Als wir ziemlich überraschend davon erfuhren, dass es nach gut sechs Jahren wieder oberklassigen Handball in Düsseldorf geben sollte, waren wir einerseits erfreut, andererseits skeptisch. Hatten wir doch als Freunde und Ehemalige dieses rasanten Mannschaftssports die goldenen Zeiten von TuRU und später der HSG miterlebt und erinnerten uns gern an Hotte Bredemeyer, die Vizemeisterschaft 1988, den gewonnenen IHF-Pokal 1989 und die teils irrwitzige Atmosphäre bei den Heimspielen – unter anderem in der Philipshalle vor mehr als 4.000 Zuschauern. Gleichzeitig fielen uns auch die negativen Ereignisse ein, die Pleiten, die Querelen und schließlich das, was zum Ende der HSG Düsseldorf im Jahr 2012 führte. Deshalb waren wir neugierig auf das Projekt, das unter dem Namen HC Rhein Vikings in der Zweiten Handballbundesliga spielen sollte – und zwar im Castello in Reisholz.
Um es vorwegzunehmen: Ja, es hat Spaß gemacht, auch wenn die Redaktion aufgrund von Terminproblemen und personeller Unterbesetzung nur über eine Handvoll Partien berichten konnte. Nur an eines konnten wir uns nicht gewöhnen: an den Sponsor namens „Rheinmetall“. Intern diskutierten wir darüber, die Berichterstattung über die Rhein Vikings einzustellen, weil wir kein Projekt fördern wollte, das von einem Rüstungskonzern finanziell unterstützt wird. Und suchten das Gespräch mit den Verantwortlichen. Anfang Februar trafen wir uns dann in Neuss mit Dr. Thomas Koblenzer, dem Geschäftsführer der – ja, so heißt das – HC Rhein Vikings Spielbetriebs- & Marketing GmbH und dem Niklas Frielingsdorf, dem Leiter Medien + Kommunikation. Der hatte uns nachhaltig mit seiner ausgesprochen professionellen Pressearbeit bis dahin schon sehr beeindruckt.
Handball in der Region: Komplizierte Verhältnisse
Gut anderthalb Stunden sprach unser Chefred mit den beiden, und das Gespräch entpuppte sich als eine tiefgreifende Einführung ins Profihandball unserer Zeit. Wir lernten: „Handball ist ein Geldsport“ und dass man von klein auf handballverrückt sein muss, um auf die Idee zu kommen, ein neues Team in einer der beiden oberen Handballligen zu platzieren. Auf den promovierten Juristen Thomas Koblenzer, trifft das ganz sicher zu. In seiner Jugend spielte er selbst beim TuS Ferndorf Handball, einem dieser Clubs, die gern als „Provinzvereine“ etikettiert werden. Dabei ist der TuS Ferndorf so typisch für den Handball in Deutschland wie Hunderte anderer Vereine in Dörfern und Kleinstädten, die diesen Sport seit Jahrzehnten tragen. In vieler Hinsicht zählt aber auch Neusser HV dazu, ein Verein, der zwar erst 1992 gegründet wurde, sich aber ausdrücklich der sportlichen Jugendhilfe verschrieben hat und aktuell sage-und-schreibe fünf Mädchen- und Damenmannschaften sowie – in der HSG Neuss Düsseldorf – 14 männliche Jugendmannschaften und inklusive der Rhein Vikings sechs Teams im Ligabetrieb stellt. Hier engagiert sich Koblenzer schon seit vielen Jahren, immer mit dem Ziel, besonders die Jugendarbeit möglich zu machen, aber Handball auch in Neuss populärer werden zu lassen.
