In den späten Sechzigern fand man überall in London folgendes Grafitto: „Clapton is god.“ Gemeint war der heutige Langweiler, der damals als allerbester Elektrogitarrist des Universums galt. Bislang fand man in Flingern und drumherum noch keine Wandschriften, die lauten „Lumpi ist Gott.“ Aber das kann sich ja ändern. Denn einen guten Schuss Heldenverehrung hatte die Situation gestern Nachmittag am Flinger Broich schon. Zwar warfen enthusiasmierte Damen keine Schlüppern übern Zaun oder wollten Nachwuchs vom Spieler Lambertz, aber der Wunsch nach einem Selfie mit Lumpi war dann bei einigen Fans doch so groß, dass der zurückgekehrte Sohn der glorreichen Diva nicht besonders schnell zum Umziehen kam.

Wo ist Lumpi?

„Wie,“ wird sich der event-freudige Fußballkonsument fragen, der das Soccer-Entertainment nur im Klatschpappenmodus bei Topspielen mit Superstars oder vorm heimischen Sky-Empfänger arschsitzend kennt, fragen „Muss der Lumpi denn mitten durch die Leute in die Umkleide?“ Ja, musste er, denn Paul-Janes-Stadion am Flinger Broich ist Fußball. Also, so richtig echter Fußball. Mit dem von Schabe kongenial bearbeiteten Bratwurststand mit der Stadionwurst wie sie sein soll. Mit dem von Fans für Fans betriebenen Bierwagen. Ohne Merchandising und einem Entertainment, das daraus besteht, dass der Stadionsprecher Lieblingslieder wie „Three Little Birds“ spielt. Man riecht den Rasen und später auch den Schweiß der Spieler, und wem der Weg von der Tribüne zum Zapfhahn zu weit ist, der lungert dann eben mit dem Bierbecher in der Hand direkt am Zaum herum.

Anwesend ist der härtere Kern. Man kennt sich, man schätzt sich, und man hat sich der vermaledeiten Sommerpause viel zu erzählen. Das Team vom ZwoTelegraph, der hochinformativen Stadionzeitung der F95-U23, hat wieder mit viel Liebe ein feines Heft geklöppelt. Die dort schreibenden Experten stehen jederzeit fürs Fachsimpeln zur Verfügung. Das alles wussten über 1.500 Zuschauer zu schätzen, darunter knapp 200 Lippstädter, unter denen etwa 50 Ultras das taten, was Ultras eben so tun. Wobei es natürlich einfach nur niedlich ist, wenn Jungs mit freiem Oberkörper nach der Pfeife eines kleinen Kapos tanzen und hopsen. Ein Extremfan auf der Haupttribüne, ein Kerl mittleren Alters, ging ordentlich mit, kommentierte Spielszene, trieb einzelne Lippstadt-Kicker persönlich an und vertrat die Meinung, zur Pause hätte sein Verein schon mit 2:0 führen müssen.

Lumpi ist überall

Und das sahen viele Anhänger der Fortuna-Zwoten auch so. Zwar erspielten sich die Jungs von Neutrainer Michaty zwei ziemlich hochprozentige Gelegenheiten – eine daraus aus einem Standard resultierend -, aber die Gäste waren in der Offensive durchgehend brandgefährlich, sodass Zwote-Keeper Jannik Theißen einige Male seine Reaktionsschnelligkeit vorführen musste. Und hätte da nicht Leroy Kwadwo in der zentralen Defensive wie ein Fels im Sturm gestanden, um alles zu klären, was noch zu klären war, dann hätte es in den ersten 45 Minuten bestimmte ein paar Mal in der Zwote-Hütte gerappelt. Und Lumpi? Wo war Lumpi? Die These der fachkundigen Beobachter lautete: Der hat Narrenfreiheit. Tatsächlich traf man den designierten Leitwolf phasenweise als zentralen Mann einer Dreierkette an, als defensiven oder auch als offensiven Sechser, und bisweilen auch als Sturmspitze. Nur auf den Außenbahnen, da fand sich LL17 nur selten. Die Rolle als Herdenchef interpretierte Andreas Lambertz dann so, dass er mit den Armen ordnende Gesten machte, die niemand Bestimmten galten und auch nichts kaputtmachten.

Schön war die Partie in Hälfte 1 nicht, über weite Phasen sogar einschläfernd – was den Bier- und Wurstabsatz deutlich steigerte und zur Grüppchenbildung auf dem freien Platz seitlich der Haupttribüne führte. Die Fans, die es sich nicht hatten nehmen lassen, auf der sonnenbeschienenen Nord im Stehen Platz zu nehmen, schwitzen gemütlich vor sich hin, während eine sanfte Brise die schwüle Hitze unter dem Tribünendach vertrieb. Nur wer zählen konnte, stellte fest, dass auf der Zwote-Auswechselbank lediglich drei (plus Zusatztormann Maduka Okoye) Ergänzungsspieler hockten, was die Kadersituation der U23 ganz gut beschreibt. Einige Insassen der Zwoten waren mit der Ersten im Trainingslager, es gibt Verletzte und Muhayer Oktay hat die komplette Vorbereitung verpasst, weil er mit der türkischen U19-Mannschaft bei der EM spielt. Hinzu kommt natürlich die Tatsache, dass die Mannschaft ganz neu zusammengewürfelt ist und auch noch nicht so recht zusammengewachsen ist.

Lumpi musste ran

Den guten Willen sieht man bei jedem, das Talent ist bei einigen Kollegen auch mit den Händen zu greifen, aber mit dem Zusammenspiel hapert es. Was umso blöder ist, als die Lippstädter Verteidigung zwar recht robust antrat, aber taktisch zum Hühnerhaufen neigte. So konnten am Ende nach der durchaus spannenden zweiten Halbzeit zumindest die Trainer mit dem jeweils einen Punkt zufrieden sein. Die Gästefans waren enttäuscht, und die Zwote-Anhänger nahmen die Sache gelassen. Nur Lumpi, der musste lange nach Spielschluss nochmal ran, weil ein, zwei Dutzend hartnäckige VerehrerInnen ihm aufgelauert hatten. Der Mann mit der Nummer 17 zeigte – wie schon vor Spielbeginn – viel Geduld und ließ erahnen, wie wohl er sich am Ort seiner frühen Heldentaten fühlte. Ob irgendwann die Zuschauer den Ehrentitel „Fußballgott“ anhängen, wenn sein Name bei der Aufstellung angesagt wird, bleibt fraglich. Eigentlich ist Lumpi auch bloß ein Mensch wie ich und du, der im Unterschied zu uns die tollen Fortunajahre von 2003 bis 2015 auf dem Rasen miterleben durfte.

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