Es musste alles anders werden nach dem Ende des Nazi-Regimes. Aber die Nazis, die sich vor dem Kriegseinsatz gedrückt hatten, waren ja noch da … auch in Düsseldorf.

Bericht · Die alten Seilschaften aus dem von Albert Speer geleiteten Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte und der Organisation Todt hatten den Krieg gut überstanden. Kein Wunder, konnten sich die beteiligten Architekten und Ingenieure durch ihre Tätigkeiten in der Nähe des sogenannten „Führers“ vor jedem Kriegseinsatz drücken, während viele der modernen Architekten, die ihre Konzepte bis zur Machtübernahme realisieren konnten, eingezogen wurden und umkamen. [Lesezeit ca. 5 min]

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Viele der Überlebenden, die in aller Regel nicht nur Mitläufer waren, suchten nach Kriegsende einflussreiche Posten in den Großstädten. Das betraf Düsseldorf mit Friedrich Tamms in besonderes großem Maße. Der 1904 geborene Architekt war mit Hitlers Lieblingsbaumeister Albert Speer bereits in Studientagen bekannt und wechselte als Student mit dem ein Jahr jüngeren Kollegen nach Berlin. Speer war bereits um 1930 herum Mitglied einer nationalsozialistischen Vorfeldorganisation und glühender Hitler-Anhänger geworden. Als der ursprüngliche Lieblingsarchitekt des „Führers“, Paul Ludwig Troost, 1934 starb, konnte Speer sich das Vertrauen Hitlers sichern und wurde Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt.

Tausendfüßler und Thyssenhochhaus (Ausschnitt; Foto: Markus Luigs)

Tausendfüßler und Thyssenhochhaus (Ausschnitt; Foto: Markus Luigs)

Weil Troost nur wenig Zeit blieb, Führeraufträge zu ergattern, hinterließ er nur in München ein paar architektonische Spuren. Hitler war sehr interessiert an Architektur und wünschten sich einen arisch-germanischen Baustil. Da passte Speers Vorliebe für den Neoklassizismus bestens. Denn dieser Baustil, der in den Zwanzigern noch als modern gegolten hatte, bot die Chance, Monumentalbauten angemessen zu gestalten. Schon bei den Bauten für das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg hatte sich Speer im Sinne des Führers ausgezeichnet. Und nun hatte Hitler den passenden Mann für sein „Hobby“: die Umgestaltung Berlins in die Welthauptstadt Germania.

Schon vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs begann ab 1938 die Umgestaltung. Ganze Stadtviertel sollten plattgemacht, die Bewohner umgesiedelt werden. Zentrale Elemente dieser Gewaltarchitektur waren Monumentalbauten ungeahnten Ausmaßes und schnurgerade, breite und autogerechte Schneisen. Denn Adolf Hitler war ja auch ein Autofan und träumte von einem vollmotorisierten Deutschland. Und damit sind wir bei Friedrich Tamms, der seinen alten Kumpel Speer in die Hauptstadt gefolgt war und nun in der Generalinspektion an der erwähnten Umgestaltung Berlins arbeitete. Den hatte es nach einem kurzen Irrweg, der ihn beinahe zum Stadtplaner Ankaras (auch hier waren alte Nazi-Seilschaften im Spiel) gemacht hatte, 1947 nach Düsseldorf verschlagen, wo er 1948 Leiter des städtischen Planungsbüros wurde.

Durch dieses alte Viertel (Stand: 1940) schlugen Tamms & Co. die autogerechte Schneise (Abb.: maps.duesseldorf.de)

Durch dieses alte Viertel (Stand: 1940) schlugen Tamms & Co. die autogerechte Schneise (Abb.: maps.duesseldorf.de)

Bereits 1949 präsentierte er einen Neuordnungsplan für die durch den Bombenkrieg erheblich beschädigten Stadt. Und der sah aus, als ginge es um ein „Klein-Germania“, zumindest, was die möglichst geraden und breiten Verkehrsachsen anging. Dahinter stand die Idee einer „autogerechten“ Stadt. Bis heute sichtbarstes Zeichen ist die Nord-Süd-Verbindung mit dem Straßenzug vom Nordfriedhof bis zum Südring, die vor allem durch den Abriss ganzer Häuserblocks, Bau neuer und Verbreiterung bestehender Straßen entstand. Da, wo heute die Berliner Allee verlief, gab es zuvor eine Reihe kleiner Straße und Blocks. Der Platz „Am Luftballon“ wurde komplett ersetzt durch die sechsspurige Fischerstraße, auch die Kaiserstraße wurde in der Breite mehr als verdoppelt. Die wundervolle Villen-Allee namens Hofgartenstraße wurde vollkommen ausradiert.