Und jetzt wird es typisch und kompliziert. Denn die HSG Neuss Düsseldorf ist eine Kooperation zwischen dem Neusser HV und ART Düsseldorf im Bereich der Männermannschaften. Die HSG ART Düsseldorf war nämlich die Spielgemeinschaft von Rather SV und HSV Düsseldorf, die im Jahr 2000 gegründet wurde und bis 2010 in der Ersten Handballbundesliga antrat. Die Verbindung zur legendären Handballabteilung von TuRU Düsseldorf: Die damaligen Zweitligisten DJK TB Ratingen und TB 1891 Wülfrath waren 1982 zur HSG Wülfrath/Ratingen fusioniert, die sich 1982 ebendieser TuRU anschloss. Den Rest erklärt am besten ein Zitat aus der Wikipedia:
1993 wurde die Spielgemeinschaft gelöst und der HSV Düsseldorf trat fortan alleine an. Ab 2000 bildete dieser gemeinsam mit dem Allgemeinen Rather Turnverein die Spielgemeinschaft HSG ART/HSV Düsseldorf, deren erste Mannschaft als HSG Düsseldorf zwischen erster und zweiter Bundesliga pendelte. Mit der Insolvenz des HSV Düsseldorf und der gemeinsamen Spielbetriebsgesellschaft während der Saison 2011/12 endete 2012 die Geschichte der ehemaligen TuRU-Handballabteilung. Die Spielberechtigung ging an den von der Insolvenz nicht betroffenen Allgemeinen Rather Turnverein über, der ab der Saison 2012/13 als ART Düsseldorf in der 3. Liga antrat.
HC Rhein Vikings und die Sportstadt Düsseldorf
Alles klar? Denn das Chaos ging weiter – nach der Insolvenz der ART unter anderem mit einer angekündigten, aber gescheiterten Spielgemeinschaft mit dem DHC Rheinland aus Dormagen, der wiederum die ausgegliederte Profimannschaft des legendären TSV Bayer Dormagen war. Und nun kommen endlich der Neusser HV ins Spiel, der für die Saison 2017/18 spielberechtigt für die zweite Handballbundesliga war. Die Frage, so Thomas Koblenzer im Gespräch, war vor allem: Wo sollten die Heimspiele ausgetragen werden und aus welchen Zielgruppen sollten die neuen Fans generiert werden? Schnell wurde klar, dass Neuss von Seiten des Rates und der Verwaltung keine Sportstadt ist und keine Anstalten machten, kooperativ mit dem frischgebackenen Zweitligisten umzugehen.
Zumal es an einer geeigneten Spielstätte mangelte. Bis dato hatte der NHV seine Heimspiele in der Hammfeld-Halle ausgetragen, die aber nicht zweitligatauglich ist. Noch im Frühjahr 2017 hieß es, die Halle sollte mit Unterstützung des Rheinkreises Neuss entsprechend aufgerüstet werden. Und plötzlich entstand zwischen der Stadt und dem Kreis eine lähmende Konkurrenzsituation. Auch ein vorgelegtes Konzept zum Umbau der Neusser Eissporthalle in eine, auch handballtaugliche Mehrzweckhalle fand keine Unterstützung der öffentlichen Verwaltung. Nun ist Thomas Koblenzer keiner, der einfach so aufgibt. Über die Offiziellen des ART entstand Kontakt zu Peter Kluth, dem Berater des Düsseldorfer Oberbürgermeisters Thomas Geisel, und zur Initiative „Sportstadt Düsseldorf“ der Düsseldorf Congress Sport & Event GmbH. Ziel dieser vom 2008 verstorbenen OB Joachim Erwin ins Leben gerufenen Initiative war und ist es, Düsseldorf als Stadt zu positionieren, in der Breiten- und Spitzensport systematisch gefördert wird.Ziel: Nicht absteigen
Innerhalb weniger Wochen wurde die Spielgemeinschaft von Neusser HV und ART Düsseldorf geschmiedet und als HV Rhein Vikings zur zweiten Handballbundesliga angemeldet – auch und besonders, weil mit dem Castello sofort eine geeignete, zweitligataugliche Spielstätte gefunden wurde. Weil diese Halle nach einigen Verwerfungen rund um andere Mannschaftssportarten, z.B. Basketball, nicht wirklich ausgelastet war, kam es zu einer klassischen Win-Win-Situation, und Düsseldorf wurde Standort einer Profihandballmannschaft der 2. HBL. Das spielte auch der Initiative „Sportstadt Düsseldorf“ in die Karten, die ein großes Interesse daran hat, neben der Fortuna und der DEG mindestens eine dritte Ballsportart im deutschen Spitzenbereich in der Stadt zu haben.
