Viel deutlicher als erwartet ist gestern die Stichwahl zum Oberbürgermeister der Stadt Düsseldorf ausgegangen. Der Vorsprung des auf dem CDU-Ticket reisenden Noch-Stadtdirektors von Köln, Stephan Keller, auf den Amtsinhaber Thomas Geisel betrug schließlich fast zwölf Prozentpunkte, das bei einer Wahlbeteiligung von nur knapp über 45 Prozent. Noch-OB Geisel hatte die Größe, seine Niederlage früh einzugestehen, ohne sich auf aus der Hüfte geschossenen Begründungen einzulassen. Die Enttäuschung der Sozialdemokraten und ihrer Anhänger war groß, und das Nachkarten begann in den sozialen Medien sehr früh.

Die Grünen seien schuld, hieß es da fast unisono. Gemeint war damit, dass sich die Lokal-Grünen eine Wahlempfehlung verkniffen hatten. Als ob es etwas geändert hätte, wenn sie gesagt hätten: Ey, ihr Ökowähler, macht am 27. gefälligst euer Kreuzchen beim Geisel. Aber so sind die Sozen in der Ära ihres Niedergangs: Die Schuldigen sind immer die anderen. Den Leuten von Bündnis 90/Die Grünen wird vehement unterstellt, eine schwarz-grüne Kooperation im Rat anzustreben, und da wäre ein SPD-Geisel nur im Weg. Diese These ist so populär wie falsch. Die Grünen werden im neu gewählten Rat der Stadt mit 22 (von zukünftig 90) Sitzen vertreten sein, also die zweitstärkste Fraktion nach der CDU bilden. Das ist der Hebel, mit dem die Ökos ihre im Wahlprogramm ziemlich klar beschriebenen Ziele durchsetzen wollen.

Rein machttechnisch ist es da egal, wer unter den Grünen den OB gibt. Einfach mal die ominöse Umweltspur (die ja in Düsseldorf mehrfach vorkommt) abzuschaffen, wird nicht möglich sein. Sollte es zu einer „Koalition“ (ein Begriff, der auf ein Lokalparlament nicht passt…) zwischen den Christdemokraten und den Ökoliberalen kommen, müsste sich diese Mehrheit von 52 Ratsfrauen und -herren einigen. Und auch wenn nach der NRW-Kommunalordnung der Oberbürgermeister in Personalunion Chef der Stadtverwaltung ist, kann er Maßnahmen wie diese nicht einfach anordnen. Das gilt im Übrigen für viele Themen, die den Bürger*innen auf den Nägeln brennen.

Wenn man den Düsseldorf-Grünen im Zusammenhang mit dieser OB-Wahl einen Vorwurf machen kann, dann den, dass sie keine starke OB-Kandidatin (Ja, es hätte wieder eine Frau sein MÜSSEN) aufgestellt haben, die in der Stadt bestens vernetzt und in der Lage wäre, mit allen auf Augenhöhe zu reden, sondern einen sympathischen, wenn auch wenig bekannten und schwachen Kerl aufs Schild gehoben haben. Oder aber: Im weiten Vorfeld nicht auf die SPD eingewirkt zu haben, Geisel nicht noch einmal zu nominieren, sondern sich gleich auf eine gemeinsame Kandidatin zu einigen – die natürlich auch eine SPD-Dame gewesen sein können. Wer in dieser Frage das Ohr an den Grünen hatte, weiß, dass dieser Version die persönlichen Ambitionen geeigneter Personen im Weg standen, die ihre Zukunft jenseits der Stadtgrenzen und der Grenzen NRWs sehen. Schade eigentlich.

Grüne: Verhältnis zu Geisel zerrüttet

Dass die Grünen also keine Wahlempfehlung für Thomas Geisel ausgesprochen haben, liegt also in erster Linie daran, dass das Verhältnis zwischen ihnen und dem OB einigermaßen zerrüttet war. Was besonders bitter ist, weil das Ampel-Bündnis aus SPD, Grünen und FDP über die Jahre viel besser funktioniert hat, als zu erwarten war. Übrigens ist theoretisch sogar eine Fortsetzung dieser Konstellation vorstellbar – es wäre nicht das erste Mal, dass in Düsseldorf eine Kooperation im Rat gegen den amtierenden Oberbürgermeister steht, und selbst das kann funktionieren, wenn die Mehrheit des Bündnisses mehr als zwei Sitze größer ist als die des Restes. Bei einem Patt ist nämlich jeweils die Stimme des OB entscheidend. Andererseits ginge rein rechnerisch auch eine Art Mitte-Links-Bündnis aus Grünen, SPD, Linken, Volt und Klimaliste, das auf 45 von 90 Sitze käme, also keine echte Mehrheit hätte.

