Wer regelmäßig auf Personenschiffen auf dem Rhein mitfährt, weiß es: Jedes ordentliche Schiff besitzt eine Glocke. Meist handelt es sich um feine, ja, geradezu repräsentative Gegenstände aus Messing, oft mit ziselierter Beschriftung und auf Hochglanz poliert. Erfahrene Schiffsführer hüten und bewachen diesen Schatz und lassen in der Regel niemanden aus Spaß damit läuten. Denn die Schiffsglocke hat zwar heutzutage keine praktische Bedeutung mehr, dafür aber eine nahezu mythische. Sie repräsentiert die Identität eines Schiffes.

Ungefähr ab dem 16. Jahrhundert wurde die Glocke auf Seeschiffen zu einem wichtigen Instrument, dass der Zeitmessung diente und so die Sanduhr ergänzte, die es vermutlich schon um die Zeitenwende auf den Schiffen der Phönizier, Römer und anderer großer Seefahrernationen gab. Die berühmten Entdecker – von Vasco da Gama über Willem Barents bis Ferdinand Magellan – waren es, die das Leben und Arbeit an Bord strenger regelten als es zuvor Brauch war. Dazu gehörte die Einführung von Wachen als Mittel der Sicherheit. Um eine Art Gerechtigkeit zu wahren, wurden die Seemänner zum Wachdienst abgeordnet, der für jeden gleich lane dauern sollte – eine Methode, die im Zeitalter der Industrialisierung im Schichtbetrieb ihren Widerhall fand.

Auf der Gorch Fock wird geglast (Foto: Wualex, Public Domain)

Auf der Gorch Fock wird geglast (Foto: Wualex, Public Domain)

Wachen von exakt vier Stunden Länge erwiesen sich als am praktikabelsten und hatten einen gewaltigen Vorteil. Da es nie genug Hängematten (oder später Kojen) für alle Seeleute an Bord gab, wurde die vorhandenen von mehreren Männern während ihrer Freiwache genutzt; so konnte man ein Viertel aller Schlafgelegenheiten einsparen. Nur: Mechanische Uhren gab es im 15. Jahrhundert an Bord von Seeschiffen noch nicht, obwohl die mechanische Räderuhr bereits zwei Jahrhunderte früher erfunden wurde und an Land weite Verbreitung fand. Stattdessen wurde die Zeit mit Sanduhren gemessen, einer Methode beinahe so alt wie die Verwendung von Glas durch den Menschen. Sanduhren funktionieren mit hinreichender Genauigkeit. Außerdem konnte man sie mit Hilfe von Räderuhren eichen, die wiederum durch astronomische Verfahren kontrolliert wurden. In Museen existieren Sanduhren, die auch noch nach Jahrhunderten bei einer Laufzeit von vier Stunden so präzise gehen, dass die Abweichung im einstelligen Minutenbereich liegt.

In der Seemannssprache wird die Sanduhr „Glasenuhr“ oder einfach das „Glas“ genannt (in anderen Sprachen ähnlich: zum Beispiel englisch „glass“). Davon hatten Segelschiffe auf den Weltmeeren in der Regel zwei Stück an Bord das Halbstundenglas und das Vierstundenglas. Heißt: alle halbe Stunde wurde das Halbstundenglas gedreht, alle vier Stunden das Vierstundenglas. Und nun kommt die Schiffsglocke ins Spiel, die vom Wachhabenden beim Drehen des Halbstundenglases einmal angeschlagen wurde. Während einer Vier-Stunden-Wache geschah das logischerweise acht Mal; dann war auch das große Glas abgelaufen. Das Verb „Glasen“ meint in der nautischen Sprache einerseits das Läuten der Glocke, dient aber als Substantiv auch der Zeitangabe, also im Sinne von „bei acht Glasen ist Wachbeginn.“ Jede halbe Stunde wird durch einen einzelnen Schlag, jeder volle Stunde durch einen Doppelschlag repräsentiert. So kann das geschulte Ohr anhand der Glockenschläge die Zeit innerhalb einer Wache auf eine halbe Stunde genau ablesen.

Aber, die Schiffsglocke hatte weitere Funktionen. Bei schlechter Sicht in stark befahrenen Gewässern wurde die Glocke durchgehend und gleichförmig als akustisches Warnsignal geschlagen. Außerdem wurde beim Festmachen die Länge der ausgebrachten Ankerkette durch eine entsprechende Anzahl Schläge bekanntgegeben.

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