Man kann sich die Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts in Sachen Fliegerei so innovativ und aufregend vorstellen wie die Achtziger rund um den Computer. Ähnlich wie bei den Elektronenhirnen war zunächst der militärische Bereich Treiber der rasanten Entwicklung. Im ersten Weltkrieg mit seinen ersten Luftkämpfen erdachten und realisierten Ingenieure Motoren und Flugzeuge, die noch um 1917 herum unvorstellbar waren. Dann kam das Kriegsende, und weil die Passagierluftfahrt noch nicht erfunden war, herrschte zunächst ein Innovationsstau. Besonders in Deutschland, denn die Sieger hatten es den Deutschen schlicht verboten, Motorflugzeuge zu bauen. Was blieb solch genialen Pionieren wie Claude Dornier übrig, als für Firmen im Ausland zu arbeiten? Und so wurde der Prototyp des gewaltigen Flugboots Do X eben im schweizerischen Altenrhein entwickelt und gebaut.
Tatsächlich war die Entwicklung und der Bau von Flugbooten und Schwimmerflugzeugen entscheidend für eine kommerziell sinnvoll zu betreibende Passagierluftfahrt, denn Flugplätze, die sich für größere Maschinen eigneten, waren weltweit rar gesät. Zunächst legte man – wie in der Golzheimer Heide in Düsseldorf – ab etwa 1910 Start- und Landplätze für Luftschiffe an, die dann mit Kriegsbeginn meist als Flugfelder für Militärmaschinen genutzt wurden. Dabei handelte es sich durchweg um halbwegs plane Rasenflächen. Der Düsseldorfer Flughafen mit einer betonierten Start- und Landebahn wurde tatsächlich erst 1927 eröffnet.
Freie ausreichend große Wasserfläche gab es dagegen in der Nähe beinahe jeder Metropole, die als Ziel für Passagierflüge in Frage kam. Noch während des ersten Weltkriegs hatte man mit Flugzeugen experimentiert, die dank Auslegern mit Schwimmern in der Lage waren, auf ruhigem Wasser abzuheben und aufzusetzen. Diesen Typ für den Transport von Menschen einzusetzen, das wurde rasch klar, war zu riskant, beziehungsweise: Wasserflugzeuge konnten über eine bestimmte Größe hinaus nicht gebaut werden.
Da sah das Prinzip des Flugboots, dessen erster Vertreter vermutlich 1912 vom Franzosen François Denhaut gebaut wurde (aber beim ersten Flug auf der Seine bei Paris zerschellte), vielversprechender aus. Schon während des Krieges hatten die Luftstreitkräfte aller beteiligten Staaten vereinzelt solche Flugzeuge eingesetzt. Der wesentliche Unterschied zum Schwimmerflugzeug: Ein Flugboot verfügt über einen schiffsartigen Rumpf, sodass es sich auch ohne Schwimmer stabil auf dem Wasser halten kann. Das größte Problem aber ist, dass Flugboote erst ab einer gewissen Größe sinnvoll gebaut werden können.
Claude Dornier, der schon bei Graf Zeppelin führender Ingenieur war, sich aber später entschieden gegen die Weiterentwicklung von Luftschiffen aussprach, war fasziniert von Flugbooten. Nachdem aus der Abteilung Do der Zeppelin-Werke ein eigenes Unternehmen unter der Leitung von Dornier entstanden war, wurde gleich der erste eigene Typ ein großer Erfolg: Die Dornier Wal, die wegen der Beschränkungen durch den Versailler Vertrag im italienischen Marina di Pisa hergestellt wurde. Am 6. November 1922 hob die Maschine mit der offiziellen Bezeichnung Do J zum ersten Mal ab; bis 1936 wurden mehr als 250 Exemplare gebaut und erfolgreich als Passagier- und Postflugzeuge eingesetzt. Die Dornier Wal wird heute zu den berühmtesten Flugzeugen aller Zeiten gerechnet.
Aber Dornier wollte mehr. Seine Vision war vor allem der Transatlantikflug für Fluggäste; nicht nur sechs oder zehn, wie sie beim Wal möglich waren, sondern 100, 120 oder mehr. Die ersten Skizzen für das fliegende Monstrum namens Do X zeichnete Claude Dornier schon 1924. Die schiere Größe und die Anforderungen an die unglaublichen 12 Motoren brachten die damalige Materialforschung und Technik an ihre Grenzen. Erst 1926 konnten die Planungen abgeschlossen werden, und die Do X1 konnte sogar erst am 12. Juli 1929 vom Bodensee aus starten. Ausgelegt war das Flugboot für fast 160 Passagiere, die von mindestens zehn Besatzungsmitgliedern begleitet wurden.
