Analyse · Es gibt ein Schreckgespenst in den Köpfen der Angermunder, besonders derer, die nah an der Bahn wohnen: Der Rhein-Ruhr-Express. Denn der soll ab 2030 komplett fertiggestellt sein und dann auf sechs Gleisen im 15-Minuten-Takt durch die Rosenstadt, den nördlichsten Punkt Düsseldorf, rasen. Ohne Haltepunkt in den Ortschaften, denn der RRX soll vor allem die Städte an Rhein und Ruhr miteinander verbinden. [Lesezeit ca. 4 min]
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Das gallische Dorf im Norden
Schon vor Jahren nahm die Deutsche Bahn das Projekt in Angriff, nicht damit rechnend, dass auf der gesamten Streckenführung der Achse Köln-Düsseldorf-Duisburg-Essen-Dortmund gerade Angermund, eine knapp 6.900-Seelen-Gemeinde, das gallische Dorf werden würde. Denn hier gibt es die Initiative Angermund, die seit mehr als sieben Jahren mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Deutsche Bahn aufbegehrt. Es geht der Initiative bei dem Bahnprojekt Rhein-Ruhr-Express um zwei wichtige Kernthemen, die sie auf der Agenda ganz oben stehen haben will. Das ist vor allem der Lärmschutz und eine mögliche Untertunnelung des RRX auf der Streckenführung durch Angermund. Wobei die Angermunder es eindeutig bevorzugen, wenn der RRX unterirdisch durch Angermund fahren könnte.
Die Visualisierung zeigt eine von möglichen Alternativen, die die Initiative Angermund entwickelt hat. Der so genannte Lärmschutzdeckel ist, so betont Elke Wagner, die Vorsitzende der Initiative, eine mögliche Umsetzungsvariante. „Eine tiefergehende und optimierte Planung unserer Lösung liegt leider bis heute nicht vor, so dass ein objektiver und fairer Vergleich mit der Lösung der DB bisher nicht möglich ist,“ erklärt die 52-jährige Angermunderin am 16. Januar.
Wer war zuerst da? Angermund oder die Bahn?
Durch Angermund rattert die Bahn. Und das schon seit etwa 1837, als diese viergleisige Trasse im Deutschen Kaiserreich eingeweiht wurde. Anfangs wurde diese Strecke von der „Cölner-Mindener-Eisenbahn-Gesellschaft“ betrieben. Es gab drei solcher Gesellschaften in Deutschland, die Bergisch-Märkische, die Rheinische und eben die Cölner-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft. Eigentlich war geplant, die Strecke durch das Tal der Wupper zu führen, doch diese Streckenführung wäre wegen der hügeligen Landschaft zu aufwändig und teuer geworden. So entschieden Planer, genauer gesagt, ein Kaufmann und Bankier aus Aachen, stattdessen die Trasse durch Düsseldorf, Duisburg und das Ruhrgebiet zu führen.
Dabei wurde Angermund, der nördlichste Stadtteil, zuerst 1188 urkundlich erwähnt, und zwar vom Kölner Erzbischof Philipp von Heinsberg. Angermund gab es also vor der Bahn, doch das Dorf hat im Laufe der Jahrhunderte gelernt, mit der Bahn zu leben.
In zwei Teile zerschnitten
Dass die Bahntrasse Angermund in zwei Teile zerschneidet, das können auch die vier Brückenwerke nicht ausbügeln. Zur Verbindung gehören auch noch der in die Jahre gekommene S-Bahnhaltepunkt auf der Bahnhofstraße, wie er offiziell heißt, und eine kleine Unterführung, die von der Straße „An den Kämpen“ herüberführt zur „Bahnhofstraße“. Um die Ecke liegt die Friedrich-von-Spee-Gemeinschaftsgrundschule, die von vielen Schülerinnen und Schülern zu normalen Zeiten – also vor Corona – fünfmal pro Woche aufgesucht wird. Beide Unterführungen verlaufen unterhalb der Bahn in etwa 400 Meter Entfernung. Und beide Unterführungen sind schlecht beleuchtet, schäbig und Angsträume. Die einzige Alternative: über die Brücke via Angermunder Straße zu gehen oder zu fahren.
Und die Deutsche Bahn hat erklärt, den S-Bahnhaltepunkt so lange nicht zu sanieren, wie nicht feststeht, was mit dem Rhein-Ruhr-Express weiter geschieht.
Was die Deutsche Bahn plant
Die Deutsche Bahn will den Verkehr in der bevölkerungsreichsten Region Deutschlands, also in NRW, immer mehr von der Straße auf die Schiene setzen. Heißt im Klartext, dass etwa pro Tag 24.000 bis 31.000 PKW’s eingespart werden sollen. Das geht aus dem Bundesverkehrswegeplan hervor, der für den RRX vordringlichen Bedarf angemeldet hat.
So soll im 15-Minuten-Takt auf zwei weiteren Gleisen der RRX zwischen Köln über Duisburg nach Dortmund fahren, wenn die gesamten Infrastrukturmaßnahmen fertig gestellt sind. Denn die Verbindungen, die es gibt, sind nicht untereinander vernetzt und daher uneffektiv, um viele Menschen in kurzer Zeit von A nach B zu bringen. Sieben Linien des RRX sollen schließlich die Metropolen miteinander verbinden. Zwei Regionalexpresslinien, die heutigen RE 5 und RE 3, sollen das Angebot an Zugverbindungen komplettieren. Die Höchstgeschwindigkeit der neuen Züge liegt bei etwa 160 km/Stunde. Dass das laut wird, davor fürchten sich die ohnehin lärmgeplagten Angermunder. Vor allem die, die auf beiden Seiten der Bahn wohnen. Dass der Ausbau des Streckennetzes mit Lärmschutz einhergehen muss, liegt auf der Hand. Für Angermund und überhaupt entlang der Strecke durch die Ortschaften plant die Deutsche Bahn Lärmschutzwände, die sechs Meter hoch sind, ab Bodenniveau. Und zwar in Form von Gabionen, das sind mit Metall gefüllte Elemente, die anstelle von Betonteilen verwendet werden. Sie sehen besser aus.
Eine Lärmdeckellösung, wie von den Angermundern bevorzugt, lehnt die Deutsche Bahn ab. Sie will keinen Präzedenzfall schaffen, wohl aus Kostengründen. Denn die Streckenführung ist lang. Und könnte so komplett aus dem Ruder laufen, wenn auch andere Städte und Gemeinden ähnliche Forderungen an die DB stellen.
Insgesamt 15 Planfeststellungsabschnitte
Eine Sprecherin der DB erklärt am 18. Januar, dass der Infrastrukturausbau des RRX in 15 Planfeststellungsabschnitte eingeteilt ist. Für 12 von den 15 konnte das Baurecht beantragt werden. Ein genauer Termin für die Fertigstellung der durchgängigen 6-Gleisigkeit zwischen Düsseldorf und Duisburg könne erst genannt werden, wenn das Baurecht für alle Abschnitte vorliege. Aus den vorliegenden Gutachten ginge hervor, dass eine Einhausung nicht weiterverfolgt werden könne. Da sei der Eingriff in private Grundstücke zu groß. Also bliebe die Deutsche Bahn bei der Variante vom Ausbau auf sechs Gleise und dem Lärmschutz.
Was sagt die Initiative Angermund dazu? Die Interessengemeinschaft Handwerk & Handel aus Angermund? Und Bürgerstimmen? Dazu mehr im zweiten Teil dieses Beitrags in der kommenden Woche.