Am stabilsten ist also ganz eindeutig die Kooperation der 32 CDU-Ratsmitgliedern mit der Grünen-Fraktion. Auf den ersten Blick ist die Schnittmenge der Positionen und Ziele gering. Jedenfalls dann, wenn man einfach die Programm der jeweiligen Bundesparteien heranzieht. Oder gar die Parolen aus dem Wahlkampf, speziell diejenigen, die der völlig verkorksten Kampagne des CDU-Kandidaten angehängt worden waren. Blödsinn wie „staufreies Düsseldorf“, „Gigabit für alle“, „beste Kinderbetreuung“ oder „150 neue Ordnungskräfte“ kann nur als Teller bunte Knete einer um ihr konservatives Law-&-Order-Profil bemühten CDU verstanden werden. Dem, was man über den kommenden Oberbürgermeister weiß, ist wenig davon auch nur annähernd gerecht geworden.

Das und sein unsägliches Tete-á-Tete mit Rechtsaußentante Pantel (die ihn allen Ernstes einen „Schmusi“ nannte) lassen darauf schließen, dass Dr. Stephan Keller kein Politiker ist, dass er sich mit den Winkelzügen von Berufspolitikern nicht wirklich auskennt. Woher auch: Parteipolitisch ist der gebürtige Aachener mit Wohnsitz in Wersten bisher ja noch nie. Und aufgestellt hat ihn die hiesige CDU ja nur, weil sich die verschiedenen parteiinternen Klüngel nicht auf eine*n Kandidat*in haben einigen können bzw. es einfach keine Person mit ausreichender Qualifikation gab, die man hätte aufstellen können. Nun schwafeln die Christdemokraten – ganz im Sinne ihres Laschets – davon, wie unglaublich geschlossen sie hinter ihrem Kandidaten gestanden hätten. Stellen wir uns Stephan Keller also eher als unpolitischen Pragmatiker mit nur gering ausgeprägter Eitelkeit vor. Wäre er eitel, hätte er die furchtbaren Fotos auf seinen Plakaten niemals zugelassen.

Das alt-sozische Lagerdenken

Das alles sehen die örtlichen Sozen naturgemäß völlig anders. Die denken ja immer noch, sie seien progressiv, während die böse, böse CDU irgendwie rechtskonservativ sei. Diejenigen, die sich für Thomas Geisel stark gemacht haben, bewerten aus dieser Position heraus die Leistung des Noch-OB auf allen Feldern, die sie für links halten, sehr positiv. Dabei hat der kleine Macher aus dem Schwabenland sich ja durchweg wenig dafür interessiert, was seine Partei so wollte. Über die wahren Gründen des gestrigen Rücktritts von SPD-Düsseldorf-Vorturner Andreas Rimkus wird in diesem Zusammenhang noch zu reden sein. Tatsächlich ist Geisel im Wesentlichen durch Alleingänge, Fettnäpfe und Symbolpolitik aufgefallen. Komischerweise sehen Letzteres vor allem diejenigen nicht, die auf gesellschaftlich enorm wichtigen Gebieten ehrenamtlich tätig sind. Vielen von denen scheint es zu reichen, das sich der OB regelmäßig mit ihnen solidarisiert hat. Und das Licht im Rathaus aus Protest gegen rechts auszuschalten oder die Regenbogenfahne der LBQT-Gemeinde über dem Marktplatz wehen zu lassen, kostet nicht viel, bringt aber auch nichts.

