Ganz sicher bin ich mir nicht. Aber vermutlich habe ich den schrulligen, älteren Herrn in den Achtzigerjahren ein paar Mal auf der Königsallee gesehen. Heute findet man kaum noch Fotos von ihm, nach seinem Verschwinden im Sommer 1991 war er ein Jahr lang Dauerthema in den Düsseldorfer Zeitungen. Nachdem man den Kaufmann Hans Hansen als Hauptverdächtigen für den möglichen Mord verhaftet und ihm den Prozess machte, erregte der Fall über einige Zeit auch das Interesse der bundesweiten Öffentlichkeit. Uns beschäftigte sein Verschwinden auch sehr, und natürlich stellten wir Vermutungen an. Als er noch lebte, nannten viele ihn den „Kö-Opa“, nach seinem Verschwinden machten die Medien aus ihm dann den „Kö-Millionär“. Ob er tatsächlich Millionär war, ist unklar. Fakt ist, dass er mit den Häusern Königsallee 76 und 78 ein immenses Immobilienvermögen besaß.

In meinen Erinnerungen trägt Otto-Erich Simon einen hellen Trenchcoat und einen altmodischen Hut mit nach unten gebogener Krempe. Unter dem Arm trägt er eine oder mehrere Zeitungen. Er ist auf dem Weg in eines der Café in der Innenstadt, in denen er zu frühstücken pflegte. Im Gegensatz zu einem hartnäckigen Gerücht hatte er kein Stammcafé, und, nein, er nahm seinen Kaffee auch nicht in einer Bäckerei, denn Brotläden mit Frühstücksangebot gab es damals noch nicht. Nach allem, was man weiß, lebte Simon ohne sozialen Kontakte in der Hausnummer 78 in der obersten Etage. Er soll eine Haushälterin gehabt haben. Aber die sei grundsätzlich nur in seiner Abwesenheit in der Wohnung gewesen.

Google-Maps: Kö 76/78

Google-Maps: Kö 76/78

Gekauft hatte er die extrem wertvollen Grundstücke bereits 1963, schon damals waren die Mieten an der sogenannten „Prachtmeile“ exorbitant. Die beiden Geschäftshäuser gehörten zu den Gebäuden, die in der ersten Blüte der Kö in den Zwanzigerjahren erbaut wurden. Als Simon sie kaufte, waren sie noch in einem guten Zustand; in den folgenden knapp 30 Jahren unternahm der „Kö-Millionär“ wenig, um die Häuser in Schuss zu halten oder gar zu modernisieren. Mit dem Neubau an der Ecke der Kö zur Theodor-Körnerstraße anfangs der Achtzigerjahre begann eine dramatische Umwälzung der Straße. Das Mitte der Sechzigerjahre errichtete Kö-Center war zunächst ein Solitär und Vorreiter der Idee, auch die Innenhöfe zu bebauen, Passagen und Galerien anzulegen.

Heute an der Stelle: H&M und Esprit

Heute an der Stelle: H&M und Esprit

Nach der Eröffnung der Kö-Galerie von Walter Brune 1986 war dann der Immobilienmarkt rund um die Königsallee außer Rand und Band; Grundstücke und Häuser wechselten in kurzen Zyklen zu astronomischen Preisen die Besitzer bis sich jemand fand, der Investitionen in einen Umbau oder Abriss samt Neubebauung riskierte. Zwischen 1985 und 1995 herrschten an der legendären Allee Goldgräberzeiten. Nur ein Besitzer hatte mit dem allen nichts zu tun: Otto-Erich Simon, Eigentümer der Hausnummern 76 und 78. Natürlich bekam er Angebote. Beziehungsweise: Interessenten machten ihm ungefragt Angebote, auf die er grundsätzlich nicht reagierte. Weshalb er ausgerechnet mit dem windigen Geschäftemacher Hans Hansen in unterschriftsreife Verhandlungen trat, ist eines der Geheimnisse des Falls.

Wohlgemerkt: Der 12. Juli 1991 ist der Tag, an dem Simon zum letzten Mal gesehen wurde. Offiziell wurde dieses Datum später als sein Todestag bestätigt. Der Kaufmann Hansen legte wenig später einen unterzeichneten Kaufvertrag für die Häuser vor. Davon bekam die Öffentlichkeit nichts mit. Erst ein hochspekulativer Artikel der Bild-Zeitung aus dem September 1991 brachte den Fall ins Rollen. Dort wurde behauptet, Simon habe die Häuser für 30 Millionen DM verkauft, sich das Geld in bar habe geben lassen, um mit den Geldkoffern (Gesamtgewicht fast 50 Kilo!) abzuhauen. Im Dezember rückte eine Baukolonne an und fand die Simon’sche Wohnung noch nicht ganz geräumt. Ein entfernter Bekannter erstattete schließlich eine Vermisstenanzeige. Daraufhin wurde der Kaufvertrag überprüft, und es stellte sich heraus, dass die angebliche Unterschrift von Otto-Erich Simon eine Fälschung war. Damit galt Hans Hansen als Mordverdächtiger.

Es wurde Anklage erhoben; Hansen kam in U-Haft. Der Prozess gegen ihn zog sich bis 2002 hin. Hans Hansen zerbrach an der Sache, wurde depressiv und krank. 2011 kam er noch einmal in einer anderen Sache vor Gericht; seitdem ist er in der Öffentlichkeit nicht mehr aufgetaucht. Es wurde viel darüber spekuliert, ob Simon überhaupt je mit einem Kaufangebot konfrontiert war und ob jemals Geld geflossen ist – von wem an wen auch immer. Am wahrscheinlichsten ist, dass der Täter den Millionär erst beiseitegeschafft hat und dann den Vertrag aufsetzen ließ, um ihn mit gefälschten Unterschriften gültig zu machen. Dieser Täter muss aber nicht Hansen gewesen sein – kann auch sein, dass Hansen von einem Mittelsmann gelinkt wurde.

Das Erbe fiel einem Neffen Simons zu, einem Winzer an der Mosel. Der verkaufte Anfang der Nullerjahre die Häuser samt Grundstücken – er soll dabei 70 Millionen Euro erhalten haben. Danach wechselte mehrfach der Besitzer. Nach Bauarbeiten, die sich erheblich in die Länge zogen, entstanden an der Kö 76/78 zwei ziemlich unspektakulär Geschäftshäuser mit Läden von H&M und Esprit. Geklärt ist der Fall des Kö-Millionärs Simon nicht, denn seine Leiche wurde nie gefunden. Abgeschlossen ist allerdings der Prozess gegen Hans Hansen. Es gibt immer wieder Gerüchte, die Düsseldorfer Kripo habe die Akten zu diesem Fall noch nicht geschlossen und verfolge auch nach 25 Jahren Spuren.

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