gesorgt, sondern die Ansprüche von Neu-Düsseldorfer*innen und deren Bereitschaft und Möglichkeit, wesentliche höhere Mieten zu zahlen. Gleichzeitig ist die Zahl der sogenannten „Sozialwohnungen“ gesunken, wobei gleichzeitig relativ wenig sozialgeförderte Wohnungen neu gebaut wurden. Beide Effekte zusammen haben bereits zu einer Verdrängung sozial schlechter gestellter Familien aus den innenstadtnahen Quartieren geführt – inzwischen nimmt das Angebot bezahlbaren Wohnraums auch in ehemals nicht so beliebten Vierteln ab. Wie bei einer Explosion verdrängen die Wohlhabenden die Armen in konzentrischen Kreisen aus der Stadt ins Umland und – weil auch dort bereits Mangel herrscht – weg aus der Region. Abwandernde Menschen mit geringen Einkommen werden im Zuge des Bevölkerungswachstum von Besserverdienern ersetzt, was den Effekt verstärkt.
Seit mehr als einem Jahrzehnt setzen CDU, FDP, aber auch SPD angesichts des Wachstums auf Beschleunigung des Wohnungsbaus. Alles, was sich bebauen lässt, wird bebaut. Aber, Wohnungsbau auf bis dahin anders genutzten Flächen führt zum Zuwachs an teuren Neubauwohnungen. Der Markt regelt in dieser Sache nichts, jedenfalls nichts, von dem auch Geringverdiener, Alleinerziehende und ältere Menschen etwas hätten. das hat inzwischen sogar die marktsüchtige FDP eingesehen und fordert den Bau geförderter Wohnungen. Ob es der kommenden Rat der Stadt schafft, anstelle von teuren Wohnungen bezahlbaren Wohnraum in dem Maße zu fördern, der den Bevölkerungsaustausch zugunsten Besserverdienender stoppt, wird für die weitere Entwicklung Düsseldorfs entscheidend sein.
Klima und Verkehr
Vermutlich schon im Hinblick auf eine Zusammenarbeit mit der lokalen CDU haben die Grünen schon seit Längerem auf kritische Positionen zum Wachstum der Stadt verzichtet. Eine Debatte darum, ob Düsseldorf wirklich weiter wachsen sollte, blieb aus. Wenn überhaupt wird mit Arbeitsplätzen, Steuereinnahmen und dem üblichen Zeug argumentiert und dabei so getan, als sei es Sinn und Zweck einer Großstadt, immer weiter zu wachsen. Das rasante Bevölkerungswachstum bringt aber nicht nur Probleme rund ums Wohnen mit sich, sondern sorgt auch für Umweltprobleme und schwer zu bewältigende Anforderung an die Infrastrukturen.
Da es in Düsseldorf kaum noch produzierende Industrien gibt und dazu ein vergleichsweise emissionsarmes Kraftwerk im Hafen, stammt die Belastung der Atemluft fast ausschließlich aus dem Verkehrssektor und wird zum weit überwiegenden Teil von Verbrennungsmotoren erzeugt. Die Abgase von Pkw, Lieferwagen, Lkw und anderen Fahrzeugen, die mit einem Otto- oder Dieselmotor angetrieben werden, stellen ein gewaltiges Gesundheitsrisiko dar und tragen zur Klimakrise bei. Das haben offiziell beinahe alle im Rat vertretenden Parteien eingesehen, ihre im Wahlkampf vertretenen Positionen sprechen dagegen. Verkehrswende kann nur heißen: Raus mit den Pkw aus der Stadt! Umstellung des Lieferverkehrs auf alternative Antriebe! Denn der motorisierte Individualverkehr ist nicht nur für die Luftverschmutzung verantwortlich, sondern auch für die gesundheitsgefährdende Lärmbelästigung. Zudem verbrauchen Pkw enorm viel Platz, der anderen Verkehrsmitteln fehlt und auch die Möglichkeiten einer ökologischen Stadtentwicklung behindert.
Nun plärrt der CDU-OB-Kandidat von einem „staufreien Düsseldorf“, und die FDP will Verkehrspolitik „mit nicht gegen“ die Bürger machen. Gemeint ist: Diese beide Parteien stehen nicht für die Verkehrswende, da mögen sie noch so oft Lippenbekenntnisse abgeben. Das Verrückte an den Positionen von CDU und FDP ist, dass sie vor allem im Sinne der Pendler argumentieren, die ja in ihren jeweiligen Gemeinden wählen und nicht in Düsseldorf. Wer in der Stadt lebt und möchte, dass es möglich bleibt, in der Stadt zu leben, muss für eine Pkw-freie Stadt sein. Das bedeutet aber, dass die Parteien, die dieses Konzept teilen, jetzt endlich konkrete Maßnahmen durchsetzen müssen – ein bisschen Umweltspur um Dieselfahrverbote zu vermeiden, reicht da nicht. Also muss das Angebot des ÖPNV schnell und massiv ausgebaut, die Preise dafür radikal gesenkt werden. Um den Umstieg aufs Fahrrad attraktiv zu machen, müssen endlich die lange geplanten Radwege eingerichtet werden; symbolische Pop-Up-Radwege sind da eher kontraproduktiv.
Bildung und Kultur
Der mit Abstand größte Verdienst des amtierenden OB und der „Ampel“-Koalition ist sicher, dass der in den Zeiten von Joachim Erwin und Dirk Elbers brachliegende Schulbau endlich angegangen wurde. Hier wurde viel Geld in die Hand genommen und zukunftsträchtig angelegt. Diese Politik muss fortgeführt werden. Bildung findet aber nicht nur in Schulen statt, sondern in verschiedensten Einrichtungen, viele davon von Ehrenamtlern betrieben. Diese sind zu fördern. Das gilt in noch höherem Maße für die Kultur jenseits von Schauspiel- und Opernhaus. Durch die verfehlte Stadtentwicklungspolitik der vergangenen Jahre sind die Räume für Kulturschaffenden immer enger geworden. Wo es Biotope der Off-Kultur gab, sind diese durch den entfesselten Immobilienhandel verschwunden. Nein, es geht nicht nur um finanzielle Förderung, sondern vielmehr darum, die Rahmenbedingungen für die kulturellen Angebote jenseits des offiziellen Kulturbetriebs zu verbessern.
Man kann diese Auflistung und Beurteilung gut als Sammlung von Wahlprüfsteinen verwenden, sollte aber in Betracht ziehen, dass das Bekenntnis einer*s Kandidat*in oder einer Partei zu dieser oder jener Position noch lange nicht heißt, dass sie für diese auch in der realen Politik einstehen werden. Wahlversprechen bleiben Versprechen, die erfüllt werden oder nicht.