Den Mumm muss man auch erstmal haben: mitten im Sorgengestöhn der Gastwirte eine Kneipe ganz am Rande der Altstadt aufzumachen. Nun hat Daniel Vollmer vor ein paar Jahren schon die Chuzpe gehabt, an der Neustraße einen winzigen Club namens „schickmicki“ zu eröffnen, der dank eines wüsten Publikums und vieler Event-Ideen ziemlich brummt. Und als sich die Gelegenheit ergab, die Räume im Erdgeschoss des Hauses zu übernehmen, in dem er aufgewachsen ist, schlug Daniel zu. Im Dezember 2018 wurde das Retematäng geboren.
Und das an einem Ort, den das Fluidum der guten, alten Ratinger-Straßen-Szene umwabert. Denn als es den Henkel-Saal noch nicht gab, existierte gegenüber an der Ecke das legendäre Café Schlonz, das zu Lasten des Abrisses und Neubaus 2012 weichen musste. Da fehlte dann wirklich was. Die Straße, an der das Schlonz lag und das Retematäng liegt, ist eigentlich nur eine Passage hin zum Grabbeplatz und heißt Ratinger Mauer. Um diesen Bezeichnung ranken sich auch die Legenden, die sich darum drehen, wie denn das schöne Düsseldorfer Wörtchen „Retematäng“ entstanden ist.
Ratinger Mauer auf Französisch
Es steht außer Zweifel, dass es sich um die Verballhornung von Aussprüchen napoleonischer Soldaten handelt, die damals vor dem Wiener Kongress in Düsseldorf besetzend hausten. Die einfachste Erklärung besagt, dass diese Franzosen so den Namen der Gasse „Ratinger Mauer“ aussprachen, die der Überlieferung nach in jeden Jahren den hiesigen Straßenstrich abgab. Andere gehen systematischer ran und übersetzen „matäng“ mit dem französischen Wort für „der Morgen“, also „le matin“. Aber dann erschließen sich die Silben „rete“ noch nicht. Sei dem wie dem sei: Diese Ecke hat Tradition.
Bekannt geworden ist das Retematäng auch durch die Liebe des Wirtes zur Düsseldorfer Fortuna. Die zog Fans an, die flugs einen Fanclub mit dem schönen Namen „Retefortäng“ gründeten und mit dem Motto „Mir sin us de alde Stadt, us de Retematäng“ versahen. Und als die fußballgottverfluchten Bezahlsender die berüchtigte F95-Expertenrunde aus dem Bilker Häzz vertrieb, fanden die Mitglieder Asyl in Daniels schöner Eckkneipe, wo sie regelmäßig die Live-Übertragungen der Auswärtsspiele der glorreichen Diva verfolgen. Aber ähnlich wie im schickimicki ist das Retematäng nicht bloß ein Ort fürs stille Trinken.
Allerlei Ringelpietz
Auch in diesem Etablissement bietet das Café-Bar-Kneipen-Team allerlei Ringelpietz – zum Beispiel Beer-Pong-Abende, von denen die Mitmacher*innen noch lange schwärmen. Und gleichzeitig ist das Retematäng einer der familiärsten Orte in der ganzen Altstadt. Das hat was damit zu tun, dass sich nicht selten an Wochenendnachmittagen der Vollmer-Clan mit Kind & Kegel zum Kaffeeklatsch einfindet, aber auch damit, dass ganz viele Altstädter, also Düsseldorfer, die in der Altstadt geboren oder aufgewachsen sind oder dort so lange gewohnt haben, dass sie sich diesen Ehrentitel verdient haben, den Laden zu ihrer Stammkneipe gemacht haben. Das sorgt für eine feine Durchmischung der Gästeschar nach fast allen demoskopischen Merkmalen.
Während schräg gegenüber am Füchschen die Altstadttouristen samstags Schlange stehen, um reinzukommen, tapern sie am Retematäng meistens vorbei und wundern sich höchstens darüber, dass die Kneipe immer gut besucht ist. Und wenn sich dann mal ein paar Provinzler in den Laden wagen, sind sie meist angetan von der Gastfreundschaft, die sich in Düsseldorf bekanntlich auch in groben, aber nett gemeinten Lästereien äußert. Das Gesamtpaket, das das Retematäng über alles bietet, macht es zu einem schönen und empfehlenswerten Ort am Eingang zur Altstadt.
Zusatz am 9. April 2020: Hoffen wir, dass dieses feine Lokal in den Zeiten der Seuche keinen Schaden nimmt, sodass wir alle dort wieder auflaufen können, wenn die Kneipen wieder aufmachen dürfen.