Schweigen wir aber auch nicht von zwei Themen, in denen Thomas Geisel Enormes für unsere Stadt geleistet hat: Beim Bau und der Sanierung der Schulen und bei den Schwimmbädern. Hier hat der schrecklichen Lethargie der Elbers-Ära ein Ende gesetzt und sich als das gezeigt, was er so gern sein möchte: als Macher. Beim Wohnungsbau hat er immerhin erreicht, dass mehr Sozialwohnungen gebaut wurden als aus der Sozialbindung gefallen sind. Bei der sogenannten „Verkehrswende“ ist Thomas Geisel entgegen dem, was SPDler glauben und tönen, nicht wirklich weitergekommen. Die These, er habe das drohende Dieselfahrverbot aussitzen wollen und als sichtbar wurde, dass das nicht hinhaut, ganz hektisch die Umweltspuren einrichten lassen. Das ist natürlich auch Quatsch, weil a) diese Aktionen eben nicht allein auf seinem Mist gewachsen sind und b) die Grünen darauf gedrungen haben, das Konzept der höchst erfolgreichen Fahrradspur auf der Friedrich- und Breite Straße rasch auszudehnen.

Überhaupt kann sowohl den vehementen Geisel-Kritikern, als auch seinen Fanboys und -girls nur ganz heftig angeraten werden, bei den strittigen Themen einmal die Berichterstattung der Lokalmedien retrospektiv durchzugehen. Nicht alles, was beiden Gruppen klar scheint, ist wirklich so klar. Nicht einmal die gängige Behauptung aus den grünen und roten Ecken, die CDU habe als Opposition alles geblockt, auch vernünftige Sachen, hält dann nicht stand. Die bisherige Zusammensetzung des Rates der Stadt hat immer wieder zu merkwürdigen Querfronten geführt – was es Geisel aber auch oft einfach gemacht hat, seine Alleingänge zu zelebrieren.

Eigensinn und Fettnapf-Suche

The Düsseldorfer hat den scheidenden Oberbürgermeister mal als „Fettnapf-Jockey“ tituliert, weil er gerade in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit so oft in diverse rumstehende Fallen getappt ist, die er sich in seinem Größenwahn selbst aufgebaut hat. Man erinnere sich an den von ihm im Sinne von D.live vehement geförderten Plan, auf dem Messeparkplatz ein Open-Air-Feld einzurichten, wo dann Ed Sheeran vor 85.000 Leuten hätte auftreten sollen. Die Planung war dermaßen dilettantisch, dass es vermutlich gar nicht erst der Empörung von Baumschützern bedurft hätte, das Ding zu kippen. Oder das Kostendesaster rund um den Start der Tour de France im Sommer 2017. Das Muster: Der OB will das, die Verwaltung plant lustlos, die Sache endet im Chaos.

Das alles war vor allem Folge eines Politikstils, wie er ehemaligen Wirtschaftsmanagern zu eigen ist, die sich selbst für Macher halten, aber nicht erkennen, dass in diesem Etikett auch die Kennung „einfach irgendwas irgendwie machen“ steckt. Übrigens: Dass ausgerechnet örtliche Sozialdemokrat*innen, die sich selbst für links halten, so auf Geisel abfahren, wundert angesichts seiner beruflichen Vergangenheit schon. Der Mann hat bei der Treuhand geholfen, die DDR-Wirtschaft final abzuwickeln, hat bei einem Betrügerkonzern seine Brötchen verdient und war beim Energiekonzern E.on u.a. für den Kauf von russischem Gas zuständig. Das mal auf die Tafel derjenigen, die uns den Verwaltungsbeamten Stephan Keller madig machen wollen (der übrigens in seinem Beruf auch nicht sonderlich erfolgreich war bisher).

Düsseldorf überhitzt

Albern wird’s bei den Lokalkolorierten, die gegen Keller vor allem einzuwenden haben, dass er Kölner ist. Ist er aber gar nicht, sondern gebürtiger Aachener, der auch während seiner Zeit als Kölner Stadtdirektor seinen Hauptwohnsitz in Düsseldorf hatte. Schließlich hat er von 2011 bis 2016 in Düsseldorf unter Elbers als Beigeordneter für Recht, Ordnung und Verkehr gewirkt und war dabei u.a. für den Bau der Wehrhahn-Linie und den Kö-Bogen zuständig. In Düsseldorf lebt er seit 2006, wo er zuerst beim Städte- und Gemeindebund NRW seine Altbierchen verdiente. Das reicht natürlich nicht, um als Volldüsseldorfer durchzugehen, aber erst ist dann doch mehr Düsseldorfer als es Thomas Geisel jemals hätte werden können.

