Selbst bei dickstem Nebel, wenn die graue Erbsensuppe dicht über dem Strom liegt und man auf einem Frachtschiff nicht einmal mehr von Backbord nach Steuerbord etwas erkennen kann, hört man heutzutage kaum noch das altbekannte Tuten der Nebelhörner. Das war noch vor gut 30 Jahren anders, weil damals nur ein Teil der Binnenschiffe mit Radar ausgerüstet war. Heutzutage trägt beinahe jedes Schiff eine Radarantenne auf dem Steuerhaus, und selbst viele größere Sportboote sind so ausgerüstet. Dass Schiffsführer auch bei schlechter Sicht sehen können, was sich vor, hinter und neben ihnen auf dem Rhein so tut, haben sie einer Erfindung zu verdanken, die ein gewisser Christian Hülsmeyer um die Wende zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert entwickelt hat: dem Telemobiloskop.

Demonstration des Telemobiloskops im Hafen von Rotterdam 1904 (Foto: Deutsches Museum)

Demonstration des Telemobiloskops im Hafen von Rotterdam 1904 (Foto: Deutsches Museum)

Diese Vorläufertechnologie des modernen Radars hat der Physiker, der seine Firma 1904 mit einem Kompagnon in Düsseldorf gegründet hatte, natürlich zuerst auf dem Rhein ausprobiert und staunenden Fachleuten präsentiert. Von Land aus konnten die Zuschauer hören, wann immer sich ein Schiff der berüchtigten „Mausfalle“ unter der damaligen Dombrücke näherte – und das mit einer Reichweite von bis zu drei Kilometern.

Die Patentschrift von Christian Hülsmeyer zum Telemobiloskop

Die Patentschrift von Christian Hülsmeyer zum Telemobiloskop

Das Prinzip des Telemobiloskops entspricht derjenigen, die wir vom Radar her kennen: Eine entsprechende Vorrichtung sendet elektromagnetische Wellen aus, die von metallischen Oberflächen reflektiert und von einem geeigneten Empfänger aufgefangen werden. Das Testgerät vom Kölner Experiment war so gestaltet, dass eine elektrische Klingel läutete, sobald der Apparat reflektierte Wellen empfing. Wenig später demonstrierte Hülsmeyer dann seine Erfindung erneut auf dem Wasser, dieses Mal im Rotterdamer Hafen. Das Erstaunen war groß, aber die eigentliche Zielgruppe, nämlich die Binnenschiffer, die Betreiber von Schleppern auf dem Rhein, interessierten sich nicht besonders für das Telemobiloskop.

Als dann auch noch die kaiserliche Kriegsmarine der Erfindung eine Absage erteilte, verschwand die inzwischen patentierte Erfindung in der Versenkung. Die Admiräle hatten argumentiert, die Pfiffe aus den damals hochmodernen Dampfpfeifen seien über eine wesentliche größere Entfernung zu vernehmen, also sicherer. Und die Binnenschiffer jener Tage waren vermutlich viel zu technophob, um sich ernsthaft mit Hülsmeyers Erfindung zu befassen – und dass, obwohl es auf dem seinerzeit schon stark befahrenen Rhein regelmäßig zu Zusammenstößen mit teils schlimmen Folgen kam.

Hugo Gernsback auf dem Cover einer Fachzeitschrift aus dem Jahr 1928

Hugo Gernsback auf dem Cover einer Fachzeitschrift aus dem Jahr 1928

Verrückt genug, dass ausgerechnet der US-amerikanische Science-Fiction-Autor Hugo Gernsback in seinem Fortsetzungsroman Ralph 124C 41+ von 1911 – vermutlich ohne vom Telemobiloskop zu wissen – das Radarprinzip „erfand“. Wiederum ohne von beidem beeinflusst zu sein, baute der Ingenieur, Wissenschaftsjournalist und Autor von Zukunftsromanen Hans Dominik 1916 den Prototyp eines Radargeräts und schickte ihn ans Reichsmarineministerium. Wieder lehnten die Militärs ab. Und erst in den Dreißigerjahren befassten sich wieder mehrere Erfinder, Bastler und Wissenschaftler in verschiedenen Ländern mit dem Thema. Es waren dann die Briten, die im zweiten Weltkrieg als erste Radargeräte in großer Stückzahl einsetzten – und zwar besonders zum Aufspüren feindlicher Flugzeuge.