Die Hochstraße zwischen den Resten der Hofgartenstraße und der Berliner Allee, von den Düsseldorfer:innen liebevoll „Tausendfüßler“ genannt, war auch im Tamm’schen Verständnis ein mächtiges Symbol für die Idee der autogerechten Stadt. Genau übrigens wie die Rheinbrücken, für die Friedrich Tamms über die Stadtgrenzen hinaus berühmt wurde. Hatte Düsseldorf bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs nur eine, nämlich die Oberkasseler Brücke, konzipierte er die sogenannte „Brückenfamilie“, deren Mitglieder aber allesamt vor allem oder ausschließlich im Sinne des Autoverkehrs geplant wurden. Nur die Südbrücke (offiziell „Josef-Kardinal-Frings-Brücke“) hatte man bereits vor der Nazi-Zeit angedacht. Kein Wunder, dass die alte Eisenbahnbrücke zwischen Hamm und Neuss noch so viele Jahre Dienst tun musste, denn der Zugverkehr interessierte Tamms so wenig wie Speer und letztlich auch Hitler.

Man kannte sich, man half sich. Über all den überlebenden Baumeistern aus dem Speer-Stall schwebte ja das Schwert der Entnazifizierung, zumal Speer selbst am Ende der Nürnberger Prozesse als Kriegsverbrecher verurteilt wurde und mehr als 25 Jahre in Haft blieb; durch geschickte PR-Aktionen konnte er das ihm drohende Todesurteil noch abwenden. Tamms aber war bemüht, alte Kameraden nach Düsseldorf zu holen. So wurde beispielsweise ein gewisser Julius Schulte-Frohlinde Leiter des Hochbauamts, und der war bemüht, den neoklassischen Stil der NS-Architektur in der Stadt durchzusetzen.

Gerade dessen Treiben führte zum sogenannten Düsseldorfer Architektenstreit. Nach der Terrorherrschaft des NS-Regimes und der Befreiung Deutschlands durch die Alliierten sollten alles anders werden. Das Land sollte zu einer echten Demokratie werden, und die Kultur sollte wieder weltoffen und vielfältig werden. Das galt im Prinzip auch für die Baukunst. Nicht nur in Düsseldorf aber wehrten sich die in der Nazi-Zeit einflussreichen Architekten, die weiter im bevorzugten Stils ihres großen Protektors Speer bauen wollten. Um es klar zu sagen: Jeder andere Baustil stand mehr für das neuen, demokratische Deutschland als der neoklassische.

Lore und Kay Lorentz vor dem alten Kom(m)ödchen-Domizil an der Hunsrückenstraße (Foto: privat)

Lore und Kay Lorentz vor dem alten Kom(m)ödchen-Domizil an der Hunsrückenstraße (Foto: privat)

Und da kommt das Düsseldorfer Kabarett Kom(m)ödchen ins Spiel. Ein literarisch-politisches Kabarett, das Lore und Kay Lorentz bereits 1947 in Düsseldorf gegründet hatten und das sich auch als Wächter über die Demokratie und als klar antifaschistische Institution verstand. Das hatte Räume in einem nicht besonders gut erhaltenen Haus an der Hunsrückenstraße gefunden; maximal 160 Zuschauer:innen fanden dort Platz. Lore und Kay hatten das Ohr immer auch dicht an der Lokalpolitik und thematisierten auch die Nazifizierung der Stadtplanung:

Was hätt der Hitler für ne Freud,
wenn er noch da wär.
Er brächte Düsseldorf erst auf den
rechten Schwung.

In der Landeshauptstadt da kommt man glatt
hoch ins Stadtbauamt obenan.
Bedingung ist nur, daß man ’ne Spur
an der Reichskanzlei mitgebaut hat.

Aller Anfang ist der Ziegel
Und dann später der Zement,
Aber nichts hält so zusammen
Wie ne Clique, die sich kennt.

…hieß es 1952 im Programm „Rosen, Nulpen und Narzissen“. Das bezog sich eben auf den Architektenstreit und blieb nicht folgenlos (Der Spiegel 44/1952). Denn plötzlich und unerwartet erhielt das Kom(m)ödchen vom Bau-Aufsichtsamt die Ansage, dass es in dessen Räumen zu eng sei und wegen „Feuer- und allgemeiner Lebensgefahr“ die Zahl der Sitzplätze von 160 auf 130 zu reduzieren sei. Damit hätten die Einnahmen aus den Eintrittsgeldern die Kosten nicht mehr getragen, und die Existenz des Kabaretts wäre gefährdet gewesen. Die mit Alt-Nazis durchsetzten Bauämter hatten zurückgeschlagen.

Die öffentliche Empörung war groß, die Anordnung wurde zurückgenommen. Der Architektenstreit aber lief weiter bis zum Ende der Fünfzigerjahre. Da hatten sich Friedrich Tamms & Konsorten mit ihren Ideen schon weitestgehend durchgesetzt. Das Kom(m)ödchen aber blieb zunächst an der Hunsrückenstraße und zog erst 1967 – unter freundlicher Mithilfe der Stammgäste – ins neue Domizil in der gerade fertig gewordenen Kunsthalle um – wo dieses legendäre Kabarett noch heute wirkt.

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