Wie gesagt: Handball ist ein Geldsport. Und das Ziel der Macher des HC Rhein Vikings für die Saison 2017/18 war klar – das Team sollte den Abstieg vermeiden. Also wurde versucht, mit einem erfahrenen Trainer eine Mannschaft zusammenzustellen, die in einer recht inhomogenen Liga bestehen konnte. Wie wir heute wissen, ist das schon mehrere Spieltage vor Saisonschluss gelungen. Wobei Thomas Koblenzer deutlich macht, wie unglaublich schwierig die Finanzierung – zumal in der extrem kurzen Vorbereitungsphase – war. Zumal sich bei der Sponsorensuche in Neuss zeigte, dass die Bereitschaft der größeren Unternehmen, Profisport zu fördern, nicht besonders groß war. Aber da gab es eine ortsansässige Firma, die den Neusser HV schon seit etlichen Jahren finanziell unterstützte.
Von Pierburg zu Rheinmetall
Das 1909 von Bernhard Pierburg in Berlin gegründete Unternehmen, das seinen Namen trug, war zunächst ein Stahlhandel. Die Autobegeisterung des Gründers führte aber dazu, dass man ab 1926 eine Lizenz für die Vergaser der französischen Firma Solex erwarb und sich in wenigen Jahren zu einem der führenden Unternehmen auf diesem Gebiet mauserte, das in der NS-Zeit unter dem DVG zu einem sogenannten „Wehrwirtschaftsführer“ avancierte. Alle Anlagen der Firma wurden dementsprechend nach dem Kriegsende enteignet oder demontiert. Und doch gelang es Pierburg, sich mit dem neuen Standort Neuss wieder im Vergaserbau zu etablieren. Über viele Jahre zählte das Unternehmen zu den wichtigsten und größten Arbeitgebern der Stadt.
1986 wurde die Pierburg KG von der Rheinmetall AG übernommen, arbeitet aber unter dem alten Namen weiter, und 2014 wurde das Werk Niederrhein auf der Neusser Hafenmole in Dienst gestellt. Schon immer hatte sich Pierburg in Neuss für verschiedene Projekte engagiert und auch Sportvereine gefördert – z.B. den Neusser HV. Der spielte in der dritten Bundesliga folgerichtig mit dem Logo dieses Sponsors auf der Brust. Und vermutlich würden auch die HC Rhein Vikings diesen Namen bewerben, hätte es nicht eine tiefgreifende Neusortierung der Rheinmetall-Geschäftsbereiche gegeben. Aus Pierburg wurde Rheinmetall Automotive, und die ersten Trikotsätze der Rhein Vikings waren mit diesem Sponsorenschriftzug bestückt. Dann aber beschloss das Konzernmarketing, die diversen Sponsor-Aktivitäten zu bündeln und nur noch simpel unter „Rheinmetall“ aufzutreten. So kommt der Name des heftig umstrittenen Rüstungskonzerns auf die Hemden der HandballerNächste Saison sind wir wieder dabei
Übrigens: Pierburg a.k.a. Rheinmetall Automotive fördert natürlich weiter den Neusser Handballsport jenseits der Profimannschaft. Und diese Einnahmen, so betont Koblenzer, sichern vor allem die intensive Jugendarbeit des Vereins. Für den Spielbetriebsetat der Rhein Vikings spielt das Engagement des Konzerns nicht die alleinige Hauptrolle, auch wenn die Rheinmetall Group als Hauptsponsor aufgeführt wird. Lokale und regionale Mittelstandsunternehmen steuern ebenfalls Geld bei, darunter auch die Kanzlei für Steuerrecht von Thomas Koblenzer selbst.
Der Kopf hinter dem Projekt Rhein Vikings sieht die weitere Entwicklung realistisch. Zunächst gehe es nur darum, sich in der zweiten Liga zu etablieren, die Strukturen zu stabilisieren und sich eine echte Fan-Gemeinde zu erarbeiten. Frühestens in drei bis fünf Jahre, so Koblenzer, könne man ernsthaft darüber nachdenken, einen Aufstieg in die 1. HBL anzustreben. Bis dahin müsse vor allem die mittel- und langfristige Finanzierung auf soliden Füßen stehen. Ob dann überhaupt noch „Rheinmetall“ auf den Trikots zu sehen sein wird, bleibt fraglich.
Wir Handballfreunde in der Redaktion von The Düsseldorfer aber sind uns einig: Wir werden die Rhein Vikings weiterverfolgen und in der kommenden Saison regelmäßig über die Spiele dieser Neuss-Düsseldorfer Spielgemeinschaft berichten. Vorher geht es aber am Samstag (26.05.2018) im Castello gegen die schier übermächtigen Bergischen Löwen, die schon lange als Aufsteiger feststehen und im Saisonverlauf 33 von 36 Spielen gewonnen haben.