Manchmal sind wir einfach so mit der 6 in die Altstadt gefahren, auch wenn wir keinen Groschen auf der Naht hatten. Nein, nicht um dann in Kneipen rumzulungern und Biere zu schnorren. Dafür waren wir ja Anfang und Mitte der Sechzigerjahre noch zu jung. Unser Ziel hieß einfach „Ziem“. Genau, das Optik- und Hörgeräte-Geschäft an der Ecke zum Bolker Stern. Denn das war in jenen Jahren uns bis weit in die Siebzigerjahre hinein ein absolutes Technikspielzeug-Traumland. Anfangs waren es vor allem die Modelleisenbahnen, die uns anlockten, auch wenn wir – also mein Bruder und ich – zuhause gar keine H0-Anlagen hatten. Bei Ziem gab es nicht nur den üblichen Märklin-Kram, den es auch bei Karstadt und Kaufhof und natürlich dem allgemeinen Spielwarenparadies Lütgenau gab, sondern praktisch alle Spurweiten – von Spur N von Arnold und Trix über Spur H0 von Märklin, Fleischmann und Trix bis hin zur gewaltigen Nenngröße 0 von Fleischmann und Lima. Dann kam Carrera, und wenn man sich brav verhielt, durfte man im Laden – damals im Untergeschoss – stundenlang an den aufgebauten Anlagen spielen.

Natürlich wünschten wir uns das alles. Aber am Ende kam dabei „nur“ eine Faller-Rennbahn heraus, die ich zu irgendeinem Geburtstag bekam. Während die Carrera-Bahn richtig groß war, die Wagen also etwa die Ausmaße einer Erwachsenenhand hatten, bot Faller Schienen und Autos im Maßstab 1:65 an, denn eigentlich war das System als Ergänzung zu H0-Modelleisenbahnen gedacht. Faller war nämlich der bedeutendste Hersteller von allerlei Modellen für H0-Anlagen und wollte eben auch Straßenverkehr abbildbar machen. Immerhin hatten sich die Eltern nicht Scalextric gekauft; das System galt als exotisch und das Material war teuer. Das Besondere an Faller AMS – so der Markenname – war nicht nur der Maßstab, sondern dass die Schienen nicht schwarz, sondern relativ hell grau waren. Das System kam 1963 auf den Markt und wurde rasch so beliebt, dass es Dutzende verschiedener Automodelle und eine Fülle an verschiedenen Schienen gab, mit denen man – im Vergleich zu Carrera – ausgesprochen komplexe Strecken bauen konnte. Außerdem war alles so preiswert, dass wir mit unserem Taschengeld die Anlage problemlos ausbauen konnten. In der größten Ausbaustufe war die Strecke fast dreieinhalb Meter lang, was „in echt“ immerhin mehr als zwei Kilometer entsprochen hat.

Eine Zeitlang investierten wir praktisch unser ganzes Einkommen in die Bahn, vor allem in Wagen. Bald hatten wir raus, wie man die tunen konnte. Das begann damit, die Reifen aufzurauen, mit Gewichten den Anpressdruck zu erhöhen und später auch damit, die Spulen im E-Motor zu manipulieren. Manch hochgerüsteter Bolide ging dabei in Rauch auf. Jeder von uns hatte sieben oder acht Kisten, von denen aber immer auch nur höchstens drei einsatzbereit waren. Mit denen wurden nach komplizierten Reglements ganze Rennserien ausgefahren. Auf irgendwelchen Modellkram – Tribünen, Boxen und dergleichen – verzichteten wir; es ging uns nur um den reinen Rennsport.

Modellautos der Extraklasse
Aber einige Jahre zuvor war Ziem schon einmal Anlaufpunkt für uns gewesen. Damals hatten wir ein eigenes Autospiel entwickelt. Aus Pappe bauten wir Rampen, die vom Nachtschrank auf den Boden führten. Es galt nun, das eigene Modellautochen oben loszulassen und hinab rollen zu lassen. Wessen Wagen weiter rollte, der hatte gewonnen. Angefangen hatten wir mit billigen Plastikdinger, bei denen Achse und Räder eine Einheit bildeten, die in Aussparungen an der Karosserie liefen. Die kamen kaum weiter als maximal einen Meter. Aber dann gab es bei Ziem sehr schöne Modelle von Formel-1-Rennern mit einem Druckgusschassis, Kunststoffkarosserie und richtigen Gummireifen. Das war natürlich etwas anderes, die liefen auch schon mal die volle Strecke durchs ganze Jungenzimmer und stießen hinten an der Heizkörperverkleidung an. Ich war süchtig nach den Dingern, hatte aber zu wenig Geld. Manchmal schlich ich bei Ziem rum und wollte solch ein Modell klauen, aber ich habe mich nie getraut.

Über die Jahre nahm die Abteilung für Technikspielzeug bei Ziem immer mehr Raum ein, weil man nun auch Fernlenkmodelle ins Angebot aufgenommen hatte. Das war dann aber auch schon semi-professionelles Zeug, dass sich nur Erwachsene für ihre Männerhobbys leisten konnten. Als ich dann Vater eines Sohnes wurde, war Ziem schon nicht mehr erste Adresse für Technikspielzeug – in Sachen Modelleisenbahn hatte der Lokschuppen unten im LVA-Hochhaus die Führung übernommen, und ferngesteuerte Flugzeuge, Schiffe und Autos gab es bei den Spezialisten, von denen einer bis heute auf der Hüttenstraße überlebt hat.

Wann genau Ziem den Handel mit Technikspielzeug ganz aufgeben hat, weiß ich nicht mehr. Denn ich hatte als Erwachsener nie Interesse an diesen Sachen. Halt, das stimmt nicht! Irgendwann in den Neunzigern erwischte es mich doch, und ich erwarb eine Standardpackung Carrera 1:24. Ein paar Jahre lang war die Anlage auf der Empore aufgebaut, und ab und an fuhren die Kinder und ich dort Rennen aus. Dann landete das Zeug bei einem Umzug in der hintersten Kellerecke, und beim vorletzten Umzug verschwand der Carrera-Karton ganz…

2 Kommentare

  1. irgendwann hatten wir die grandiose Idee, um dass fahrerische Können bis an die Grenzen auszutesten, die Bahn leicht einzuölen. Der Grip tendierte dann naturgemäß gegen Null und man brauchte einen extrem gefühligen Daumen am Gasdrücker, um die Renner durch die Kurven zu sliden. Auch der Start mit durchrehenden Rädern war nicht ganz einfach.

  2. Rälfchen am

    Yeah! Carrera tunen! Den Geruch der abrauchenden Spulen habe ich heute noch in der Nase. Zu meiner Zeit (in den 70ern) war Ziem für mich aber eindeutig der Optik-Spielzeugladen. Die genialen Mikroskope und vor allem die Teleskope hatten es mir angetan. Mit meinem „Schülereinkommen“ natürlich unerschwinglich, aber man wird ja noch träumen dürfen 🙂