Für das Fliegerische und Technische waren allein sechs Mann an Bord. Die Reichweite von mindestens 1.700 und maximal 2.300 Kilometer war für die Atlantiküberquerung mit zwei Zwischenstopps ausgelegt. Aber erst im Oktober 1930 erhielt das Flugboot die offizielle Abnahme durch die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt und konnte nun theoretisch im regulären Betrieb eingesetzt werden. Nur: Es gab keine Interessenten für das riesige Fluggerät. Also beschloss man, die Do X1 auf einen Werbeflug rund um den Globus zu schicken. Tatsächlich erregte die damals mit Abstand größte Maschine der Welt überall großes Aufsehen; von jeder Landung berichteten die Wochenschauen, und es gibt Tausende von Photographien aus jener Zeit, auf den die Do X im Flug oder auf dem Wasser zu sehen ist.
Allerdings verliefen die Flüge nicht problemlos. Bald gab es Schwierigkeiten mit den zwölf Motoren, die zu Ausfällen durch Überhitzung neigten. Mehrere Bruchlandungen ereigneten sich – wenn auch ohne Personen- und mit geringem Sachschaden. Nachdem die Do X zurückgekehrt war, sollte ein Rundflug durch Deutschland im Jahr 1932 die Bevölkerung für die Luftfahrt allgemein, für den deutschen Flugzeugbau im Speziellen begeistern. Und so kam es, dass ein Flugboot mit einer Länge von gut 40, einer Höhe von etwa 10 und einer Spannweite von 48 Metern im September 1932 zunächst bei Duisburg landete. Zwei Tage später ging es weiter nach Düsseldorf, und dann von Köln aus den Rhein aufwärts bis zum Heimathafen am Bodensee.
Aussagen von Augenzeugen sind nicht überliefert, sodass nur die Berichte in den Tageszeitungen jener Tage als Quelle dienen können. So kann man von heute aus nicht ermessen, welches Aufsehen das Erscheinen der Do X am Rhein ausgelöst hat, wo damals doch die meisten Menschen noch nie ein Flugzeug ähnlicher Größe gesehen hatten. Das Schifffahrtsmuseum Düsseldorf schreibt zu der abgebildeten Postkarte:
Diese Postkarte zeigt zwar die startende Dornier über dem Rhein bei Düsseldorf, allerdings handelt es sich hier um die Retusche einer Postkarte mit dem Motiv der 1929 fertiggestellten Rheinschlange vor dem Robert-Lehr-Ufer. Tatsächlich kam die Dornier damals von Norden her, aus Duisburg und flog dann weiter gen Süden. Die Postkarte zeigt aber die Faszination mit diesem für seine Zeit gigantischen Flugschiff und seiner Reise entlang des Rheins.
Fußnote der Geschichte: Der geniale, aber auch schwierige Millionär Howard Hughes, ein Pionier der Fliegerei und Gründer einer Flugzeugfabrik sowie einer Airline, erhielt 1942 den Auftrag, ein wesentlich größeres Flugboot für die US-Marine zu entwickeln und zu bauen. Die „Spruce Goose“ war schlicht in jeder Hinsicht doppelt so groß wie die Do X. Weil kriegsbedingt Aluminium in ausreichender Menge nicht verfügbar war, wurde die Hughes H-4 tatsächlich fast vollständig aus Holz gebaut. Und trotzdem gelang es nicht, den acht Propellermotoren genug Leistung abzuringen, das Monster in die Luft zu bringen. Am 2. November 1947 fand der erste und einzige Flug des Flugboots statt, dass sich dabei nur wenig über die Wasserfläche erhob und vermutlich nur aufgrund des Bodeneffekts überhaupt abhob.
Lange blieb die Do X das einzige Flugboot seiner Größenklasse. 1939 holte sich die Boeing 314 Clipper diesen Titel. Mit der 1952 in Dienst gestellten Saunders-Roe Princess, die in den Ausmaßen zwischen der Boeing 314 und der Spruce Goose lag, endeten die goldenen Jahre der Flugboote in der Passagierluftfahrt auch schon. Inzwischen war eine weltweite Infrastruktur von Flughäfen für große Passagiermaschinen entstanden, und der Bedarf an Flugbooten ging für Fluggäste gegen Null. Überlebt hat dieser Flugzeugtyp dagegen im Bereich von Spezialaufgaben – zum Beispiel als Wasserlöschflugzeuge in der Brandbekämpfung oder zur Versorgung von Forschungseinrichtungen in der Antarktis sowie im militärischen Bereich. Aktuell werden Flugboote von Firmen in Kanada, Japan, China und Russland entwickelt oder gefertigt.