Wir kriegen also einen Verwaltungsjuristen anstelle eines Industriemanagers als OB, was ganz sicher Auswirkungen auf den Führungs- und Politikstil haben wird. Im Gegensatz zu Geisel wird man von Keller deutlich weniger Symbolpolitik und Metropolenwahn erwarten können, was dieser Stadt, die ja aufgrund des schlimmen Bevölkerungswachstums deutlich überhitzt arbeitet, guttun wird. Welche Politikfelder der neue OB auf welche Weise anfassen wird, dürfte viel weniger von seiner Parteienzugehörigkeit oder den Wünschen der städtischen CDU abhängen als von der führenden Kooperation im Rat der Stadt. Und die wird am Ende extrem hart geführter Verhandlungen – vor allem zwischen der CDU und den Grünen – stehen. Es bleibt spannend.

5 Kommentare

  1. B.Lockwart am

    Das war bei vielen ein Contra-Geissel-Kreuz gestern.

    Ich verstehe die SPD wirklich nicht, dass die diesen Zwergen-Napoleon nochmal aufgestellt haben.

  2. Ein Zwergen-Nepoleon, der Englisch konnte und bei den Vereinten Nationen in New York ein Gast war. Ne, was sind die B. Lockwarte in Düsseldorf doch uninformiert ….

    • B.Lockwart am

      „ Der Begriff Napoleon-Komplex – auch Short Man Syndrome genannt – wurde von Alfred Adler geprägt und bezeichnet vornehmlich das Verhalten von Männern, eine kleinere Körpergröße durch von außen sichtbare Erfolge und Statussymbole zu kompensieren. Der Napoleon-Komplex bezeichnet letztlich aber ein wohl eher populärwissenschaftliches Phänomen, das kleinere Männer zuschreibt, ihren physischen Mangel durch Ellbogenverhalten, Egoismus und Machtwillen zu kompensieren, indem sie aggressiver, lauter und machthungriger werden. (Stangl, 2020).

      Verwendete Literatur
      Stangl, W. (2020). Stichwort: ‚Napoleon-Komplex | Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik | Mobile Version‘. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
      WWW: https://lexikon.stangl.eu/16714/napoleon-komplex/?fdx_switcher=true (2020-10-01)

      Der Verweis auf Napoleon bei einer Figur bezieht sich eher selten bis nie auf die Sprachkenntnisse oder Orte, wobei Geißel ja in Moskau war und Moskau nicht niedergebrannt wurde.

  3. Glücklicherweise haben wir in Düsseldorf mehrere Welnessoasen wie z.B. am Elbsee, sodass man gewissen Fragestellungen aus dem Wege gehen kann.

  4. Tagedieb am

    Mal eine einfache Frage eines Düsseldorfers im Berliner Ausland:
    Fragen rund um das Projekt „Verwaltung 2020“ haben bei der Wahl keine Rolle gespielt? Oder ist dieses Projekt zwischenzeitlich längst begraben worden? (Hier weiß ich aus erster Hand, dass sich die personelle Situation in städtischen Kindergärten seit Jahren verschlechtert.)

    Themen wie Wohnungsbau (wie ich das aus der Ferne mitbekommen habe, wurde in den letzten Jahren doch in Düsseldorf auch überwiegend Eigenheim-/Eigentumswohnungsbau betrieben), umwelt-/klimaverträgliche Stadtentwicklung, einschließlich Verbesserungen für den ÖPNV, Radverkehr und Fußgänger werden ja wohl doch eine Rolle im Wahlkampf gespielt haben. Nur frage ich mich, wie hier CDU und die Grünen zusammenkommen wollen? Das wird doch in Düsseldorf z.B. in Bezug auf den ÖPNV/Radverkehr problematisch, wenn ich mir allein die Situation entlang der Oberbilker Allee oder Teilen der Kölner-/Ellerstraße anschaue.

    Andererseits, ob ich nun einem Beamten/Unternehmer gegenüberstehe, der CDU oder Grün gewählt hat, ist mittlerweile einerlei.