Lesestück · Mehl aus Getreide ist ein Grundnahrungsmittel. Und das seit rund 30.000 Jahren. Was noch vor dem Neolithikum mit Mahlsteinen und Mörsern begann, führte spätestens zur Römerzeit zum automatischen Mahlen von Körnern in Mühlen. Gemeint sind damit Einrichtungen, bei denen von Wind oder Wasser in Drehbewegung versetzte Steine das Mehl erzeugen. Kaum eine andere technische Errungenschaft der Menschheit hat sich so schnell entwickelt und etabliert. Und es dauert beinahe ein Jahrtausend bis zum nächsten Fortschritt: den industriellen Mühlen, die unabhängig von Wind und Wasser mit Dampfkraft das Korn mahlten. Ein Pionier dieser Industrie war ein gewisser Georg Plange aus Soest – er gilt als Erfinder des Haushaltsmehls wie wir es heute noch kennen. Denn er verpackte sein auf der Wiener Weltausstellung von 1873 mit einer Goldmedaille ausgezeichnetes Mehl in Tüten und nannte es Diamant-Mehl. Eine seiner insgesamt vier Großmühlen stand im Düsseldorfer Hafen und produzierte bis 1995 dieses Markenmehl. [Lesezeit ca. 6 min]

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Wer von der Rheinuferpromenade oder auch von den Oberkasseler Rheinwiesen in Richtung Medienhafen schaut, sieht auf der dritten Landzunge von links ein eigenartiges Gebäude. Es handelt sich um einen schlichten siebenstöckigen Bau mit gleichförmigen Fensterbändern. Ungewöhnlich daran: der im linken Bereich integrierte Backsteinturm mit großer Uhr und kupfernem Dachhelm, auf dem ein Adler mit ausgebreiteten Schwingen thront. So steht die Plange-Mühle mit breiter Brust zwischen Hafenbecken B und C … und ist doch bloß das Relikt einer Anlage, die einst große Teil der Landzunge ausfüllte. Kein Wunder, dass die Straße, die hier entlang führt, Weizenmühlenstraße heißt. 1906 wurde die Mühle, die eher eine Fabrik war, eröffnet – als dritter Standort, an dem Diamantmehl mit hochmodernen Keramikmahlwerken und bis dahin einzigartiger Filtertechnik produziert wurde.

Die Plange-Mühle in ihrem "Urzustand", der bis 1934 bestand (Foto: Stadtarchiv)

Die Plange-Mühle in ihrem „Urzustand“, der bis 1934 bestand (Foto: Stadtarchiv)

Die Anlage, die ab 1918 stetig erweitert und umgebaut wurde, bestand aus zwei Mühlenbauten, bis zu sechzehn Kornsilos, einer Dampfkraftzentrale sowie einer eigenen Verladeanlage, über die das Korn in die Fabrik und das Mehl auf die Binnenschiffe bzw. Güterzüge kam. Bis zu 240.000 Tonnen Haushaltsmehl wurden hier produziert. Wie sehr das Mahlen von Korn innerhalb von kaum 25 Jahren zur Industrie geworden war, zeigt sich an der Unternehmenspolitik, die – wie im Frühkapitalismus üblich – das Monopol anstrebte. Dem stand jedoch die Familie Kampffmeyer entgegen, die von Potsdam aus eine ähnliche Strategie fuhr: Standorte gründen, kleiner Konkurrenten aufkaufen, Marken aufbauen, Preiskämpfe im Einzelhandel führen. Dass sich das bei Industriemühlen über mehr als 100 Jahre bis zum Beginn der Nullerjahre fortsetzte, ist wenig bekannt.

Die Plange-Anlage um 1930 herum (Foto: Stadtarchiv/Luftbild)

Die Plange-Anlage um 1930 herum (Foto: Stadtarchiv/Luftbild)

Inzwischen beherrscht die GoodMills Deutschland, die aus der VK Mühlen AG (das „K“ stand NICHT für Kampffmeyer, sondern für „Kunstmühlen“) hervorgegangen ist, den Markt weitegehend; spätestens mit dem Kauf der Marke Diamantmehl war diese Entwicklung abgeschlossen. Die Plange-Gruppe wurde zerschlagen, die Mühle im Düsseldorfer Hafen fiel an die Wehrhahn-Gruppe aus Neuss. Haushaltsmehl wurde ab 1995 nicht mehr hergestellt, sondern nur noch Kraftfutter und diverse Backmittel – und zwar nur noch in der Hansamühle in Neuss.

Die zu Hafenbecken B gelegenen Betonsilos der Plange-Mühle in den 50ern (Foto: Stadtarchiv)

Die zu Hafenbecken B gelegenen Betonsilos der Plange-Mühle in den 50ern (Foto: Stadtarchiv)

Weil Mehl – in Deutschland besonders zum Backen von Brot – ein unverzichtbares Lebensmittel ist, kann man die Geschichte der Mühlen exemplarisch für die Entwicklung der Wirtschaft in unserer Region sehen. Nachdem sich etwa um das Jahr 1000 Wind- und Wassermühlen mit horizontalen Mühlsteinen auf breiter durchgesetzt hatten, arbeiteten fast durchweg selbstständige Müller als Dienstleister für die Bauern. Die ließen sich in der Mühle das Mehl für den Eigenbedarf mahlen. Im Umfeld der Städte aber kamen schon Mitte des 12. Jahrhunderts die ersten Müller auf, die das Korn von den Landwirten kauften, vermahlten, um das Mehl dann den Städtern anzubieten. 1158 aber erließ Kaiser Barbarossa ein Gesetz, das als Mühlenzwang bekannt wurde – das Bauen und Betreiben einer Mühle wurde alleiniges Recht der Grundherren – die diversen Besitzer von Rittergütern hatten so das Monopol in ihrem jeweiligen Gebiet. Seine Mühle(n) verpachtete ein solcher Grundherr an einen Müller.

