„Willkommen! Welcome!“ Der Conférencier begrüßt sie alle, „Ladies, Gentlemen und alle, die sich dazwischen bewegen“. Between the Genders eben. Ja, auch das Publikum ist aufgefordert, seine Rolle zu finden.
Bericht · Hach, André Kaczmarczyk! Seine Rolle ist ihm auf den trainierten Leib geschrieben. Er inszeniert gekonnt kreuz und queer, verwandelt die Bühne in ein herrlich dekadentes Berliner Cabaret der späten 20-er Jahre, als LGBT noch kein Zungenbrecher war, sondern hemmungslos gelebt wurde, in einem pulsierenden Sammelbecken kraftvoll-saftiger Typen. Viel Glitzerstoff für ein Broadway-Musical, Uraufführung 1966, mit genügend Zündstoff im Hier und Heute. [Lesezeit ca. 3 min]
Na, schon gespannt auf den Beitrag? Nach einer kurzen Werbeunterbrechung geht’s weiter. Denn The Düsseldorfer versteckt sich nicht hinter einer Paywall. Alles, was du hier findest, ist gratis, also frei wie Freibier. Wenn dir aber gefällt, was du liest, dann kannst du uns mit dem Kauf einer einmaligen Lesebeteiligung finanziell unterstützen.. Wir würden uns sehr freuen.
Kaczmarczyk hat und macht Spaß. Die irrlichternde Rolle des Conférenciers ist ihm auf den trainierten Leib geschrieben. Er ist praktisch in jeder Szene präsent, so verführerisch wie unnahbar. Seine Kit-Kat-Girls und Boys (darunter auch Studierende des Schauspielstudios Düsseldorf) ziehen prächtig mit, mal knallhart in Lack und Leder, dann wieder pfauenfederleicht tänzelnd (Kostüme Martina Lebert). Sie jonglieren nach Lust und Laune mit Geschlechterrollen, wie der Jongleur mit seinen Bällen als Pausenfüller. Immer wieder fällt einer runter, weil es ihm nicht gelingen will, sich schnell zu drehen. Er zuckt mit den Schultern, hebt ihn auf, jongliert weiter. Ultrakurze Inhaltsangabe? Genialer Regieeinfall!
Es gibt noch mehr davon. So reicht das Zerquetschen eines Apfels durch die Hand eines Stiefelträgers, um das Schicksal des schüchternen jüdischen Obsthändlers Schultz (Thomas Wittmann) zu versinnbildlichen. Danach gibt ihm das ansonsten so resolute und geschäftstüchtige Fräulein Schneider (Rosa Enskat) den Laufpass, um weiter vermieten zu und die Preise erhöhen können, falls Jemand mit einziehen will. Für ein paar Stunden oder länger, wie die ständigen Matrosen beim Fräulein Kost (Claudia Hübbecker) oder eben Sängerin Sally Bowles beim erfolglosen Schriftsteller Clifford Bradshaw, aus dessen billigem Bett dann auch noch ein Kerl springt. Der farbige non-binäre Belendjwa Peter spielt, singt und tänzelt seine Rolle grandios wie ein schillerndes Chamäleon.
„Musical ist Oper auf dem Strich“, schrieb Hellmuth Karasek 1987 im Spiegel in einem Artikel über Ute Lemper, die kurz zuvor in Düsseldorf ihren Durchbruch hatte in der Rolle der Sally Bowles. Danach war die langbeinige kühle Blonde „La Lemper“. Und da war auch noch „La Montenara“, nachdem Anna Montenara die Sally im Jahr 2000 im Düsseldorfer Capitol kapriziös verkörperte. Und klar, man denkt auch an Liza Minelli in der mit acht Oscars ausgezeichneten Verfilmung von Bob Fosse.
Muss man nicht. Muss Lou Strenger, die die Düsseldorfer bereits als Polly aus der Dreigroschenoper kennen, auch nicht. Ihre eigenwillige, kämpferisch aufstampfende, stimmgewaltige, eher unelegante Sally, die die Männer wechselt wie ihre Haarfarbe, kommt dem wahren Vorbild aus der Erzählung von Christopher Isherwood vermutlich ziemlich nahe (Mit der jungen Engländerin Jean Ross teilte sich Isherwood seinerzeit ein Zimmer in der Nollendorfstraße in Berlin-Schöneberg). Auf der Bühne liegen Lou Strenger die Männer nicht nur zu Füßen, sondern machen Liegestütz. Und davor erhebt sich ein begeistertes Publikum zu Standing Ovations.
„Come to the Cabaret!“, ein Musical von Joe Masteroff, John Kander und Fred Ebb nach den „Berlin Stories“ von Christopher Isherwood, inszeniert von André Kaczmarczyk. Ein Abend zum Frivolfühlen im Düsseldorfer Schauspielhaus. Glücklich, wer Karten für die Silvestervorstellung ergattert hat.
Für einige Vorstellungen gibt es noch Restkarten.