Bericht · Mode? Interessiert mich nicht. Supermodels? Geh mir bloß weg mit denen. Man kann es sich sehr leicht machen, diese hochspannende Ausstellung im Kunstpalast nicht zu besuchen. Man kann sich aber auch auf eine hervorragend kuratierte Show einlassen. Die man allerdings nur verstehen wird, wenn man den sorgfältig zusammengetragenen Infos per Audioguide oder durch das Studium der Texttafeln oder durch die Lektüre des prächtigen, allerdings recht teuren Katalogs folgt. Denn eigentlich geht es nicht um Claudia Schiffer, Cindy Crawford, Linda Evangelista, Naomi Campbell, Christy Turlington, Nadja Auermann und Kate Moss oder das gute Dutzend sogenannter „Supermodels“, sondern um einen Übergang in mehrfacher Hinsicht. [Lesezeit ca. 5 min]

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Von Karl Lagerfeld für Claudia zum Geburtstag (Foto: TD)

Von Karl Lagerfeld für Claudia zum Geburtstag (Foto: TD)

Den Übergang von der Analog- zur Digitalfotografie, vom Printprodukt zu Online-Angebot, von Mannequins als Kleiderständer zu Modedarstellerinnen und nicht zuletzt von der männerzentrierte Fashion-Welt zu Frauen, die ihre Karriere autonom planen und leben. Ob nun ausgerechnet Claudia Schiffer das beste Beispiel für letzteres ist, lässt sich trefflich diskutieren. Dass man „unsere“ Claudia, die in einer Kö-Disko entdeckte Schönheit, als Kuratorin nennt, ist allerdings kaum mehr als ein Publicity-Gag. Auch wenn sehr private Exponate aus ihrem Leben einen wichtigen Teil der Ausstellung ausmachen.

Supermodels in Gold zur Begrüßung (Foto: TD)

Supermodels in Gold zur Begrüßung (Foto: TD)

Tatsächlich sind die Fotografen die eigentlichen Stars, und es ist ärgerlich, dass ausgerechnet Ellen von Unwerth, die einzige weibliche Insassin dieser In-Crowd in der Show ausgesprochen kurz kommt. Dafür nimmt zum Glück Herb Ritts einen breiten Raum ein, der in der öffentlichen Wahrnehmung gegenüber Peter Lindbergh und Helmut Newton immer ein bisschen zu kurz kommt. Dabei verläuft zwischen Herb und den beiden Genannten am ehesten die Grenze zwischen Gebrauchs- und Kunstfotografie. Aber so groß diese Fotografen Mitte der Neunziger waren, so schnell wurden sie von den neuen Wilden wie Juergen Teller links überholt. Den interessierte Mode nicht, den interessierten die „Mädchen“ wenig, den interessierten nur seine Bildgeschichten.

Vielseitig: Der Claudia-Schiffer-Erinnerungsraum (Foto: TD)

Vielseitig: Der Claudia-Schiffer-Erinnerungsraum (Foto: TD)

Eine wichtige, wenn auch erst auf den zweiten Blick sichtbare Rolle spielte natürlich Karl Lagerfeld, dessen Aktivitäten als Modefotograf hinter seinen anderen gestaltenden Tätigkeiten immer ein wenig im Hintergrund blieben. KL war es, der das ganze Potenzial von Claudia erkannte und nutzte, und der in einem harschen Statement seinerzeit meinte, diese Heidi Klum, die solle sich doch, bitteschön, nicht an solchen Persönlichkeiten wie Frau Schiffer messen.

Im Zentrum des Fashion-Business: die Magazin-Cover (Foto: TD)

Im Zentrum des Fashion-Business: die Magazin-Cover (Foto: TD)

Es sind viele Aspekte, die in „Captivate“ nachvollziehbar herausgearbeitet werden. Unter anderem die Mechanik hinter der Modefotografie, also die Geldmaschine, die mit ihr betrieben wurde. Die Hauptrolle spielten dabei die großen, weltweit berühmten Modemagazine wie Vogue, Elle, Harper’s Bazaar, Cosmpolitan, InStyle etc. Deren Berichte über die Shows der großen und wichtigen Modeschöpfer bildeten über Jahrzehnte die wichtigste Promotion für die Fashion-Häuser … die wiederum über ihre Pret-à-Porte-Produkte Geld verdienten. In den Neunzigern wurde aber eine andere Einnahmequelle für Dior, Chanel, Yves St. Laurent und wie sie alle heißen wichtiger: Die Lizenzierung ihrer Stücke an die Textilindustrie. Und damit waren alle Beteiligten auf Werbung angewiesen.

