Glosse · …du bist vollkommen überflüssig. So viel steht fest. Aber, wie manches, was überflüssig ist, machst du Spaß. Auf dir fahrend Spaß zu haben, ist also vollkommen in Ordnung. Dass eine gewisse Auswahl Jungmänner und -frauen zusammen mit dir sämtliche Verkehrsregeln außer Kraft setzen, ist natürlich blöd. Blöd ist auch, dass es einer ähnlichen Auswahl Youngster Spaß macht, dich im Rhein oder ein anderes städtisches Gewässer zu versenken. Mit der dringend nötigen Verkehrswende hast du allerdings nicht das Geringste zu tun. [Lesezeit ca. 3 min]

Denn niemand benutzt dich anstelle seines Autos, niemand. Und ich habe mit einer ziemlich großen Anzahl an Menschen gesprochen, die dich manchmal oder gar regelmäßig nutzen. Wer – siehe oben – nur so aus Spaß auf dir rumdüst, würde sonst auf irgendeine andere Art versuchen Spaß zu machen. Die kleine radikale Minderheit (gefühlt höchstens 10 Prozent der E-Scooter-Nutzer), die dich als Verkehrsmittel nutzt, gibt an, lieber elektromotorisiert im Stehen zu reisen als in einem dieser (aus deren Sicht) stinkenden und unpünktlichen ÖPNV-Dinger.

„Post vom Rainer“ ist die Glosse des TD-Chefredakteurs Rainer Bartel, der sich mit dem Titel und vor allem dem Titelbild dieser Kolumne ausdrücklich an den realsatirischen Kurzausfällen des von Rauch und Alkohol faltig gewordenen BILD-Finken Franz Josef Wagner orientiert, dem im Gegensatz zum Rainer schon alles egal ist. Damit das auch mal geklärt ist.

Ja, sagen sie, Fahrrad wäre eine Alternative. Anscheinend ist es für die seriösen Elektrotretrollerfahrer so, dass sie nach Lust und Laune auch mal ein Leihrad oder – ganz hip – ein Leih-E-Bike nutzen. Hauptsache ohne Auto und ohne ÖPNV. Gäbe es die E-Scooter nicht, so hört man von einigen, würden sie halt radeln. Was also den Sinn der Miet-E-Scooter für den Verkehr in der Stadt angeht, muss ich unserem OB Keller auf voller Breite Recht geben: Sie sind überflüssig.

Und hätte nicht der (B + Nomen + T = Omen) wider alle Erwartungen immer noch amtierende, skandalumwitterte und nach Ansicht vieler Experten völlig unfähige Bundesverkehrsminister diesen hippen und coolen Startup-Firmen den Freibrief für das Verleihen von mit Elektromotoren angetriebenen Tretrollern erteilt, wäre also jemand in Deutschland für den Verkehr zuständig, der auf Basis von Wissen und Erfahrung und weitgehend unabhängig von verschiedenen Lobby-Vereinigungen entscheidet, gäbe es dich vermutlich nur als süßes Hobbydingsbums für ein paar Leute, die Spaß an sowas haben.

Aber, wir leben ja in wirtschaftsliberalen Zeiten, in denen man die Gründung eines Unternehmens für eine Heldentat hält und devote Möchtegernreiche ihre „Ideen“ skrupellosen Investoren im Fernsehn präsentieren. Also fanden sich gleich die üblichen Verdächtigen, die auf die schnelle Mark aus sind, und gründeten E-Scooter-Verleihfirmen oder schlossen Franchise-Verträge mit bereits existierenden Anbietern aus dem Ausland ab. Zum Beispiel zwei Buben, die zuvor einen Versandhandel für Meersalz und Olivenöl in den Sand gesetzt haben, sowie ein Typ, der in der Club-Szene des Landes den Ruf eines Haifisches hat.

Die Idee ist aber auch zu verlockend. Man kaufe Tausende allerbilligster Fahrzeuge aus Fernost und weiß, dass die keinen Sommer lang halten und dann einfach entsorgt werden. Man okkupiert den öffentlichen Verkehrsraum als Geschäftsbereich und haut die Gemeinden bei den zu zahlenden Gebühren serienweise kräftig übers Ohr. Man verpflichtet arme Student:innen als sogenannte „Juicer“, die für sehr kleines Geld die Scooter einsammeln und bei sich zuhause aufladen. Und man weise vor allem jede Verantwortung für das rücksichtslose Benutzen der Dinger weit von sich. Okay, inzwischen sind einige Betreiber auf den Trichter gekommen, dass sie neben der fetten Kohle auch ein paar Karmapunkte ernten können, wenn sie sich sozial und grün waschen. Wie fett diese Schlitzohren inzwischen verdient haben, erkennt man daran, dass es ihnen nichts ausmacht, annähernd siebenstellige Beträge für die Bergung in den Rhein geschmissener Roller auszugeben.

Also: Nicht du, armer, kleiner Elektrotretroller, bist böse, nicht die wildgewordenen Nutzer sind böse, nicht einmal die skrupellosen Verleiher sind alle böse. Böse sind die wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen, die ein solch perfides Geschäftsmodell überhaupt erst möglich machen. Ich hoffe, das sieht Dr. Stephan Keller auch so ähnlich.

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