Meinung · …nein, du bist keine Kirmes. Auch kein Ballermann. Und schon gar kein Fantasialand. Wenn die Düsseldorfer Jonges jetzt vorschlagen, dich wie eine Großveranstaltung zu behandeln, ignorieren sie, dass zwischen Heine-Allee und Rheinufer und zwischen Berger Allee und Kunstakademie Menschen leben und arbeiten. Und wer würde schon gern dauerhaft auf einem unter Hochsicherheitsbedingungen bewachten Festival wohnen und wirken wollen? Der Ansatz ist falsch, einige Detailvorschläge gut. Die Ballermannisierung der Altstadt hat ziemlich genau mit der Eröffnung der vielen Büdchen begonnen, an denen sich geizgeile Party-People mit Flaschenbier und anderem versorgen, weil sie sich eben mit weniger Geldeinsatz beballern wollten als wenn sie durch die Kneipen ziehen würden. [Lesezeit ca. 3 min]

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Wenn aber eines den Geist der längsten Theke der Welt ausgemacht hat, dann die Kneipenkultur im engeren Sinne, die ab Anfang der Sechziger- bis Mitte der Neunzigerjahre die Atmosphäre der Altstadt geprägt hat. Es war diese Vielfalt – zwischen ganz altmodischer Hausbrauerei über Traditionskneipen bis hin zu Szeneclubs, Diskotheken und Restaurants. Übrigens: Die Altstadt wie wir sie kennen, gibt es nicht „schon immer“. Bis ungefähr 1960, 1962 war beispielsweise die Bolkerstraße noch eine echte Einkaufsstraße, die große Umnutzung von Läden in Gastronomiebetriebe fand erst zwischen etwa 1963 und 1967 statt. Um 1970 herum zählte man dann schon 300 Kneipen, Bars, Clubs. Diskotheken und Restaurants.

Damals zog man bei einem zünftigen Altstadtabend noch von Kneipe zu Kneipe; die meisten jungen Leute hatten eine Stammkneipe und dazu in der Regel so drei, vier weitere Anlaufstellen. Mit einem Wegbier in der Hand irgendwo herumzulungern kam erst mit dem Beginn der Punk-Ära, also ab ungefähr 1978 auf. Und zwar auf der Ratinger Straße, die dank der Nähe zur Kunstakademie immer schon ein bisschen anders war als der Rest. Das Einzugsgebiet der Altstadt reichte bis Mitte der Siebzigerjahre kaum weiter als bis Neuss und Ratingen, Tagestouristen und feierwilliges Jungvolk aus dem Ruhrgebiet, dem Bergischen Land und vom Niederrhein traf man eher selten an. Und natürlich war noch nicht von diesen fürchterlichen Junggesellenabschieden die Rede, die kamen erst in den Neunzigern auf.

Und jetzt hat die Altstadt, will man der öffentlichen Meinung und einigen Medien glauben, ein Sicherheitsproblem. Anlass für viele Personen und Gruppen, die Politik aufzufordern, endlich Lösungen zu finden. Wer jünger als ungefähr 50 ist, weiß natürlich nicht aus eigener Anschauung, dass es immer wieder Phasen gab, in denen die Altstadt gefährlich war. Die Älteren erinnern sich an große Rockerkloppereien und Ludenkonflikte in den Sechzigern, die Prügelausflüge britischer Soldaten in den Siebzigern und die Türsteherkriege ab ungefähr 2000. Der Unterschied: Heute müssen auch friedliebende Besuchende an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten fürchten Opfer von Gewalt zu werden.

Rainer meint: Die Hauptursache ist die Verlagerung der Altstadtbesuche nach draußen. Und eben, dass man sich an den Büdchen jederzeit mit Alkohol versorgen kann und keinen einzigen Gastronomiebetrieb besuchen muss, wenn man in der Altstadt einen draufmachen will. So hat die längste Theke seit einigen Jahren ein Publikum angezogen, das nicht einfach nur feiern und Spaß haben will, sondern zu deren Wochenendprogramm auch Gewalt gehört. Bei diesem Publikum anzusetzen, wäre der beste Weg, die Altstadt wieder zu befrieden. Denn viele von den Jungmännern aus dem weiter entfernten Umland kommen nach Düsseldorf, weil sie an ihren Wohnorten so gut wie keine Möglichkeiten mehr haben sich abends und nachts in Gemeinschaft zu amüsieren.

Der Versuch, mit mehr Sicherheitskräfte, womöglich sogar privaten Security-Leuten die Auswüchse zu bekämpfen, werden fehlschlagen – das kann man jetzt schon beobachten, denn die „Bösen“ weichen einfach in Gegenden aus, wo sie eben keiner Polizeistreife begegnen. Aktuell leidet besonders die Carlstadt unter diesem Effekt, und vor allem der südwestliche Teil des Hofgartens ist schon zum Tummelplatz der wilden Burschen geworden. Eine von den Jonges vorgeschlagene Maßnahme könnte helfen, geht aber nicht weit genug: Der Verkauf von Alkohol in den Büdchen soll aber 22 Uhr verboten werden – warum nicht gleich ganz?

Erfahrene Altstadtbeobachter wissen aber auch, dass Krawall und Gewalt in der Altstadt in Wellen kommt und wieder geht. So wie die Generationen der Altstadtgänger kommen und gehen. Irgendwann wird es für die feier- und tumultwilligen Jugendlichen eben nicht mehr die längste Theke in Düsseldorf sein, von der sie sich angezogen fühlen, sondern irgendein andere Ort. Zum Beispiel Köln… Bis dahin sollte man das Problem nicht höher hängen als es ist, einige Maßnahmen ausprobieren und auf bessere Zeiten hoffen.

Ein Kommentar

  1. Spricht mir aus der Seele. Als etwas älterer Mitbürger kenne ich noch die Altstadt aus den späten Siebzigern und den Achtzigern. Irgendwann war das nicht mehr meine Altstadt. Bis vor ein paar Jahren noch haben wir mit unserer „Sandkastentruppe“ unsere Treffen noch in der Altstadt abgehalten. Ich fühlte mich auf dem Heimweg zunehmend unsicherer. Corona bedingt gab es keine Treffen mehr, aber wenn das mal vorbei ist, werde ich mir überlegen ob und wie lange ich dort verweile.

    Der Artikel wäre doch eine vielleicht anregende Lektüre für unseren OB.