Das Frontgebäude der Plange-Mühle vor dem Umbau von 2002 (Foto: © 2008-21 :: Zoltan Adorjani)

Das Frontgebäude der Plange-Mühle vor dem Umbau von 2002 (Foto: © 2008-21 :: Zoltan Adorjani)

Dieser Zustand hielt bis weit ins siebzehnte Jahrhundert. Als sich die Verwaltung der Ländereien änderte, die Fürsten und Herzöge also Beamte einsetzten, die für die Organisation der Wirtschaft zuständig waren, entstanden die Ämter. Gemeint sind keine „Behörden“ in unserem Sinn, sondern Verwaltungseinheiten, die für die Infrastruktur (Straßen, Brücken etc.) sorgten. Zur Infrastruktur zählten aber eben auch die Mühlen. So entstand der Begriff der Amtsmühle, die quasi die (oder eine von mehreren) offizielle und einzig legale Mühle des jeweiligen Gebiets war. So ging es auch in den Städten. Je nach Einwohnerzahl lieferten ein, zwei oder mehr Mühlen, die meist unmittelbar an der Stadtgrenze gelegen waren, die Stadt mit Mehl. In Düsseldorf stand die wichtigste davon bis zum Ende des 19. Jahrhunderts auf einem Hügel innerhalb der Bastion, ungefähr da, wo heute das Ratinger Tor steht.

Bauzeichnung: Das Ratinger Tor ab dem 17. Jahrhundert samt Windmühle (Abb. via Wikimedia)

Bauzeichnung: Das Ratinger Tor ab dem 17. Jahrhundert samt Windmühle (Abb. via Wikimedia)

Die Plange-Mühle im Hafen wurde im zweiten Weltkrieg erheblich beschädigt, erhalten blieben nur der markante Uhrenturm, das Silogebäude, die Werkstätten, das Kesselhaus und das Stallgebäude, die folgerichtig als denkmalwert eingestuft wurden. Das gilt auch für die Anfang der Zwanzigerjahre errichteten Silos, die als reine Funktionsbauten in Sichtbeton ausgeführt worden waren. Nachdem Produktionsende und vier Jahren Leerstand wurde das Frontgebäude mit dem riesigen „Diamant-Mehl“-Schriftzug auf dem Dach vom Architektenbüro Ingenhoven zu einem Bürogebäude umgebaut; die schlichte Gestaltung der Fassade lehnt sich an die Fensterreihen des Zweckbaus aus den Dreißigerjahren an, sodass der optische Eindruck annähernd erhalten blieb.

Fertiggestellt wurde der Bau im Jahr 2002; zu den ersten Mietern gehörte auch JKP, die Plattenfirma der Toten Hosen, die hier bis vor wenigen Jahren ihr Hauptquartier hatten. Aber auch der Rest der erhaltenen Gebäude sollte im Rahmen der Umwidmung des ehemaligen Handels- in den Medienhafen umgebaut und umgenutzt werden. Zuerst wurde von 2014 bis 2016 das alte, denkmalgeschützte Silogebäude aus Holz von Ingenhoven in ein sechsgeschossiges Loftgebäude umgebaut. Inzwischen heißt das Areal „Plange Mühle Campus“, denn nun sind alle ehemaligen Bestandbauten neuen Nutzungen zugeführt worden – u.a. als Standort für eine Klinik.

Die Lage des "Plange Mühle Campus" im Düsseldorfer Hafen (Illustration: Neuss-Düsseldorfer Häfen)

Die Lage des „Plange Mühle Campus“ im Düsseldorfer Hafen (Illustration: Neuss-Düsseldorfer Häfen)

Über gut neunzig Jahre war die Plange-Mühle der vielleicht wichtigste Industriebetrieb im Hafen, allerdings kein besonders bedeutender Arbeitgeber. Weil alle Abläufe bei der Umwandlung von Korn in Mehl sowie der Verpackung und Auslieferung schon frühzeitig durchweg maschinisiert und weitgehend automatisiert waren, arbeiteten selten mehr als 800 bis 1.000 Menschen in dieser Fabrik. Moderne Mühlenanlagen, wie sie beispielsweise im Hamburger Hafen bestehen, kommen sogar mit weniger als 50 Mitarbeitern pro Schicht aus. Die meisten davon sind in der Qualitätssicherung tätig. Diesen technischen Fortschritt hat die Plange-Mühle im Hafen nicht mehr erlebt.

[Mit besonderem Dank an Zoltan Adorjani für die Genehmigung, sein wunderschönes Foto verwenden zu dürfen!]

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