Der Catwalk - hier mit Ausschnitten aus Modenschauvideos (Foto: TD)

Der Catwalk – hier mit Ausschnitten aus Modenschauvideos (Foto: TD)

Die Magazine aber auch: Wer durch Cover und Content Auflage machte, nahm mehr Geld durch Anzeigenwerbung ein. Also investierten die Verlage buchstäblich Millionen in die Modefotografie. Die Stars hinter der Kamera konnten machen, was sie wollten – vorausgesetzt, sie wählten die richtigen „Mädchen“ und produzierten die ungewöhnlichsten Fotos. Das gelang nur mit Models, die mehr sein konnten als laufende Kleiderständer, also Frauen mit Persönlichkeit, mit einem Hauch Schauspieltalent und großem Mut. Die schwer erträgliche Frau Klum karikiert das alles seit Jahren in ihrer unsäglichen TV-Show „Germany’s Next Top Model“, ahmt also das nach, was mit der Jahrtausendwende schlicht verschwunden ist.

Auch Bruce Weber zählte zu den wichtigen Fotografen (Foto: TD)

Auch Bruce Weber zählte zu den wichtigen Fotografen (Foto: TD)

So reisten Fotografen mit ihren personenstarken Stäben, containerweise Mode und einer Auswahl Topmodels an die außergewöhnlichsten Plätze. Selbst in die amazonischen Regenwälder verschlug es sie oder in die Arktis. Geld spielte keine Rolle, Zeit dagegen sehr. Also wurde sehr schnell und sehr viel fotografiert. Von Herb Ritter heißt es, keine seine Sessions haben weniger als 10.000 Schüsse erbracht. Bald riss Exotik keine Leserin mehr vom Hocker, man sehnte sich nach Stories. Plötzlich sah man fünf Models in Lederkluft unter der Brooklyn-Bridge; einziges Modeprodukt: die sündhaft teuren Boots im Biker-Style.

Juergen Teller: Ist das noch Modefotografie? (Foto: TD)

Juergen Teller: Ist das noch Modefotografie? (Foto: TD)

Dass die Modeschauen in Paris, Mailand, Düsseldorf und New York in den Neunzigern nicht mehr so wichtig waren, zeigte sich daran, dass in den Magazinen Fotos vom Laufen der Models auf den Catwalks immer weniger wurden. Weil die Supermodels aber so wichtig fürs Business waren und sich auf dem Laufsteg präsentieren mussten, um ihren Status zu halten, buhlten sie dann doch um die Kunst der Modeschöpfer:innen. Und waren stets gern gesehene Teilnehmerinnen der legendären Aftershow- und sonstigen Szenepartys. Auch das zeigt die wunderbare Ausstellung „Captivate“.

Schön, dass die Bedeutung der Polaroids erwähnt wird (Foto: TD)

Schön, dass die Bedeutung der Polaroids erwähnt wird (Foto: TD)

Schön auch, dass ein ganzer Raum den Polaroids gewidmet ist, die in der Zeit vor der Digitalfotografie unverzichtbar waren, weil sie es den Fotografen möglich machten, einen Schuss quasi in Echtzeit zu überprüfen, bevor die „richtige“ Kamera zum Zug kam. Und dann sind da – wie gesagt – noch die Schiffer’schen Erinnerungsstücke und Fotos aus dem Leben vor der Zeit als Supermodel. Das Gesamtpaket sollte also auch Menschen überzeugen, die sich nicht für Mode und Supermodels interessieren, aber für den Übergang, der die Neunziger kulturhistorisch prägte.

Captivate! Modefotografie der 90er. Kuratiert von Claudia Schiffer
im Kunstpalast im Ehrenhof
noch bis 09.01.2022
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 11 Uhr bis 18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr, Montag geschlossen
Zeitfenstertickets unter shop.kunstpalast.de
Eintritt: 12 € (ermäßigt 9 €)

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