Monitor einer Decca-Radaranlage aus den Sechzigerjahren

Monitor einer Decca-Radaranlage aus den Sechzigerjahren

Bis zum Kriegsende hatte die Radartechnik dann auf breiter Front den Beweis ihrer Alltagstauglichkeit erbracht. Die Reichweite konnte bis auf annähernd 100 Kilometer gesteigert werden, und die Arbeit vieler Ingenieure brachte beinahe monatlich Verbesserungen. So kam als Anzeige nun eine Braun’sche Röhre zum Einsatz, auf der die Reflektionen als Lichtpunkte bzw. -spuren zu sehen waren. Auch das Problem des Nachleuchtens, das die Erkennbarkeit einzelner Objekte massiv erschwerte, konnte gelöst werden. Und dann erkannte endlich auch die zivile Schifffahrt den Nutzen der Technik – zunächst auf Seeschiffen, aber ab etwa Anfang der Sechzigerjahre auch auf Binnenschiffen.

Rotierende Antenne einer Swiss-Radar-Anlage

Rotierende Antenne einer Swiss-Radar-Anlage

Schon die zweite Generation der Radaranlagen im Krieg war mit rotierenden Sendern und Empfängern ausgerüstet, um das gesamte Umfeld erfassen zu können. Und so sah man nun auf modernen Frachter immer mehr sich drehender Antennen, die elektromagnetische Wellen ausstrahlten und auffingen. So konnte der Schiffsführer in seinem Fahrstand selbst bei schlechtester Sicht jederzeit erkennen, ob und welche anderen Schiffe sich in seinem Umfeld bewegten. Auch Gegenstände wie Brückenpfeiler, Molen und andere Bauwerke im Strom konnten von dieser Generation Radaranlagen erfasst werden.

Mit der rasanten Entwicklung der Displaytechnik in Richtung LCD und LED hat sich seit den Achtzigerjahren vor allem die Darstellung dessen dramatisch verbessert, was vom Radarsystem auf dem Monitor ausgeworfen wird. Und weil moderne Anlagen eben nicht nur elektromagnetische Wellen reflektieren, sondern auf diesem Weg auch aktiv Informationen übermitteln, kann heutzutage ein Schiffsführer genau erkennen, welches Schiff ihm gerade entgegenkommt. Außerdem wird auch aktuelles Kartenmaterial sowie per GPS erhaltene Daten auf dem Bildschirm wiedergegeben. Gleichzeitig sind die Antennen geschrumpft und sitzen meist in geschlossenen, kuppelförmigen Gehäusen. Inzwischen sind zudem die rechtlichen Aspekte durch eindeutige Vorschriften geregelt. So darf nur ein Schiffsführer, der ein entsprechendes Patent besitzt, eine sogenannte Radarfahrt steuern – in den Bestimmungen heißt es dazu:

Als Radarfahrt wird die Fahrt bei unsichtigem Wetter unter ausschließlicher Verwendung eines Radargeräts bezeichnet.

Die Entwicklung rund um den Einsatz der Radartechnik in der Schifffahrt ist noch lange nicht an ihrem Ende angelangt. Die Tendenz geht dahin, die Auswertung der Radarsignale mit Standortdaten aus anderen Quellen – z.B. per Mobilfunkortung – zu kombinieren und Algorithmen der künstlichen Intelligenz einzusetzen, um Schiffsführern noch realitätsnähere Bilder zu liefern; möglicherweise bald auf Datenbrillen nach den Prinzipien der Virtuellen Realität und Augmented Reality. Dann könnte der Anwender seine Umgebung selbst bei Nacht und Nebel so sehen wie am helllichten Tag.

Kommentare sind gesperrt.